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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Joachim Heinrich Lampe als Vorkämpfer für die Reinheit der Muttersprache.

und Konsequenz, aufs Geratewohl für ü, oonx xsrcku, härtlich für ti-g-it-Ms,
Hellseher für olÄrvo^Me,, herkömmlich für usuell oder konventionell, Hochschule
für Universität (wofür ihm freilich als Ausgangspunkt schon das Wort Hoch¬
schüler vorlag), Kerbtier für Insekt, Kunststraße für Chaussee, Lehrgang für
Kursus, Öffentlichkeit sür Publizität, prickelnd für pikant, Scherbengericht für
Ostrazismus, Staatsumwälzung für Revolution, Stelldichein für rMäs^-vous,
Tondichter für Komponist, vaterländisch für patriotisch, verwirklichen für reali-
siren, Zartgefühl für Delikatesse in seiner übertragenen Bedeutung, Zerrbild für
Karikatur. Diese Ausdrücke, deren Zahl sich vielleicht noch um ein halbes
Dutzend vermehren ließe, bilden eine wirkliche Bereicherung der Muttersprache.
Sie zeugen von Geschmack und Scharfblick. Wie schade, daß Campe selbst durch
die Ausschreitungen seines Purismus seine Bestrebungen bei Mit- und Nach¬
welt in Mißkredit gebracht hat!

Gleichwohl ist es nicht allein, ja nicht einmal vorwiegend Campes "ärger¬
licher Purismus," woraus ihm bei den Zeitgenossen so mannichfache Anfechtung
erwuchs; weit mehr Widersacher schuf er sich durch die absprechende, kleinliche
und schulmeisterliche Art, mit einem Worte durch den Pedantismus, mit dem
er, gleich als wäre er der oberste und einzig berufene Wächter über die Rein¬
heit und Nichtigkeit der Muttersprache, eine Reihe von Werken der besten
deutschen Schriftsteller, wie Herders "Ideen zur Philosophie der Geschichte der
Menschheit," Wielands "Grazien," Goethes "Iphigenie," Vossens "Gedichte,"
Kants Abhandlung "Zum ewigen Frieden," einer eingehenden sprachlichen
Prüfung teils selbst unterzog, teils durch Gesinnungsgenossen unterziehen ließ.
Es geschah dieses von 1795 bis 1797 in "Beiträgen," die hauptsächlich zu
dem hier angedeuteten Zwecke begründet wurden. Das Verfahren war nicht
neu. Einer der Mitarbeiter, Johann Christian Christoph Rüdiger (gestorben
als Professor in Halle), hatte bereits früher in einer eignen Abhandlung an
Goethes "Großkophta" eine solche sprachliche Musterung geübt. Jetzt sollte
nun planmäßig und in ausgedehntem Maße gegen alles Undeutsche und Un¬
richtige in der Literatur ein förmlicher Feldzug eröffnet werden. Auf den In¬
halt, auf die Tiefe und Schönheit der Gedanken ging man garnicht ein oder
half sich mit einigen anerkennenden Redensarten darüber hinweg; aber den
Satzbau, die Wortstellung, die Verwendung der Bilder, die Angemessenheit des
Ausdrucks, die Bildung und den Unterschied einzelner Wörter, die Schreibweise
und Zeichensetzung, überhaupt alles, was die äußere Form, die Einkleidung der
Gedanken betraf, unterzog man einer sorgfältigen und geradezu peinlichen
Prüfung; der Gebrauch eines Fremdwortes blieb an keiner Stelle ungerügt.
Glaubte Campe, daß einer seiner Mitarbeiter etwas übersehen habe, so fügte
er noch eine eigne Bemerkung hinzu, wobei er nicht selten, statt den Nagel
auf den Kopf zu treffen, an demselben vorbeischlug. Sehr bezeichnend heißt
es in der Vorrede zu den "Beiträgen," man habe die Absicht, von den Kleidern


Joachim Heinrich Lampe als Vorkämpfer für die Reinheit der Muttersprache.

und Konsequenz, aufs Geratewohl für ü, oonx xsrcku, härtlich für ti-g-it-Ms,
Hellseher für olÄrvo^Me,, herkömmlich für usuell oder konventionell, Hochschule
für Universität (wofür ihm freilich als Ausgangspunkt schon das Wort Hoch¬
schüler vorlag), Kerbtier für Insekt, Kunststraße für Chaussee, Lehrgang für
Kursus, Öffentlichkeit sür Publizität, prickelnd für pikant, Scherbengericht für
Ostrazismus, Staatsumwälzung für Revolution, Stelldichein für rMäs^-vous,
Tondichter für Komponist, vaterländisch für patriotisch, verwirklichen für reali-
siren, Zartgefühl für Delikatesse in seiner übertragenen Bedeutung, Zerrbild für
Karikatur. Diese Ausdrücke, deren Zahl sich vielleicht noch um ein halbes
Dutzend vermehren ließe, bilden eine wirkliche Bereicherung der Muttersprache.
Sie zeugen von Geschmack und Scharfblick. Wie schade, daß Campe selbst durch
die Ausschreitungen seines Purismus seine Bestrebungen bei Mit- und Nach¬
welt in Mißkredit gebracht hat!

Gleichwohl ist es nicht allein, ja nicht einmal vorwiegend Campes „ärger¬
licher Purismus," woraus ihm bei den Zeitgenossen so mannichfache Anfechtung
erwuchs; weit mehr Widersacher schuf er sich durch die absprechende, kleinliche
und schulmeisterliche Art, mit einem Worte durch den Pedantismus, mit dem
er, gleich als wäre er der oberste und einzig berufene Wächter über die Rein¬
heit und Nichtigkeit der Muttersprache, eine Reihe von Werken der besten
deutschen Schriftsteller, wie Herders „Ideen zur Philosophie der Geschichte der
Menschheit," Wielands „Grazien," Goethes „Iphigenie," Vossens „Gedichte,"
Kants Abhandlung „Zum ewigen Frieden," einer eingehenden sprachlichen
Prüfung teils selbst unterzog, teils durch Gesinnungsgenossen unterziehen ließ.
Es geschah dieses von 1795 bis 1797 in „Beiträgen," die hauptsächlich zu
dem hier angedeuteten Zwecke begründet wurden. Das Verfahren war nicht
neu. Einer der Mitarbeiter, Johann Christian Christoph Rüdiger (gestorben
als Professor in Halle), hatte bereits früher in einer eignen Abhandlung an
Goethes „Großkophta" eine solche sprachliche Musterung geübt. Jetzt sollte
nun planmäßig und in ausgedehntem Maße gegen alles Undeutsche und Un¬
richtige in der Literatur ein förmlicher Feldzug eröffnet werden. Auf den In¬
halt, auf die Tiefe und Schönheit der Gedanken ging man garnicht ein oder
half sich mit einigen anerkennenden Redensarten darüber hinweg; aber den
Satzbau, die Wortstellung, die Verwendung der Bilder, die Angemessenheit des
Ausdrucks, die Bildung und den Unterschied einzelner Wörter, die Schreibweise
und Zeichensetzung, überhaupt alles, was die äußere Form, die Einkleidung der
Gedanken betraf, unterzog man einer sorgfältigen und geradezu peinlichen
Prüfung; der Gebrauch eines Fremdwortes blieb an keiner Stelle ungerügt.
Glaubte Campe, daß einer seiner Mitarbeiter etwas übersehen habe, so fügte
er noch eine eigne Bemerkung hinzu, wobei er nicht selten, statt den Nagel
auf den Kopf zu treffen, an demselben vorbeischlug. Sehr bezeichnend heißt
es in der Vorrede zu den „Beiträgen," man habe die Absicht, von den Kleidern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/376>, abgerufen am 17.09.2024.