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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Joachim Heinrich Lampe als Vorkämpfer für die Reinheit der Muttersprache.

und hastige Art, mit der er sie zur Ausführung gebracht hat, sowie namentlich
auch die Überschätzung, die er auf dem Gebiete der Neubildung dem Wirken
eines Einzelnen und insbesondre seinen eignen Vorschlagen beigelegt hat. Nicht
mit Unrecht hat Wieland in seiner geistreichen Weise Campes Verfahren en.e
Art von sprachlichem Jakobinismus genannt. Statt die Sprache, die, wie jeder
andre lebensfähige Organismus, die von außen her in sie eingedrungenen fremd¬
artigen Stoffe, falls sie dieselben nicht in ihr eignes Wesen hineinzuziehen
vermag, von selbst allmählich auszuscheiden bemüht ist, in diesem naturgemäße"
Bestrebe" durch geschickte, leise Beihilfen zu unterstützen, sucht er sie durch gewalt¬
same Eingriffe sah"eil u"d mit einem Schlage davon zu befreien; vor allem
"ber vergißt er, daß die Sprache, ebenso wie der meiischliche Körper, auch die
"n sich heilsamen Nahrungsmittel, wenn sie in allzu großen Gaben und in
""richtiger Mischung dargeboten werden, spröde und widerwillig zurückweist
Geradezu unerschöpflich ist er in der Erfindung von neuen Wortbildungen, und
er leistet namentlich in kühnen Zusammensetzungen das Unglaubliche, um für
die verhaßten Fremdwörter einen Ersatz zu schaffen. Zwar erwartet er nicht,
daß sie allesamt Aufnahme fänden; er ist schon zufrieden, wenn nnr etwa ein
Zehntel davon zu allgemeiner Verwendung kommt; aber man merkt ihm doch
den Verdruß an, wenn von den Kindern seines Purismus so manches, obgleich
gute Freunde bei ihm die Gevatterschaft übernehmen, sich nicht als lebensfähig
erweisen will. Und doch begreift man es kaum, wie ein sonst so scharfblickender
Mann darauf hoffen konnte, für Wortgestaltungen wie: Lichtpforte statt Fenster,
Jchsamkeit statt Egoismus, Gemcinglanbe statt Katholizismus, Hundevernun ter
statt Cyniker, Gleichmutsweiser statt Stoiker, markscheidende Vernunftlehre statt
kritische Philosophie, und was dergleichen Sonderbarkeiten mehr sind, einen
Platz in der deutschen Sprache zu gewinnen. Es war wahrlich nicht nötig,
daß man anch noch unberechtigerweise die bekannte Zeugemutter für Statur
oder den Glimmstengel für Zigarre - er selbst brachte für Zigarre spanisches
Tabaksröllchen in Vorschlag - auf seine Rechnung schrieb, um den Wider¬
spruch und den Spott herauszufordern. Was aber das übelste war. gerade
seine Übertreibungen und die dadurch erweckte.. Vorurteile hatten zur Folge,
daß unter dem Schutt und dem tauben Gestein seiner Vorschlage die dann
verborgenen Goldkörner nicht sofort die gebührende Beachtuug fanden. W
wertvoll aber diese Goldkörner in Wirklichkeit waren, zeigt ein Überblick no r
die von Campe herstammende., und durch ihn zuerst in "nsre Sprache eng -
führten Wörter. Wir verdanke., ihm: altertümlich für antik. Beweggrund r
Motiv. Brüderlichkeit für Fraternität. Dienstsachen für ex ollwo °u wi Zu ¬
schriften amtlicher Schreiben. Eigenname für nomen xroxrmm. sich cM g .
ngnet für sich aualifiziren und qnalifizirt. Fallbeil für MMotme F mgefnh
sür Takt (wo ur er reilich auch das unleidliche Taste gefunden u haben sich
rühmt). Flugschrift für Pamphlet, folgerecht und Folgerichtigkeit für konsequent


Joachim Heinrich Lampe als Vorkämpfer für die Reinheit der Muttersprache.

und hastige Art, mit der er sie zur Ausführung gebracht hat, sowie namentlich
auch die Überschätzung, die er auf dem Gebiete der Neubildung dem Wirken
eines Einzelnen und insbesondre seinen eignen Vorschlagen beigelegt hat. Nicht
mit Unrecht hat Wieland in seiner geistreichen Weise Campes Verfahren en.e
Art von sprachlichem Jakobinismus genannt. Statt die Sprache, die, wie jeder
andre lebensfähige Organismus, die von außen her in sie eingedrungenen fremd¬
artigen Stoffe, falls sie dieselben nicht in ihr eignes Wesen hineinzuziehen
vermag, von selbst allmählich auszuscheiden bemüht ist, in diesem naturgemäße»
Bestrebe» durch geschickte, leise Beihilfen zu unterstützen, sucht er sie durch gewalt¬
same Eingriffe sah»eil u»d mit einem Schlage davon zu befreien; vor allem
«ber vergißt er, daß die Sprache, ebenso wie der meiischliche Körper, auch die
»n sich heilsamen Nahrungsmittel, wenn sie in allzu großen Gaben und in
"»richtiger Mischung dargeboten werden, spröde und widerwillig zurückweist
Geradezu unerschöpflich ist er in der Erfindung von neuen Wortbildungen, und
er leistet namentlich in kühnen Zusammensetzungen das Unglaubliche, um für
die verhaßten Fremdwörter einen Ersatz zu schaffen. Zwar erwartet er nicht,
daß sie allesamt Aufnahme fänden; er ist schon zufrieden, wenn nnr etwa ein
Zehntel davon zu allgemeiner Verwendung kommt; aber man merkt ihm doch
den Verdruß an, wenn von den Kindern seines Purismus so manches, obgleich
gute Freunde bei ihm die Gevatterschaft übernehmen, sich nicht als lebensfähig
erweisen will. Und doch begreift man es kaum, wie ein sonst so scharfblickender
Mann darauf hoffen konnte, für Wortgestaltungen wie: Lichtpforte statt Fenster,
Jchsamkeit statt Egoismus, Gemcinglanbe statt Katholizismus, Hundevernun ter
statt Cyniker, Gleichmutsweiser statt Stoiker, markscheidende Vernunftlehre statt
kritische Philosophie, und was dergleichen Sonderbarkeiten mehr sind, einen
Platz in der deutschen Sprache zu gewinnen. Es war wahrlich nicht nötig,
daß man anch noch unberechtigerweise die bekannte Zeugemutter für Statur
oder den Glimmstengel für Zigarre - er selbst brachte für Zigarre spanisches
Tabaksröllchen in Vorschlag - auf seine Rechnung schrieb, um den Wider¬
spruch und den Spott herauszufordern. Was aber das übelste war. gerade
seine Übertreibungen und die dadurch erweckte.. Vorurteile hatten zur Folge,
daß unter dem Schutt und dem tauben Gestein seiner Vorschlage die dann
verborgenen Goldkörner nicht sofort die gebührende Beachtuug fanden. W
wertvoll aber diese Goldkörner in Wirklichkeit waren, zeigt ein Überblick no r
die von Campe herstammende., und durch ihn zuerst in »nsre Sprache eng -
führten Wörter. Wir verdanke., ihm: altertümlich für antik. Beweggrund r
Motiv. Brüderlichkeit für Fraternität. Dienstsachen für ex ollwo °u wi Zu ¬
schriften amtlicher Schreiben. Eigenname für nomen xroxrmm. sich cM g .
ngnet für sich aualifiziren und qnalifizirt. Fallbeil für MMotme F mgefnh
sür Takt (wo ur er reilich auch das unleidliche Taste gefunden u haben sich
rühmt). Flugschrift für Pamphlet, folgerecht und Folgerichtigkeit für konsequent


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[0375] Joachim Heinrich Lampe als Vorkämpfer für die Reinheit der Muttersprache. und hastige Art, mit der er sie zur Ausführung gebracht hat, sowie namentlich auch die Überschätzung, die er auf dem Gebiete der Neubildung dem Wirken eines Einzelnen und insbesondre seinen eignen Vorschlagen beigelegt hat. Nicht mit Unrecht hat Wieland in seiner geistreichen Weise Campes Verfahren en.e Art von sprachlichem Jakobinismus genannt. Statt die Sprache, die, wie jeder andre lebensfähige Organismus, die von außen her in sie eingedrungenen fremd¬ artigen Stoffe, falls sie dieselben nicht in ihr eignes Wesen hineinzuziehen vermag, von selbst allmählich auszuscheiden bemüht ist, in diesem naturgemäße» Bestrebe» durch geschickte, leise Beihilfen zu unterstützen, sucht er sie durch gewalt¬ same Eingriffe sah»eil u»d mit einem Schlage davon zu befreien; vor allem «ber vergißt er, daß die Sprache, ebenso wie der meiischliche Körper, auch die »n sich heilsamen Nahrungsmittel, wenn sie in allzu großen Gaben und in "»richtiger Mischung dargeboten werden, spröde und widerwillig zurückweist Geradezu unerschöpflich ist er in der Erfindung von neuen Wortbildungen, und er leistet namentlich in kühnen Zusammensetzungen das Unglaubliche, um für die verhaßten Fremdwörter einen Ersatz zu schaffen. Zwar erwartet er nicht, daß sie allesamt Aufnahme fänden; er ist schon zufrieden, wenn nnr etwa ein Zehntel davon zu allgemeiner Verwendung kommt; aber man merkt ihm doch den Verdruß an, wenn von den Kindern seines Purismus so manches, obgleich gute Freunde bei ihm die Gevatterschaft übernehmen, sich nicht als lebensfähig erweisen will. Und doch begreift man es kaum, wie ein sonst so scharfblickender Mann darauf hoffen konnte, für Wortgestaltungen wie: Lichtpforte statt Fenster, Jchsamkeit statt Egoismus, Gemcinglanbe statt Katholizismus, Hundevernun ter statt Cyniker, Gleichmutsweiser statt Stoiker, markscheidende Vernunftlehre statt kritische Philosophie, und was dergleichen Sonderbarkeiten mehr sind, einen Platz in der deutschen Sprache zu gewinnen. Es war wahrlich nicht nötig, daß man anch noch unberechtigerweise die bekannte Zeugemutter für Statur oder den Glimmstengel für Zigarre - er selbst brachte für Zigarre spanisches Tabaksröllchen in Vorschlag - auf seine Rechnung schrieb, um den Wider¬ spruch und den Spott herauszufordern. Was aber das übelste war. gerade seine Übertreibungen und die dadurch erweckte.. Vorurteile hatten zur Folge, daß unter dem Schutt und dem tauben Gestein seiner Vorschlage die dann verborgenen Goldkörner nicht sofort die gebührende Beachtuug fanden. W wertvoll aber diese Goldkörner in Wirklichkeit waren, zeigt ein Überblick no r die von Campe herstammende., und durch ihn zuerst in »nsre Sprache eng - führten Wörter. Wir verdanke., ihm: altertümlich für antik. Beweggrund r Motiv. Brüderlichkeit für Fraternität. Dienstsachen für ex ollwo °u wi Zu ¬ schriften amtlicher Schreiben. Eigenname für nomen xroxrmm. sich cM g . ngnet für sich aualifiziren und qnalifizirt. Fallbeil für MMotme F mgefnh sür Takt (wo ur er reilich auch das unleidliche Taste gefunden u haben sich rühmt). Flugschrift für Pamphlet, folgerecht und Folgerichtigkeit für konsequent

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/375>, abgerufen am 17.09.2024.