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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Beusts Erinnerungen.

Favre durch Deutschsprechen ein Ende gemacht habe, "denn welche Seelenqualen
hatten jene beiden Männer in dieser entscheidenden Stunde zu bestehen!" Dem
Manne mit dem zarten Gefühl würde es freilich lieber gewesen sein, wenn die
Szene in Berlin gespielt und Bismarck die Seelenqualen zu empfinden gehabt
hätte.

Gegen den Vorwurf der Indiskretion sucht sich Beust schon in der Vor¬
rede und später zu rechtfertigen, im allgemeinen durch den Hinweis auf Po-
schinger, der ihm überhaupt wie eine schwer verdauliche Speise fortwährend in
Erinnerung kommt, im besondern bei Aktenstücken aus seiner sächsischen Periode
mit Berufung darauf, daß ihm sein Amtsnachfolger Abschriften zur Verfügung
gestellt habe, bei solchen aus bundcstäglichen Verhandlungen, daß der Bund
nicht mehr bestehe, mithin niemand mehr vorhanden sei, der die Veröffentlichung
erlauben oder verbieten könne. Wie es mit den Schriften aus dem österreichischen
Ministerium steht, bleibt unerörtert; aber nicht allein die erwähnte Wiener Auf¬
fassung seines Vorgehens deutet darauf hin, daß die Bewilligung zur Publikation
nicht nachgesucht, geschweige erteilt wordeu sei. Wenn dem so ist, dann
darf man wohl fragen, ob ein Monarch überhaupt noch zu irgend jemand Ver¬
trauen haben könne, wenn sein erster Ratgeber mit solchem Beispiele vorangeht?
Geradezu unfaßbar bleibt es, daß Beust Geheimnisse, die nicht seine persönlichen
waren, für ein Werk benutzte, welches nicht etwa nach fünfzig Jahren, nicht
einmal nach seinem Tode, sondern noch bei seinen Lebzeiten erscheinen sollte.
Denn hierüber läßt das Vorwort mit der Anmerkung des Verlegers keinen
Zweifel übrig. Als Erklürungsgrund bleibt nur die maßlose Eitelkeit übrig,
von der, wie von seiner Vielgeschäftigkeit und seinem Preußenhaß, der Verfasser
mehrmals in ironischem Tone spricht.

In diesen wie in andern Punkten bekundet er auffallend geringe Selbst¬
kenntnis. Er versichert, "nicht neugierig" zu sein, keinen "Hang zur Intrigue"
zu haben, und liefert Beweise für beide Anschuldigungen in Unzahl. Er tadelt
sehr ernst die allgemeine Gewohnheit, die Ursache des Unglücks auf andre
Schultern abzuwälzen, hat aber niemals geirrt, nur Feinde, falsche oder unge¬
schickte Freunde oder Untergebene haben das Scheitern seiner Unternehmungen
verschuldet. Ein einziges mal, soviel wir uns erinnern, "bereut" er eine Hand¬
lung -- indessen kann ein oder der andre Fall übersehen worden sein, da wir
bekennen müssen, nicht alle die "langen, langen Lehrgedichte," welche der eben
so schreib- als redselige Staatsmann in Gestalt von Depeschen, Vorträgen und
Reden zum Besten giebt, mit der von ihm gewünschten Aufmerksamkeit gelesen
zu haben. Aber anch in dem einen Falle ist die Neue uicht am Platze, denn
wie nachträglich herauskommt, war es das Verschulden des damaligen Statt¬
halters von Böhmen, daß Beust mit den Tschechenführern unterhandeln mußte
ohne Wissen des Ministerpräsidenten Fürsten Auersperg, der sich dadurch be¬
stimmt sah, seine Entlassung zu geben. Beust will bis zum Übermaße versöhn-


Beusts Erinnerungen.

Favre durch Deutschsprechen ein Ende gemacht habe, „denn welche Seelenqualen
hatten jene beiden Männer in dieser entscheidenden Stunde zu bestehen!" Dem
Manne mit dem zarten Gefühl würde es freilich lieber gewesen sein, wenn die
Szene in Berlin gespielt und Bismarck die Seelenqualen zu empfinden gehabt
hätte.

Gegen den Vorwurf der Indiskretion sucht sich Beust schon in der Vor¬
rede und später zu rechtfertigen, im allgemeinen durch den Hinweis auf Po-
schinger, der ihm überhaupt wie eine schwer verdauliche Speise fortwährend in
Erinnerung kommt, im besondern bei Aktenstücken aus seiner sächsischen Periode
mit Berufung darauf, daß ihm sein Amtsnachfolger Abschriften zur Verfügung
gestellt habe, bei solchen aus bundcstäglichen Verhandlungen, daß der Bund
nicht mehr bestehe, mithin niemand mehr vorhanden sei, der die Veröffentlichung
erlauben oder verbieten könne. Wie es mit den Schriften aus dem österreichischen
Ministerium steht, bleibt unerörtert; aber nicht allein die erwähnte Wiener Auf¬
fassung seines Vorgehens deutet darauf hin, daß die Bewilligung zur Publikation
nicht nachgesucht, geschweige erteilt wordeu sei. Wenn dem so ist, dann
darf man wohl fragen, ob ein Monarch überhaupt noch zu irgend jemand Ver¬
trauen haben könne, wenn sein erster Ratgeber mit solchem Beispiele vorangeht?
Geradezu unfaßbar bleibt es, daß Beust Geheimnisse, die nicht seine persönlichen
waren, für ein Werk benutzte, welches nicht etwa nach fünfzig Jahren, nicht
einmal nach seinem Tode, sondern noch bei seinen Lebzeiten erscheinen sollte.
Denn hierüber läßt das Vorwort mit der Anmerkung des Verlegers keinen
Zweifel übrig. Als Erklürungsgrund bleibt nur die maßlose Eitelkeit übrig,
von der, wie von seiner Vielgeschäftigkeit und seinem Preußenhaß, der Verfasser
mehrmals in ironischem Tone spricht.

In diesen wie in andern Punkten bekundet er auffallend geringe Selbst¬
kenntnis. Er versichert, „nicht neugierig" zu sein, keinen „Hang zur Intrigue"
zu haben, und liefert Beweise für beide Anschuldigungen in Unzahl. Er tadelt
sehr ernst die allgemeine Gewohnheit, die Ursache des Unglücks auf andre
Schultern abzuwälzen, hat aber niemals geirrt, nur Feinde, falsche oder unge¬
schickte Freunde oder Untergebene haben das Scheitern seiner Unternehmungen
verschuldet. Ein einziges mal, soviel wir uns erinnern, „bereut" er eine Hand¬
lung — indessen kann ein oder der andre Fall übersehen worden sein, da wir
bekennen müssen, nicht alle die „langen, langen Lehrgedichte," welche der eben
so schreib- als redselige Staatsmann in Gestalt von Depeschen, Vorträgen und
Reden zum Besten giebt, mit der von ihm gewünschten Aufmerksamkeit gelesen
zu haben. Aber anch in dem einen Falle ist die Neue uicht am Platze, denn
wie nachträglich herauskommt, war es das Verschulden des damaligen Statt¬
halters von Böhmen, daß Beust mit den Tschechenführern unterhandeln mußte
ohne Wissen des Ministerpräsidenten Fürsten Auersperg, der sich dadurch be¬
stimmt sah, seine Entlassung zu geben. Beust will bis zum Übermaße versöhn-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/36>, abgerufen am 17.09.2024.