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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Vergegenwärtigen wir uns doch nur die ältesten bekannten Tierbilder auf
den Denkmälern Asiens und Ägyptens, oder vergleichen wir die immerhin recht
alten Tierbeschreibungen des Aristoteles oder Plinius mit unsern Kenntnissen
der Tierwelt. Wenn auch einige Fabeln dabei mit unterlaufen wie die vom
Salamander, der im Feuer lebte, oder den Eintagsfliegen, die aus dem Schlamm
an sumpfigen Gewässern entstehen, so sind diese doch einfach durch die UnVoll¬
kommenheit der Beobachtung zu erklären. Im allgemeinen müssen wir uns
davon überzeugen daß zu den Zeiten der alten Griechen und Römer alle Tiere
genau so ausgesehen haben wie heutzutage ihre Nachkommen. Die Beschreibung
der Bienen und Ameisen bei Aristoteles könnte man heute noch beinahe muster-
giltig nennen; und daß die Vögel im fünften Jahrhundert vor Christus ebenso
gesungen haben wie hente. ersehen wir aus der komischen Nachahmung ihrer
Stimmen in den Vögeln des Aristophanes. Die ältesten Denkmäler des Menschen¬
geschlechts lassen uns überall dieselben Formen der Tierwelt erkennen wie
heute. Von der Ausrottung und dem Zugrundegehen vieler Arten erzählt uns
die Geschichte der Revolutionen und Neubildungen der Erdrinde, die fort¬
schreitende Entwicklung von niedern zu höhern Formen der Organisation ist
nur ein Gedanke von uns. der nirgends thatsächlich in der Erfahrung be¬
stätigt wird.

Was wir. ohne durch spekulative Vorurteile befangen zu sein, aus den
fossilen Blättern der Urgeschichte unsrer Erde lernen können, ist die unzweifel¬
hafte Erkenntnis, daß alle organischen Geschöpfe nur unter bestimmten Be¬
dingungen und Verhältnissen leben können, und daß sie zu Grunde gehen, wenn
diese aufhören. Wie weit es einzelnen Arten möglich ist, durch Anpassung ihrer
organischen Bildung neuen und veränderten Lebensbedingungen entgegenzu¬
kommen, ohne zu Grunde zu gehen, darüber haben wir noch sehr unvollkommene
Kenntnisse. Daß diese Möglichkeit der Anpassung nicht ins Unbegrenzte geht,
dafür ist eben der Beweis, daß zahlreiche Arten thatsächlich durch die Ver¬
änderung der Lebensbedingungen untergegangen sind. Aber diese von der Erde
verschwundnen Arten, deren fossile Reste wir finden, als unvollkommenere Stufen
anzusehen, aus denen sich die heutigen noch lebenden als vollkommenere ent¬
wickelten, ist ein Gedanke, dem alle Berechtigung fehlt. Was nennen wir denn
vollkommen in Bezug auf organische Bildung? Wenn ein lebendiges Geschöpf
so eingerichtet ist, daß es unter den gegebenen Lebensbedingungen im Kampf
ums Dasein sich erhalten und fortpflanzen kann, so sind wir nicht imstande,
etwas Vollkommeneres in seiner Art uns auszudenken. Aber wenn die Lebens¬
bedingungen sich plötzlich ändern wie bei großen Erdkatastrophen da können
auch die vollkommensten, bestorganisirten Individuen zuweilen nicht "'ehr die
Fähigkeit haben, sich an die neuen Verhältnisse anzupassen. Wenn zur ^este
von verschwundenen Arten versteinert finden, so dürfen wir doch nicht schließen,
daß sie deswegen zu Grunde gegangen sind, weil sie eine unvollkommenere Stufe


Vergegenwärtigen wir uns doch nur die ältesten bekannten Tierbilder auf
den Denkmälern Asiens und Ägyptens, oder vergleichen wir die immerhin recht
alten Tierbeschreibungen des Aristoteles oder Plinius mit unsern Kenntnissen
der Tierwelt. Wenn auch einige Fabeln dabei mit unterlaufen wie die vom
Salamander, der im Feuer lebte, oder den Eintagsfliegen, die aus dem Schlamm
an sumpfigen Gewässern entstehen, so sind diese doch einfach durch die UnVoll¬
kommenheit der Beobachtung zu erklären. Im allgemeinen müssen wir uns
davon überzeugen daß zu den Zeiten der alten Griechen und Römer alle Tiere
genau so ausgesehen haben wie heutzutage ihre Nachkommen. Die Beschreibung
der Bienen und Ameisen bei Aristoteles könnte man heute noch beinahe muster-
giltig nennen; und daß die Vögel im fünften Jahrhundert vor Christus ebenso
gesungen haben wie hente. ersehen wir aus der komischen Nachahmung ihrer
Stimmen in den Vögeln des Aristophanes. Die ältesten Denkmäler des Menschen¬
geschlechts lassen uns überall dieselben Formen der Tierwelt erkennen wie
heute. Von der Ausrottung und dem Zugrundegehen vieler Arten erzählt uns
die Geschichte der Revolutionen und Neubildungen der Erdrinde, die fort¬
schreitende Entwicklung von niedern zu höhern Formen der Organisation ist
nur ein Gedanke von uns. der nirgends thatsächlich in der Erfahrung be¬
stätigt wird.

Was wir. ohne durch spekulative Vorurteile befangen zu sein, aus den
fossilen Blättern der Urgeschichte unsrer Erde lernen können, ist die unzweifel¬
hafte Erkenntnis, daß alle organischen Geschöpfe nur unter bestimmten Be¬
dingungen und Verhältnissen leben können, und daß sie zu Grunde gehen, wenn
diese aufhören. Wie weit es einzelnen Arten möglich ist, durch Anpassung ihrer
organischen Bildung neuen und veränderten Lebensbedingungen entgegenzu¬
kommen, ohne zu Grunde zu gehen, darüber haben wir noch sehr unvollkommene
Kenntnisse. Daß diese Möglichkeit der Anpassung nicht ins Unbegrenzte geht,
dafür ist eben der Beweis, daß zahlreiche Arten thatsächlich durch die Ver¬
änderung der Lebensbedingungen untergegangen sind. Aber diese von der Erde
verschwundnen Arten, deren fossile Reste wir finden, als unvollkommenere Stufen
anzusehen, aus denen sich die heutigen noch lebenden als vollkommenere ent¬
wickelten, ist ein Gedanke, dem alle Berechtigung fehlt. Was nennen wir denn
vollkommen in Bezug auf organische Bildung? Wenn ein lebendiges Geschöpf
so eingerichtet ist, daß es unter den gegebenen Lebensbedingungen im Kampf
ums Dasein sich erhalten und fortpflanzen kann, so sind wir nicht imstande,
etwas Vollkommeneres in seiner Art uns auszudenken. Aber wenn die Lebens¬
bedingungen sich plötzlich ändern wie bei großen Erdkatastrophen da können
auch die vollkommensten, bestorganisirten Individuen zuweilen nicht "'ehr die
Fähigkeit haben, sich an die neuen Verhältnisse anzupassen. Wenn zur ^este
von verschwundenen Arten versteinert finden, so dürfen wir doch nicht schließen,
daß sie deswegen zu Grunde gegangen sind, weil sie eine unvollkommenere Stufe


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[0323] Vergegenwärtigen wir uns doch nur die ältesten bekannten Tierbilder auf den Denkmälern Asiens und Ägyptens, oder vergleichen wir die immerhin recht alten Tierbeschreibungen des Aristoteles oder Plinius mit unsern Kenntnissen der Tierwelt. Wenn auch einige Fabeln dabei mit unterlaufen wie die vom Salamander, der im Feuer lebte, oder den Eintagsfliegen, die aus dem Schlamm an sumpfigen Gewässern entstehen, so sind diese doch einfach durch die UnVoll¬ kommenheit der Beobachtung zu erklären. Im allgemeinen müssen wir uns davon überzeugen daß zu den Zeiten der alten Griechen und Römer alle Tiere genau so ausgesehen haben wie heutzutage ihre Nachkommen. Die Beschreibung der Bienen und Ameisen bei Aristoteles könnte man heute noch beinahe muster- giltig nennen; und daß die Vögel im fünften Jahrhundert vor Christus ebenso gesungen haben wie hente. ersehen wir aus der komischen Nachahmung ihrer Stimmen in den Vögeln des Aristophanes. Die ältesten Denkmäler des Menschen¬ geschlechts lassen uns überall dieselben Formen der Tierwelt erkennen wie heute. Von der Ausrottung und dem Zugrundegehen vieler Arten erzählt uns die Geschichte der Revolutionen und Neubildungen der Erdrinde, die fort¬ schreitende Entwicklung von niedern zu höhern Formen der Organisation ist nur ein Gedanke von uns. der nirgends thatsächlich in der Erfahrung be¬ stätigt wird. Was wir. ohne durch spekulative Vorurteile befangen zu sein, aus den fossilen Blättern der Urgeschichte unsrer Erde lernen können, ist die unzweifel¬ hafte Erkenntnis, daß alle organischen Geschöpfe nur unter bestimmten Be¬ dingungen und Verhältnissen leben können, und daß sie zu Grunde gehen, wenn diese aufhören. Wie weit es einzelnen Arten möglich ist, durch Anpassung ihrer organischen Bildung neuen und veränderten Lebensbedingungen entgegenzu¬ kommen, ohne zu Grunde zu gehen, darüber haben wir noch sehr unvollkommene Kenntnisse. Daß diese Möglichkeit der Anpassung nicht ins Unbegrenzte geht, dafür ist eben der Beweis, daß zahlreiche Arten thatsächlich durch die Ver¬ änderung der Lebensbedingungen untergegangen sind. Aber diese von der Erde verschwundnen Arten, deren fossile Reste wir finden, als unvollkommenere Stufen anzusehen, aus denen sich die heutigen noch lebenden als vollkommenere ent¬ wickelten, ist ein Gedanke, dem alle Berechtigung fehlt. Was nennen wir denn vollkommen in Bezug auf organische Bildung? Wenn ein lebendiges Geschöpf so eingerichtet ist, daß es unter den gegebenen Lebensbedingungen im Kampf ums Dasein sich erhalten und fortpflanzen kann, so sind wir nicht imstande, etwas Vollkommeneres in seiner Art uns auszudenken. Aber wenn die Lebens¬ bedingungen sich plötzlich ändern wie bei großen Erdkatastrophen da können auch die vollkommensten, bestorganisirten Individuen zuweilen nicht "'ehr die Fähigkeit haben, sich an die neuen Verhältnisse anzupassen. Wenn zur ^este von verschwundenen Arten versteinert finden, so dürfen wir doch nicht schließen, daß sie deswegen zu Grunde gegangen sind, weil sie eine unvollkommenere Stufe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/323>, abgerufen am 17.09.2024.