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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

nicht in dem Maße darauf erstreckt sehen wollte, wie diese selbst beanspruchte.
Die ausgeschiedne Minderheit des Prager Landtages wird daher auch mit
..Bürgschaften der Mehrheit" für eine zukünftige rücksichtsvollere Behandlung
nicht zu befriedigen sein, sondern nur gegen Bürgschaft von höherer Stelle aus
wieder an den Landtagsarbeiten teilnehmen können. Die Regierung muß ehr
zweierlei versprechen: 1. für die nächste Zeit Abhilfe in Betreff ihrer Haupt-
bcschwerden, 2. für die weitere Zukunft Vornahme von Maßregeln, welche sich
auf den Artikel XIX beziehen, nur unter Mitwirkung der gesetzgebenden Gewalt.

Zum Schlüsse noch ein Wort über den angeblichen Charakter des Antrages
Pleners, soweit er eine neue Abgrenzung der böhmischen Bezirke nach sprach¬
lichen Rücksichten verlangt. Man hat darin eine Zerreißung Böhmens erblicken
wollen. Aber war denn das Land zerrissen, weil in ihm bis auf die Sprachen-
Verordnung von 1880 innerhalb des deutschen Gebietes deutsch amtirt wurde,
und will der Antrag mehr als die Rückkehr zu diesem Zustande? Man ist
weiter gegangen, und Gregr hat gesagt: "Die wahre Tendenz dieses Antrages
ist nicht nur die Zertrümmerung des Königreiches Böhmen, sondern der erste
Schritt, um die deutschen Landesteile für die Ausscheidung nicht bloß aus
Böhmen, sondern aus Österreich und für die Einverleibung in Deutschland vor¬
zubereiten." Damit wurde der deutschböhmischen Bevölkerung die österreichische
Loyalität, der österreichische Patriotismus abgesprochen, und das ist eine voll¬
kommen grundlose Behauptung, die von Pierer im Prager Landtage entrüstet
zurückgewiesen wurde. Mit vollem Rechte sagte er hier am 19. Dezember vorigen
Jahres: "Die Deutschen in Böhme" wollen nichts andres sein als deutsche Öster-
reicher, und jeder vernünftige österreichische Staatsmann sollte damit gerade zu¬
frieden sein. Sie aber wollen ^die Tschechen u. Co.) mehr... Sie sagten den Deutsch¬
böhmen: Du kannst Österreicher nur als Böhme sein, als Böhme aber mußt
du dir die Zweisprachigkeit und die tschechische Propaganda in deinem Landes¬
teile gefallen lassen. Wenn Sie die Anhänglichkeit an den Neichsverband mit
solchem Preis und Opfer in nationaler Beziehung beschweren, kräftigen Sie die¬
selbe nicht... Die deutschböhmische Bevölkerung ist einmal in nationalen Dinge"
empfindlich, und es ist viel klüger, diese Empfindlichkeit zu schonen als sie zu
verletze" und zu sagen: Du mußt dich verletzen lassen, wenn du Österreicher
bleiben willst. Durch unsre Anträge soll nichts andres geschaffen werden als
eine gewisse nationale Zufriedenheit der Deutschböhmen mit den staatlichen Ein¬
richtungen, die bei den meisten Menschen die Hauptvoraussetzung des Patrio¬
tismus ist. Wenn wir die gerechten nationalen Wünsche der deutschen Bevöl¬
kerung als innerhalb der österreichischen Gesetzgebung vollkommen erfüllbar
bezeichnen, stärken und fördern wir auch deren österreichischen Patriotismus
Sie aber erschüttern und gefährden ihre Anhänglichkeit an den Neichsverband
dadurch, daß Sie fortwährend Forderungen erheben, welche ihre Zufriedenheit
mit den bürgerlichen und öffentlichen Einrichtungen des Staates schwächen."


Deutsch-böhmische Briefe.

nicht in dem Maße darauf erstreckt sehen wollte, wie diese selbst beanspruchte.
Die ausgeschiedne Minderheit des Prager Landtages wird daher auch mit
..Bürgschaften der Mehrheit" für eine zukünftige rücksichtsvollere Behandlung
nicht zu befriedigen sein, sondern nur gegen Bürgschaft von höherer Stelle aus
wieder an den Landtagsarbeiten teilnehmen können. Die Regierung muß ehr
zweierlei versprechen: 1. für die nächste Zeit Abhilfe in Betreff ihrer Haupt-
bcschwerden, 2. für die weitere Zukunft Vornahme von Maßregeln, welche sich
auf den Artikel XIX beziehen, nur unter Mitwirkung der gesetzgebenden Gewalt.

Zum Schlüsse noch ein Wort über den angeblichen Charakter des Antrages
Pleners, soweit er eine neue Abgrenzung der böhmischen Bezirke nach sprach¬
lichen Rücksichten verlangt. Man hat darin eine Zerreißung Böhmens erblicken
wollen. Aber war denn das Land zerrissen, weil in ihm bis auf die Sprachen-
Verordnung von 1880 innerhalb des deutschen Gebietes deutsch amtirt wurde,
und will der Antrag mehr als die Rückkehr zu diesem Zustande? Man ist
weiter gegangen, und Gregr hat gesagt: „Die wahre Tendenz dieses Antrages
ist nicht nur die Zertrümmerung des Königreiches Böhmen, sondern der erste
Schritt, um die deutschen Landesteile für die Ausscheidung nicht bloß aus
Böhmen, sondern aus Österreich und für die Einverleibung in Deutschland vor¬
zubereiten." Damit wurde der deutschböhmischen Bevölkerung die österreichische
Loyalität, der österreichische Patriotismus abgesprochen, und das ist eine voll¬
kommen grundlose Behauptung, die von Pierer im Prager Landtage entrüstet
zurückgewiesen wurde. Mit vollem Rechte sagte er hier am 19. Dezember vorigen
Jahres: „Die Deutschen in Böhme» wollen nichts andres sein als deutsche Öster-
reicher, und jeder vernünftige österreichische Staatsmann sollte damit gerade zu¬
frieden sein. Sie aber wollen ^die Tschechen u. Co.) mehr... Sie sagten den Deutsch¬
böhmen: Du kannst Österreicher nur als Böhme sein, als Böhme aber mußt
du dir die Zweisprachigkeit und die tschechische Propaganda in deinem Landes¬
teile gefallen lassen. Wenn Sie die Anhänglichkeit an den Neichsverband mit
solchem Preis und Opfer in nationaler Beziehung beschweren, kräftigen Sie die¬
selbe nicht... Die deutschböhmische Bevölkerung ist einmal in nationalen Dinge»
empfindlich, und es ist viel klüger, diese Empfindlichkeit zu schonen als sie zu
verletze« und zu sagen: Du mußt dich verletzen lassen, wenn du Österreicher
bleiben willst. Durch unsre Anträge soll nichts andres geschaffen werden als
eine gewisse nationale Zufriedenheit der Deutschböhmen mit den staatlichen Ein¬
richtungen, die bei den meisten Menschen die Hauptvoraussetzung des Patrio¬
tismus ist. Wenn wir die gerechten nationalen Wünsche der deutschen Bevöl¬
kerung als innerhalb der österreichischen Gesetzgebung vollkommen erfüllbar
bezeichnen, stärken und fördern wir auch deren österreichischen Patriotismus
Sie aber erschüttern und gefährden ihre Anhänglichkeit an den Neichsverband
dadurch, daß Sie fortwährend Forderungen erheben, welche ihre Zufriedenheit
mit den bürgerlichen und öffentlichen Einrichtungen des Staates schwächen."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/317>, abgerufen am 17.09.2024.