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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

Böhmen die tschechische und die deutsche Sprache als gleichberechtigte Landes¬
sprachen, beziehungsweise als landesübliche Sprachen zu gelten haben, daß es
demnach jedermann freistehen müsse, bei allen k. k. Gerichten und andern landes¬
fürstlichen Zivilbehörden sein Anliegen in tschechischer oder deutscher Sprache
anzubringen, und daß alle k. k. Gerichte und andre landesfürstliche Zivilbehörden
im ganzen Jnstanzcnzuge in derselben Sprache darüber verhandeln und ent¬
scheiden, beziehungsweise dasselbe erledigen sollen. Die Negierung wird auf¬
gefordert, die bestehenden Gesetze in dieser Hinsicht streng durchzuführen, insofern
sie aber diese als hierzu nicht ausreichend erkennt, entsprechende Gesetzvorlagen
in verfassungsmäßigen Wege einzubringen."

Wie Pierer und seine Parteifreunde im Prager Landtage noch einmal an¬
setzten, das Recht der Deutschböhmen zur Geltung zu bringen, wie schroff sie
dabei zurückgewiesen wurden, indem man sie nicht einmal zu Worte kommen
ließ, und wie sie daraufhin Mann für Mann die Versammlung verließen, habe
ich im letzten Briefe erzählt, und es ist nur noch hinzuzufügen, daß sie diesen
Schritt durch ein Manifest rechtfertigten, welches die ungelenke Billigung ihrer
Wähler fand, und daß der Rumpflandtag, in welchen ihr Austritt das böhmische
Parlament verwandelt hatte, bald darauf sie ihrer Mandate für verlustig er¬
klärte. Dieser Vorgang erinnerte an einen ähnlichen, der in die Zeit des
Ministeriums Hohenwart fällt. Es war im September des Jahres, welches
das deutsche Reich entstehen sah. Die damalige " Versöhnungsüra" ließ sich
für die Slawen in Österreich gut an. Frohlockend rechneten die Föderalisten
aus, daß sie im neuen Abgeordnetenhause, dessen Mitglieder noch indirekt, durch
die Landtage, gewählt wurden, über die Zweidrittelmehrheit verfügen und folglich
imstande sein würden, die Monarchie auf verfassungsmäßigen Wege nach ihren
Wünschen zu gestalten. Mit großer Spannung sah man der Eröffnung des
böhmischen Landtages und den Mitteilungen entgegen, welche einem Gerüchte
zufolge hier von der Negierung zu erwarten waren. Am 14. September fiel
der Schleier, der bis dahin die staatsrechtlichen Pläne des Ministeriums ver¬
hüllt halte, und ein Reskript desselben an den Prager Landtag erschien auf der
Bildfläche, welches ein eignes höhnisches Staatsrecht anerkannte. Die Tschechen¬
blätter jubelten hoch auf. "Eine neue Epoche ist in der Geschichte Mittel¬
europas angebrochen -- schrieb ein vor Freuden verrückt gewordener Politikus
in dem "Narodny Lisei" --, ein selbständiger slawischer Staat ist im Herzen
des Weltteils aufgerichtet, der berufen sein wird, bestimmend auf dessen Geschicke
einzuwirken." Zwei Tage nachher aber erklärten die deutschen Abgeordneten
des Landtages in einer Denkschrift, daß sie an den Verhandlungen desselben
nicht mehr teilnehmen könnten, weil das Reskript die für das ganze Reich ge¬
gebene Verfassung für Böhmen aufgehoben und dessen Landtag infolge dessen
keine rechtliche Grundlage mehr habe. Sie zogen sich darauf zurück und be¬
traten die Prager Landtagsstube erst wieder, als das Ministerium Hohenwart


Deutsch-böhmische Briefe.

Böhmen die tschechische und die deutsche Sprache als gleichberechtigte Landes¬
sprachen, beziehungsweise als landesübliche Sprachen zu gelten haben, daß es
demnach jedermann freistehen müsse, bei allen k. k. Gerichten und andern landes¬
fürstlichen Zivilbehörden sein Anliegen in tschechischer oder deutscher Sprache
anzubringen, und daß alle k. k. Gerichte und andre landesfürstliche Zivilbehörden
im ganzen Jnstanzcnzuge in derselben Sprache darüber verhandeln und ent¬
scheiden, beziehungsweise dasselbe erledigen sollen. Die Negierung wird auf¬
gefordert, die bestehenden Gesetze in dieser Hinsicht streng durchzuführen, insofern
sie aber diese als hierzu nicht ausreichend erkennt, entsprechende Gesetzvorlagen
in verfassungsmäßigen Wege einzubringen."

Wie Pierer und seine Parteifreunde im Prager Landtage noch einmal an¬
setzten, das Recht der Deutschböhmen zur Geltung zu bringen, wie schroff sie
dabei zurückgewiesen wurden, indem man sie nicht einmal zu Worte kommen
ließ, und wie sie daraufhin Mann für Mann die Versammlung verließen, habe
ich im letzten Briefe erzählt, und es ist nur noch hinzuzufügen, daß sie diesen
Schritt durch ein Manifest rechtfertigten, welches die ungelenke Billigung ihrer
Wähler fand, und daß der Rumpflandtag, in welchen ihr Austritt das böhmische
Parlament verwandelt hatte, bald darauf sie ihrer Mandate für verlustig er¬
klärte. Dieser Vorgang erinnerte an einen ähnlichen, der in die Zeit des
Ministeriums Hohenwart fällt. Es war im September des Jahres, welches
das deutsche Reich entstehen sah. Die damalige „ Versöhnungsüra" ließ sich
für die Slawen in Österreich gut an. Frohlockend rechneten die Föderalisten
aus, daß sie im neuen Abgeordnetenhause, dessen Mitglieder noch indirekt, durch
die Landtage, gewählt wurden, über die Zweidrittelmehrheit verfügen und folglich
imstande sein würden, die Monarchie auf verfassungsmäßigen Wege nach ihren
Wünschen zu gestalten. Mit großer Spannung sah man der Eröffnung des
böhmischen Landtages und den Mitteilungen entgegen, welche einem Gerüchte
zufolge hier von der Negierung zu erwarten waren. Am 14. September fiel
der Schleier, der bis dahin die staatsrechtlichen Pläne des Ministeriums ver¬
hüllt halte, und ein Reskript desselben an den Prager Landtag erschien auf der
Bildfläche, welches ein eignes höhnisches Staatsrecht anerkannte. Die Tschechen¬
blätter jubelten hoch auf. „Eine neue Epoche ist in der Geschichte Mittel¬
europas angebrochen — schrieb ein vor Freuden verrückt gewordener Politikus
in dem »Narodny Lisei« —, ein selbständiger slawischer Staat ist im Herzen
des Weltteils aufgerichtet, der berufen sein wird, bestimmend auf dessen Geschicke
einzuwirken." Zwei Tage nachher aber erklärten die deutschen Abgeordneten
des Landtages in einer Denkschrift, daß sie an den Verhandlungen desselben
nicht mehr teilnehmen könnten, weil das Reskript die für das ganze Reich ge¬
gebene Verfassung für Böhmen aufgehoben und dessen Landtag infolge dessen
keine rechtliche Grundlage mehr habe. Sie zogen sich darauf zurück und be¬
traten die Prager Landtagsstube erst wieder, als das Ministerium Hohenwart


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[0314] Deutsch-böhmische Briefe. Böhmen die tschechische und die deutsche Sprache als gleichberechtigte Landes¬ sprachen, beziehungsweise als landesübliche Sprachen zu gelten haben, daß es demnach jedermann freistehen müsse, bei allen k. k. Gerichten und andern landes¬ fürstlichen Zivilbehörden sein Anliegen in tschechischer oder deutscher Sprache anzubringen, und daß alle k. k. Gerichte und andre landesfürstliche Zivilbehörden im ganzen Jnstanzcnzuge in derselben Sprache darüber verhandeln und ent¬ scheiden, beziehungsweise dasselbe erledigen sollen. Die Negierung wird auf¬ gefordert, die bestehenden Gesetze in dieser Hinsicht streng durchzuführen, insofern sie aber diese als hierzu nicht ausreichend erkennt, entsprechende Gesetzvorlagen in verfassungsmäßigen Wege einzubringen." Wie Pierer und seine Parteifreunde im Prager Landtage noch einmal an¬ setzten, das Recht der Deutschböhmen zur Geltung zu bringen, wie schroff sie dabei zurückgewiesen wurden, indem man sie nicht einmal zu Worte kommen ließ, und wie sie daraufhin Mann für Mann die Versammlung verließen, habe ich im letzten Briefe erzählt, und es ist nur noch hinzuzufügen, daß sie diesen Schritt durch ein Manifest rechtfertigten, welches die ungelenke Billigung ihrer Wähler fand, und daß der Rumpflandtag, in welchen ihr Austritt das böhmische Parlament verwandelt hatte, bald darauf sie ihrer Mandate für verlustig er¬ klärte. Dieser Vorgang erinnerte an einen ähnlichen, der in die Zeit des Ministeriums Hohenwart fällt. Es war im September des Jahres, welches das deutsche Reich entstehen sah. Die damalige „ Versöhnungsüra" ließ sich für die Slawen in Österreich gut an. Frohlockend rechneten die Föderalisten aus, daß sie im neuen Abgeordnetenhause, dessen Mitglieder noch indirekt, durch die Landtage, gewählt wurden, über die Zweidrittelmehrheit verfügen und folglich imstande sein würden, die Monarchie auf verfassungsmäßigen Wege nach ihren Wünschen zu gestalten. Mit großer Spannung sah man der Eröffnung des böhmischen Landtages und den Mitteilungen entgegen, welche einem Gerüchte zufolge hier von der Negierung zu erwarten waren. Am 14. September fiel der Schleier, der bis dahin die staatsrechtlichen Pläne des Ministeriums ver¬ hüllt halte, und ein Reskript desselben an den Prager Landtag erschien auf der Bildfläche, welches ein eignes höhnisches Staatsrecht anerkannte. Die Tschechen¬ blätter jubelten hoch auf. „Eine neue Epoche ist in der Geschichte Mittel¬ europas angebrochen — schrieb ein vor Freuden verrückt gewordener Politikus in dem »Narodny Lisei« —, ein selbständiger slawischer Staat ist im Herzen des Weltteils aufgerichtet, der berufen sein wird, bestimmend auf dessen Geschicke einzuwirken." Zwei Tage nachher aber erklärten die deutschen Abgeordneten des Landtages in einer Denkschrift, daß sie an den Verhandlungen desselben nicht mehr teilnehmen könnten, weil das Reskript die für das ganze Reich ge¬ gebene Verfassung für Böhmen aufgehoben und dessen Landtag infolge dessen keine rechtliche Grundlage mehr habe. Sie zogen sich darauf zurück und be¬ traten die Prager Landtagsstube erst wieder, als das Ministerium Hohenwart

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/314>, abgerufen am 17.09.2024.