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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

Mission für Bezirks- und Gemeindeangelegenheiten verwiesen wurde, und daß die
Mehrheit der Kommission darauf beantragte, der Landtag wolle beschließen: "In
allen Fällen, wo die Bevölkerung der einen oder der andern Nationalität in
national gemischten Gerichtsbezirken das Verlangen nach einer Abgrenzung auf
Grundlage der Sprachcngrenzc geltend macht, ist diesem Verlangen, soweit es
nach Maßgabe der geographischen, wirtschaftlichen und sonstigen Verhältnisse
sich als thunlich erweist, durch Teilung der betreffenden Gerichtsbezirke, even¬
tuell selbst durch Bildung neuer zu entsprechen," daß die Minderheit dagegen
wörtlich den Herbstschen Antrag wiederholte, und daß dieser am 15. Oktober
nach langen Debatten abgelehnt und der Antrag der Mehrheit angenommen
wurde.

Die Vertreter der Deutschböhmcn ließen sich dadurch nicht abschrecken, und im
nächsten Jahre, am 5. Dezember 1885, brachte ihr Führer, or. v. Pierer, mit vier¬
undsechzig Genossen im böhmischen Landtage den Antrag ein, der letztere wolle be¬
schließen: "1. Die Sprachenverordnung vom 19. April 1880 für die Kreisgerichts¬
sprengel Eger, Brüx, Leipa, Leitmeritz und Reichenberg aufzuheben und den früheren,
der Gerichtsordnung entsprechenden Zustand, nach welchem nur die im Gerichts¬
bezirke übliche Sprache bei Gericht zu gebrauchen ist, wiederherzustellen, sowie
die nötig werdende Ausscheidung tschechischer Bezirke und Gemeinden aus diesen
deutschen Kreisgerichtssprengeln vorzunehmen, 2. auf derselben sprachenrecht¬
lichen Grundlage wie der der genannten fünf deutschen Kreisgerichte für die
übrigen deutschen Teile des Landes drei neue Kreisgerichte im Nordosten,
Westen und Süden zu errichten, 3. die Bezirke thunlichst nach Nationalitäts¬
verhältnissen abzugrenzen, 4. im Anschluß an die neue Einteilung der Gerichts¬
bezirke beim k. k. Oberlandesgerichte zwei Senate zu bilden, 6. die Verwaltungs¬
bezirke ebenfalls thunlichst nach sprachlichen Grenzen neu einzuteilen." Dieser
Antrag unterschied sich im Wesen nicht von dem Herbstschen, ließ aber den
Zweck, den jener verfolgt hatte, die Beseitigung der Sprachenverordnung für
das deutsche Gebiet Böhmens und die Befreiung von den Einflüssen der zwei¬
sprachigen Verwaltung, deutlicher als jener hervortreten. Der Antragsteller
motivirte seine Forderung bei der ersten Lesung in ebenso maßvoller als meister¬
hafter Weise mit statistischen, gesetzlichen und materiellen Gründen, aber die
Mehrheit der Kommission, der sie dann übergeben wurde, empfahl dem Plenum,
über den Antrag zur Tagesordnung überzugehen, und dies geschah, obwohl
Pierer in zwei weiteren trefflichen Reden die Mehrheit von der Gerechtigkeit
und Nützlichkeit seines Verlangens zu überzeugen versucht hatte, und dabei von
andern Mitgliedern der deutschen Linken kräftig unterstützt worden war. Es
sollte bei dem Beschlusse vom 15. Oktober 1884 verbleiben. Und nicht genug
damit, wurde ein zweiter Abschnitt des Antrages der Kommissionsmehrhelt an¬
genommen, in welchem es hieß: "Der Landtag spricht die Überzeugung aus,
daß in Gemäßheit der bestehenden Gesetze im ganzen Umfange des Königreichs


Grenzboten II. 1887. ^
Deutsch-böhmische Briefe.

Mission für Bezirks- und Gemeindeangelegenheiten verwiesen wurde, und daß die
Mehrheit der Kommission darauf beantragte, der Landtag wolle beschließen: „In
allen Fällen, wo die Bevölkerung der einen oder der andern Nationalität in
national gemischten Gerichtsbezirken das Verlangen nach einer Abgrenzung auf
Grundlage der Sprachcngrenzc geltend macht, ist diesem Verlangen, soweit es
nach Maßgabe der geographischen, wirtschaftlichen und sonstigen Verhältnisse
sich als thunlich erweist, durch Teilung der betreffenden Gerichtsbezirke, even¬
tuell selbst durch Bildung neuer zu entsprechen," daß die Minderheit dagegen
wörtlich den Herbstschen Antrag wiederholte, und daß dieser am 15. Oktober
nach langen Debatten abgelehnt und der Antrag der Mehrheit angenommen
wurde.

Die Vertreter der Deutschböhmcn ließen sich dadurch nicht abschrecken, und im
nächsten Jahre, am 5. Dezember 1885, brachte ihr Führer, or. v. Pierer, mit vier¬
undsechzig Genossen im böhmischen Landtage den Antrag ein, der letztere wolle be¬
schließen: „1. Die Sprachenverordnung vom 19. April 1880 für die Kreisgerichts¬
sprengel Eger, Brüx, Leipa, Leitmeritz und Reichenberg aufzuheben und den früheren,
der Gerichtsordnung entsprechenden Zustand, nach welchem nur die im Gerichts¬
bezirke übliche Sprache bei Gericht zu gebrauchen ist, wiederherzustellen, sowie
die nötig werdende Ausscheidung tschechischer Bezirke und Gemeinden aus diesen
deutschen Kreisgerichtssprengeln vorzunehmen, 2. auf derselben sprachenrecht¬
lichen Grundlage wie der der genannten fünf deutschen Kreisgerichte für die
übrigen deutschen Teile des Landes drei neue Kreisgerichte im Nordosten,
Westen und Süden zu errichten, 3. die Bezirke thunlichst nach Nationalitäts¬
verhältnissen abzugrenzen, 4. im Anschluß an die neue Einteilung der Gerichts¬
bezirke beim k. k. Oberlandesgerichte zwei Senate zu bilden, 6. die Verwaltungs¬
bezirke ebenfalls thunlichst nach sprachlichen Grenzen neu einzuteilen." Dieser
Antrag unterschied sich im Wesen nicht von dem Herbstschen, ließ aber den
Zweck, den jener verfolgt hatte, die Beseitigung der Sprachenverordnung für
das deutsche Gebiet Böhmens und die Befreiung von den Einflüssen der zwei¬
sprachigen Verwaltung, deutlicher als jener hervortreten. Der Antragsteller
motivirte seine Forderung bei der ersten Lesung in ebenso maßvoller als meister¬
hafter Weise mit statistischen, gesetzlichen und materiellen Gründen, aber die
Mehrheit der Kommission, der sie dann übergeben wurde, empfahl dem Plenum,
über den Antrag zur Tagesordnung überzugehen, und dies geschah, obwohl
Pierer in zwei weiteren trefflichen Reden die Mehrheit von der Gerechtigkeit
und Nützlichkeit seines Verlangens zu überzeugen versucht hatte, und dabei von
andern Mitgliedern der deutschen Linken kräftig unterstützt worden war. Es
sollte bei dem Beschlusse vom 15. Oktober 1884 verbleiben. Und nicht genug
damit, wurde ein zweiter Abschnitt des Antrages der Kommissionsmehrhelt an¬
genommen, in welchem es hieß: „Der Landtag spricht die Überzeugung aus,
daß in Gemäßheit der bestehenden Gesetze im ganzen Umfange des Königreichs


Grenzboten II. 1887. ^
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/313>, abgerufen am 17.09.2024.