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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Es ist überhaupt bedenklich, wenn die niedere Geistlichkeit sich mit Politik
befaßt und sich da eine eigne Meinung bildet, die dann gewöhnlich umso gröber
und eifriger geltend gemacht und umso zäher festgehalten wird, je tiefer
die betreffenden stehen und je enger infolge dessen ihr Gesichtskreis, je un¬
entwickelter ihre Urteilskraft, je stärker das Gefühl ihrer persönlichen Wichtig¬
keit ist. Es kann dann zu offner Unbotmäßigkeit kommen. Ein Beispiel aus
unsern Tagen ist der katholische Priester MacGlynn in den Vereinigten Staaten,
welcher für die Lehre, des Sozialisten Henry George auftrat und behauptete,
das Privateigentum widerstreite dem Naturgefühle, und mau dürfe die Be¬
sitzenden gerechterweise ohne Entschuldigung ihrer Güter berauben. Vergebens
mahnten ihn seine geistlichen Obern mit Hinweis auf die göttlichen Gebote
davon ab. Er erkannte weder dem Bischöfe noch dem Papste die Befugnis
zu, ihn wegen seiner politischen Meinungen zu verdammen, und weigerte sich,
wegen seiner Entschuldigung nach Rom zu kommen. Ähnliches Zuwider¬
handeln gegen die Moralgrundsätze, welche der heilige Stuhl zu verkünden be¬
rechtigt und verpflichtet war, und welche er wiederholt deutlich vor aller Welt
ausgesprochen hatte, gewahrten wir in der deutschen Kaplanspresse, die sich bei
der letzten Neichstagswcchl nicht scheute, für die Sozialdemokraten Partei zu
ergreifen und für deren Kandidaten in den Kreisen katholischer Arbeiter zu
wirken. Doch war es hier nicht so sehr der Glaube an die sozialistische After¬
weisheit als die Verwandtschaft in der Opposition gegen die Regierung und
die ihr geneigten Parteien, zu der man von den Führern des Ultramontanis¬
mus fort und fort aufgeregt worden und die den kleinen geistlichen Herren
von der Presse während des langen Kulturkampfes zur andern Natur geworden
war. Vlövtsrs si us<zuoo saxeros, ^odorontg. inove-do hatte man vermutlich
gedacht, und das klingt sehr heroisch, war aber hier sehr unpolitisch und übel
angebracht.

Weit ärgere Folgen aber hatte die Aufbietung, um nicht zu sagen, die
Aufwühlung der untern und untersten Schichten des Klerus während des letzten
Stadiums jenes Kampfes, wo diese Schichten mit einem erheblichen Teile der
Vertretung ihrer Partei im Reichstage päpstlicher als der Papst warm, der zum
Frieden neigte, und eine Disziplinlosigkeit an den Tag legten, welche geradezu
unerhört war und zu schweren Besorgnissen für die Zukunft der Kirche Anlaß
geben würde, wenn es deren höchster Leitung nicht bald gelänge, diesen Geist
zu bannen oder wenigstens durch geeignete Mittel zu dämpfen. Bei zahlreichen
Kundgebungen in ultramontanen Kreisen, welche die Stellung hervorrief, die
der heilige Vater zur Frage des Septennats einzunehmen für gut fand, mußte
man unwillkürlich an die Verlegenheit des Goethischen Zauberlehrlings denken
und deu hochstehenden ersten Urhebern des sich äußernden Widerstandes gegen
die Ratschläge und Empfehlungen der Jacobinischen Briefe den Angstruf in den
Mund legen: "Die ich rief, die Geister, werd' ich nun nicht los." Sie wollten


Es ist überhaupt bedenklich, wenn die niedere Geistlichkeit sich mit Politik
befaßt und sich da eine eigne Meinung bildet, die dann gewöhnlich umso gröber
und eifriger geltend gemacht und umso zäher festgehalten wird, je tiefer
die betreffenden stehen und je enger infolge dessen ihr Gesichtskreis, je un¬
entwickelter ihre Urteilskraft, je stärker das Gefühl ihrer persönlichen Wichtig¬
keit ist. Es kann dann zu offner Unbotmäßigkeit kommen. Ein Beispiel aus
unsern Tagen ist der katholische Priester MacGlynn in den Vereinigten Staaten,
welcher für die Lehre, des Sozialisten Henry George auftrat und behauptete,
das Privateigentum widerstreite dem Naturgefühle, und mau dürfe die Be¬
sitzenden gerechterweise ohne Entschuldigung ihrer Güter berauben. Vergebens
mahnten ihn seine geistlichen Obern mit Hinweis auf die göttlichen Gebote
davon ab. Er erkannte weder dem Bischöfe noch dem Papste die Befugnis
zu, ihn wegen seiner politischen Meinungen zu verdammen, und weigerte sich,
wegen seiner Entschuldigung nach Rom zu kommen. Ähnliches Zuwider¬
handeln gegen die Moralgrundsätze, welche der heilige Stuhl zu verkünden be¬
rechtigt und verpflichtet war, und welche er wiederholt deutlich vor aller Welt
ausgesprochen hatte, gewahrten wir in der deutschen Kaplanspresse, die sich bei
der letzten Neichstagswcchl nicht scheute, für die Sozialdemokraten Partei zu
ergreifen und für deren Kandidaten in den Kreisen katholischer Arbeiter zu
wirken. Doch war es hier nicht so sehr der Glaube an die sozialistische After¬
weisheit als die Verwandtschaft in der Opposition gegen die Regierung und
die ihr geneigten Parteien, zu der man von den Führern des Ultramontanis¬
mus fort und fort aufgeregt worden und die den kleinen geistlichen Herren
von der Presse während des langen Kulturkampfes zur andern Natur geworden
war. Vlövtsrs si us<zuoo saxeros, ^odorontg. inove-do hatte man vermutlich
gedacht, und das klingt sehr heroisch, war aber hier sehr unpolitisch und übel
angebracht.

Weit ärgere Folgen aber hatte die Aufbietung, um nicht zu sagen, die
Aufwühlung der untern und untersten Schichten des Klerus während des letzten
Stadiums jenes Kampfes, wo diese Schichten mit einem erheblichen Teile der
Vertretung ihrer Partei im Reichstage päpstlicher als der Papst warm, der zum
Frieden neigte, und eine Disziplinlosigkeit an den Tag legten, welche geradezu
unerhört war und zu schweren Besorgnissen für die Zukunft der Kirche Anlaß
geben würde, wenn es deren höchster Leitung nicht bald gelänge, diesen Geist
zu bannen oder wenigstens durch geeignete Mittel zu dämpfen. Bei zahlreichen
Kundgebungen in ultramontanen Kreisen, welche die Stellung hervorrief, die
der heilige Vater zur Frage des Septennats einzunehmen für gut fand, mußte
man unwillkürlich an die Verlegenheit des Goethischen Zauberlehrlings denken
und deu hochstehenden ersten Urhebern des sich äußernden Widerstandes gegen
die Ratschläge und Empfehlungen der Jacobinischen Briefe den Angstruf in den
Mund legen: „Die ich rief, die Geister, werd' ich nun nicht los." Sie wollten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/306>, abgerufen am 17.09.2024.