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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Gin fauler Fleck im Gerichtskostengesetz.

sie ist von den beteiligten Kreisen schon viel geschrieben worden und wird noch
viel gesprochen werden; wir enthalten uns jedes Eingehens auf diesen Teil des
Entwurfs und wollen im folgenden nur einen Punkt des Gerichtskostengesetzes
zur Erörterung bringen, der bedauerlicherweise in dem Entwurf keine Berück¬
sichtigung gefunden hat, so sehr er auch eine solche verdient hätte. Alle Angriffe,
welche seit Jahren gegen das Gerichtskostengesetz gerichtet worden sind, betreffen
die Höhe seiner Sätze, wenden sich gegen die Härte, mit der es die kosten¬
pflichtige Partei trifft; die Bestimmung, die hier bekämpft werden soll, ist nicht
bloß eine Härte, sondern eine schreiende Ungerechtigkeit, sie trifft nicht den
Schuldigen zu hart, sondern sie trifft einen Unschuldigen; es handelt sich um
§ 90 des Gerichtskostengesetzes, welcher bestimmt: "Die Verpflichtung zur Zahlung
der vorzuschießenden Beträge (KZ 81--85) bleibt bestehen, wenn auch die Kosten
des Verfahrens einem andern auferlegt oder von einem andern übernommen sind."

"Unentgeltlichkeit der Rechtspflege" oder auch "billiges Recht" ist bekannt¬
lich eine von demokratischer oder sagen wir lieber von demagogischer Seite oft
erhobene Forderung. Die Forderung, so wie sie gestellt und von den Wort¬
führern verstanden wird, ist eine Verkehrtheit, eine Unsittlichkeit; doch liegt ihr,
wie den meisten verkehrten Forderungen, ein gesunder Gedanke zu Grunde.
Eine Verkehrtheit ist die Forderung, daß der Staat die gesamten Kosten der
Rechtspflege tragen, auf Sporteln oder Gebühren vollständig verzichten solle.
Zwar würden alle Lumpen im deutschen Reiche eine solche Bestimmung mit
Freuden begrüßen: der gerechtesten Forderung könnte man sich dann Wochen,
Monate und Jahre lang mit mutwilligen Bestreiter straflos entziehen, straflos
mit den mutwilligsten Ansprüchen einen ehrlichen Mann unablässig belästigen.
Der gesunde Kern der Forderung aber liegt in dem Gedanken: wer nicht bloß
Recht sucht oder zu suchen vorgiebt, sondern auch Recht hat, der soll von dem
Staate, dem Träger und Schützer des Rechts, nicht mit Kosten beschwert werden.
In diesem Sinne ist das Verlangen nicht bloß nach billigem, sondern auch nach
unentgeltlichen Rechte durchaus berechtigt. Ebenso berechtigt ist dann aber auch
das andre Verlangen: wer Unrecht hat oder Unrecht thut, der soll auch die
Kosten des Unrechts tragen: billiges Recht -- teures Unrecht!

Freilich stehen dem objektiven Unrecht sehr verschiedne Stufen des subjek¬
tiven Unrechts gegenüber; die Partei, die unterliegt, weil sie objektiv Unrecht
hat, kann wider besseres Wissen -- in grobem, thatsächlichem oder rechtlichem
Irrtum --, sie kann aber auch in völlig gutem Glauben gestritten haben (von
der Möglichkeit, daß sie in Wirklichkeit Recht gehabt hat und nur durch ver¬
kehrten Richterspruch unterlegen ist, müssen wir ganz absehen). Daß sie in allen
drei Fällen gleich hohe Gebühren bezahlen muß, dadurch wird allerdings ein
gesundes Rechtsgefühl verletzt, und es dürfte sich der Erwägung des Gesetz¬
gebers empfehlen, ob nicht in dieser Richtung eine Änderung möglich wäre.
Zunächst aber haben wir mit dem bestehenden Rechte zu rechnen, welches (reget-


Gin fauler Fleck im Gerichtskostengesetz.

sie ist von den beteiligten Kreisen schon viel geschrieben worden und wird noch
viel gesprochen werden; wir enthalten uns jedes Eingehens auf diesen Teil des
Entwurfs und wollen im folgenden nur einen Punkt des Gerichtskostengesetzes
zur Erörterung bringen, der bedauerlicherweise in dem Entwurf keine Berück¬
sichtigung gefunden hat, so sehr er auch eine solche verdient hätte. Alle Angriffe,
welche seit Jahren gegen das Gerichtskostengesetz gerichtet worden sind, betreffen
die Höhe seiner Sätze, wenden sich gegen die Härte, mit der es die kosten¬
pflichtige Partei trifft; die Bestimmung, die hier bekämpft werden soll, ist nicht
bloß eine Härte, sondern eine schreiende Ungerechtigkeit, sie trifft nicht den
Schuldigen zu hart, sondern sie trifft einen Unschuldigen; es handelt sich um
§ 90 des Gerichtskostengesetzes, welcher bestimmt: „Die Verpflichtung zur Zahlung
der vorzuschießenden Beträge (KZ 81—85) bleibt bestehen, wenn auch die Kosten
des Verfahrens einem andern auferlegt oder von einem andern übernommen sind."

„Unentgeltlichkeit der Rechtspflege" oder auch „billiges Recht" ist bekannt¬
lich eine von demokratischer oder sagen wir lieber von demagogischer Seite oft
erhobene Forderung. Die Forderung, so wie sie gestellt und von den Wort¬
führern verstanden wird, ist eine Verkehrtheit, eine Unsittlichkeit; doch liegt ihr,
wie den meisten verkehrten Forderungen, ein gesunder Gedanke zu Grunde.
Eine Verkehrtheit ist die Forderung, daß der Staat die gesamten Kosten der
Rechtspflege tragen, auf Sporteln oder Gebühren vollständig verzichten solle.
Zwar würden alle Lumpen im deutschen Reiche eine solche Bestimmung mit
Freuden begrüßen: der gerechtesten Forderung könnte man sich dann Wochen,
Monate und Jahre lang mit mutwilligen Bestreiter straflos entziehen, straflos
mit den mutwilligsten Ansprüchen einen ehrlichen Mann unablässig belästigen.
Der gesunde Kern der Forderung aber liegt in dem Gedanken: wer nicht bloß
Recht sucht oder zu suchen vorgiebt, sondern auch Recht hat, der soll von dem
Staate, dem Träger und Schützer des Rechts, nicht mit Kosten beschwert werden.
In diesem Sinne ist das Verlangen nicht bloß nach billigem, sondern auch nach
unentgeltlichen Rechte durchaus berechtigt. Ebenso berechtigt ist dann aber auch
das andre Verlangen: wer Unrecht hat oder Unrecht thut, der soll auch die
Kosten des Unrechts tragen: billiges Recht — teures Unrecht!

Freilich stehen dem objektiven Unrecht sehr verschiedne Stufen des subjek¬
tiven Unrechts gegenüber; die Partei, die unterliegt, weil sie objektiv Unrecht
hat, kann wider besseres Wissen — in grobem, thatsächlichem oder rechtlichem
Irrtum —, sie kann aber auch in völlig gutem Glauben gestritten haben (von
der Möglichkeit, daß sie in Wirklichkeit Recht gehabt hat und nur durch ver¬
kehrten Richterspruch unterlegen ist, müssen wir ganz absehen). Daß sie in allen
drei Fällen gleich hohe Gebühren bezahlen muß, dadurch wird allerdings ein
gesundes Rechtsgefühl verletzt, und es dürfte sich der Erwägung des Gesetz¬
gebers empfehlen, ob nicht in dieser Richtung eine Änderung möglich wäre.
Zunächst aber haben wir mit dem bestehenden Rechte zu rechnen, welches (reget-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/28>, abgerufen am 17.09.2024.