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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Das Geheimmittelwesen.

Interesse, endlich der Apotheker, dessen verbrieftes Recht der Handel mit Arznei¬
mitteln ist und bleiben soll.

Diesen Forderungen kann nicht Genüge geleistet werden, wenn man die
Anschauung des alten Ernsting (Lemgo, 1770) teilt: "Geheimmittel schaden wider
alles Recht sowohl denen Ärzten als den Apothekern," sondern wenn man den
Geheimmitteln auch etwas Recht zuerkennt und mindestens hinzusetzt: nicht aber
dem Publikum. Entsprochen wird ihnen am besten, wenn die Geheimmittel nach
ihrem wirklichen Wesen im praktischen Leben behandelt werden und die Bevor¬
mundung des Publikums nicht allzuweit getrieben wird. So alt wie die
Menschheit, wird das Geheimmittel auch erst mit ihr aussierbcn, es soll deshalb
nicht versucht werden, es auszurotten, sondern die sucht des Publikums nach
der geheimnisvollen Panacee muß in richtige Bahnen geleitet werden, ähnlich
wie es der Staat mit der Sucht nach Glücksspielen in einer für sich nutz¬
bringenden Art thut.

Wie mit der Lotterie, so geht es dem Publikum auch mit den Geheim-
mitteln. Wenn der Kranke, um mit dem Volke zu sprechen, so und so viel
Ärzte, trotz der großen Fortschritte der Medizin, vergeblich gebraucht hat, dann
setzt er seine letzte Hoffnung ans irgend ein ihm empfohlenes Geheimmittel, das
vielen Bekannten geholfen und gegen dessen Gebrauch häusig selbst der Haus¬
arzt nichts einzuwenden hat, weil er an eigner Kunst verzweifelt. Die Folge
ist in vielen Fällen Heilung, obgleich das Geheimmittel vielleicht garnichts
Meß- und Wägbares (wie in den homöopathischen Arzneien) oder genau das¬
selbe enthalten hat, was auch der Hausarzt dem Kranken verordnet hatte. Der
Glaube, verpönt von dem exakten Naturwissenschafter, der gern gesehene Helfer
der alten Praktiker, der half!

Die Geheimmittel stehen samt und sonders unter der besondern Protektion
der Frauen, der natürlichen Krankenpflegerinnen, häufig mich unter der der
Lehrer und Geistlichen, deren Beruf es, besonders auf dem platten Lande, mit
sich bringt, Helfer und Berater in Not und Unglück zu sei". Daß bis in die
höchsten, also auch einsichtsvollen Kreise hinauf Geheimmittel eine große Rolle
spielen, daß die Fran manches Arztes lieber ein Geheimmittel braucht, als ihren
Manu um Rat fragt, daß selbst der Staat, der auch Arzneien fertigt und an¬
preist, mit Geheimmitteln im Interesse seiner Landeskinder sich verträgt, ist
bekannt. Ein Mittel gegen die Epilepsie aus gebräunten Elstern bestehend,
wurde in allerneuester Zeit unter dem Schutze einer Dame unsrer höchsten
Aristokratie dargestellt und verabreicht, während der Staat (und zwar unter dein
vorurteilsloser Friedrich II. 1782) ein Mittel gegen die Hundswut ankaufte
und seine, den Geheimmitteln sehr ähnliche Mineralwnsserpastillen als Non xlns
ultiA gegen alle möglichen Krankheiten auch jetzt noch anpreist.

Wie schon bemerkt, verordnen selbst hervorragende Ärzte, teilweise sogar mit
Vorliebe, Geheimmittel im wahren Sinne des Wortes, deren Zusammensetzung


Das Geheimmittelwesen.

Interesse, endlich der Apotheker, dessen verbrieftes Recht der Handel mit Arznei¬
mitteln ist und bleiben soll.

Diesen Forderungen kann nicht Genüge geleistet werden, wenn man die
Anschauung des alten Ernsting (Lemgo, 1770) teilt: „Geheimmittel schaden wider
alles Recht sowohl denen Ärzten als den Apothekern," sondern wenn man den
Geheimmitteln auch etwas Recht zuerkennt und mindestens hinzusetzt: nicht aber
dem Publikum. Entsprochen wird ihnen am besten, wenn die Geheimmittel nach
ihrem wirklichen Wesen im praktischen Leben behandelt werden und die Bevor¬
mundung des Publikums nicht allzuweit getrieben wird. So alt wie die
Menschheit, wird das Geheimmittel auch erst mit ihr aussierbcn, es soll deshalb
nicht versucht werden, es auszurotten, sondern die sucht des Publikums nach
der geheimnisvollen Panacee muß in richtige Bahnen geleitet werden, ähnlich
wie es der Staat mit der Sucht nach Glücksspielen in einer für sich nutz¬
bringenden Art thut.

Wie mit der Lotterie, so geht es dem Publikum auch mit den Geheim-
mitteln. Wenn der Kranke, um mit dem Volke zu sprechen, so und so viel
Ärzte, trotz der großen Fortschritte der Medizin, vergeblich gebraucht hat, dann
setzt er seine letzte Hoffnung ans irgend ein ihm empfohlenes Geheimmittel, das
vielen Bekannten geholfen und gegen dessen Gebrauch häusig selbst der Haus¬
arzt nichts einzuwenden hat, weil er an eigner Kunst verzweifelt. Die Folge
ist in vielen Fällen Heilung, obgleich das Geheimmittel vielleicht garnichts
Meß- und Wägbares (wie in den homöopathischen Arzneien) oder genau das¬
selbe enthalten hat, was auch der Hausarzt dem Kranken verordnet hatte. Der
Glaube, verpönt von dem exakten Naturwissenschafter, der gern gesehene Helfer
der alten Praktiker, der half!

Die Geheimmittel stehen samt und sonders unter der besondern Protektion
der Frauen, der natürlichen Krankenpflegerinnen, häufig mich unter der der
Lehrer und Geistlichen, deren Beruf es, besonders auf dem platten Lande, mit
sich bringt, Helfer und Berater in Not und Unglück zu sei». Daß bis in die
höchsten, also auch einsichtsvollen Kreise hinauf Geheimmittel eine große Rolle
spielen, daß die Fran manches Arztes lieber ein Geheimmittel braucht, als ihren
Manu um Rat fragt, daß selbst der Staat, der auch Arzneien fertigt und an¬
preist, mit Geheimmitteln im Interesse seiner Landeskinder sich verträgt, ist
bekannt. Ein Mittel gegen die Epilepsie aus gebräunten Elstern bestehend,
wurde in allerneuester Zeit unter dem Schutze einer Dame unsrer höchsten
Aristokratie dargestellt und verabreicht, während der Staat (und zwar unter dein
vorurteilsloser Friedrich II. 1782) ein Mittel gegen die Hundswut ankaufte
und seine, den Geheimmitteln sehr ähnliche Mineralwnsserpastillen als Non xlns
ultiA gegen alle möglichen Krankheiten auch jetzt noch anpreist.

Wie schon bemerkt, verordnen selbst hervorragende Ärzte, teilweise sogar mit
Vorliebe, Geheimmittel im wahren Sinne des Wortes, deren Zusammensetzung


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[0276] Das Geheimmittelwesen. Interesse, endlich der Apotheker, dessen verbrieftes Recht der Handel mit Arznei¬ mitteln ist und bleiben soll. Diesen Forderungen kann nicht Genüge geleistet werden, wenn man die Anschauung des alten Ernsting (Lemgo, 1770) teilt: „Geheimmittel schaden wider alles Recht sowohl denen Ärzten als den Apothekern," sondern wenn man den Geheimmitteln auch etwas Recht zuerkennt und mindestens hinzusetzt: nicht aber dem Publikum. Entsprochen wird ihnen am besten, wenn die Geheimmittel nach ihrem wirklichen Wesen im praktischen Leben behandelt werden und die Bevor¬ mundung des Publikums nicht allzuweit getrieben wird. So alt wie die Menschheit, wird das Geheimmittel auch erst mit ihr aussierbcn, es soll deshalb nicht versucht werden, es auszurotten, sondern die sucht des Publikums nach der geheimnisvollen Panacee muß in richtige Bahnen geleitet werden, ähnlich wie es der Staat mit der Sucht nach Glücksspielen in einer für sich nutz¬ bringenden Art thut. Wie mit der Lotterie, so geht es dem Publikum auch mit den Geheim- mitteln. Wenn der Kranke, um mit dem Volke zu sprechen, so und so viel Ärzte, trotz der großen Fortschritte der Medizin, vergeblich gebraucht hat, dann setzt er seine letzte Hoffnung ans irgend ein ihm empfohlenes Geheimmittel, das vielen Bekannten geholfen und gegen dessen Gebrauch häusig selbst der Haus¬ arzt nichts einzuwenden hat, weil er an eigner Kunst verzweifelt. Die Folge ist in vielen Fällen Heilung, obgleich das Geheimmittel vielleicht garnichts Meß- und Wägbares (wie in den homöopathischen Arzneien) oder genau das¬ selbe enthalten hat, was auch der Hausarzt dem Kranken verordnet hatte. Der Glaube, verpönt von dem exakten Naturwissenschafter, der gern gesehene Helfer der alten Praktiker, der half! Die Geheimmittel stehen samt und sonders unter der besondern Protektion der Frauen, der natürlichen Krankenpflegerinnen, häufig mich unter der der Lehrer und Geistlichen, deren Beruf es, besonders auf dem platten Lande, mit sich bringt, Helfer und Berater in Not und Unglück zu sei». Daß bis in die höchsten, also auch einsichtsvollen Kreise hinauf Geheimmittel eine große Rolle spielen, daß die Fran manches Arztes lieber ein Geheimmittel braucht, als ihren Manu um Rat fragt, daß selbst der Staat, der auch Arzneien fertigt und an¬ preist, mit Geheimmitteln im Interesse seiner Landeskinder sich verträgt, ist bekannt. Ein Mittel gegen die Epilepsie aus gebräunten Elstern bestehend, wurde in allerneuester Zeit unter dem Schutze einer Dame unsrer höchsten Aristokratie dargestellt und verabreicht, während der Staat (und zwar unter dein vorurteilsloser Friedrich II. 1782) ein Mittel gegen die Hundswut ankaufte und seine, den Geheimmitteln sehr ähnliche Mineralwnsserpastillen als Non xlns ultiA gegen alle möglichen Krankheiten auch jetzt noch anpreist. Wie schon bemerkt, verordnen selbst hervorragende Ärzte, teilweise sogar mit Vorliebe, Geheimmittel im wahren Sinne des Wortes, deren Zusammensetzung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/276>, abgerufen am 17.09.2024.