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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Rechtseinheit,

der Abänderung durch die Landesgesetzgebung unterlagen, bis im Norddeutschen
Bunde und im neuen deutschen Reiche diese Gesetze zu Bundes- und Reichsgesetzeu
erklärt wurden, gleichzeitig mit der Schaffung des Bundes-, später Reichsober¬
handelsgerichts zu Leipzig, aus welchem dann das jetzige Reichsgericht erwuchs,
diejenige Behörde, welche durch das seinen Nechtssprüchen gebührende Ansehen
die Gewähr dafür bietet, daß die Gerichte das einheitliche Recht auch in mög¬
lichst einheitlicher Auslegung zur Anwendung bringen.

Einen grundlegenden Schritt für die Schaffung eines gemeinsamen deutschen
bürgerlichen Gesetzbuches that die Reichsgesetzgebung, als sie die die Zuständig¬
keit des Reiches für Justizgesetzgebung regelnde Ur. 13 des Art. 4 der Reichs¬
verfassung änderte. Bestimmte diese Verfassungsvorschrift bis dahin, daß zur
Zuständigkeit des Reiches gehören solle: "Die gemeinsame Gesetzgebung über
das Obligationenrecht, das Strafrecht, das Handels- und Wechselrecht und das
gerichtliche Verfahren," so hieß es nach dem Reichsgesetze vom 20. Dezember
1873 statt dessen: "Die gemeinsame Gesetzgebung über das gesamte bürgerliche
Recht, das Strafrecht und das gerichtliche Verfahren."

Bereits durch Beschluß des Bundesrath vom 22. Juni 1874 ist eine aus
elf Mitgliedern bestehende Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfes eines
bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich angeordnet und dann, mit
dem Wirklichen Geheimen Rat Dr. Pape, dem früheren Präsidenten des Reichs-
Oberhandelsgerichts, als Vorsitzenden, berufen worden. Die Arbeiten dieser
Kommission nähern sich jetzt dem Abschlüsse der ersten Lesung, und man hegt
die Hoffnung, noch im Laufe dieses Jahres den ersten Gesamtentwurf der Kom¬
mission veröffentlicht zu sehen, eine Veröffentlichung, die den Zweck haben soll,
die allgemeine Kritik der Arbeit zu ermöglichen. Schwierig im höchsten Grade
muß das Werk genannt werden, und Vorsicht der peinlichsten Art hat der
Gesetzgeber anzuwenden, um in Sachen des Mein und Dein, in welchen der
Einzelne durch neue Gesetze unmittelbar betroffen und unter Umständen empfind¬
lich benachteiligt werden kann, Unzufriedenheit mit dem Neuen möglichst fern¬
zuhalten. Ist auch der Staatsbürger stets geneigt, in öffentlichen Dingen
seinem Mißvergnügen den entsprechenden Ausdruck zu geben, so berühren privat¬
rechtliche Gesetze doch weit mehr als z. B. Steuergesetze die Rechtssphäre des
Bürgers. Fasse man z. B. die Änderung des Erbrechts ins Auge, welche von
heute zu morgen demjenigen, der nach dem alten Recht als Erbe berufen ist,
diese Anwartschaft plötzlich entziehen kann. Hoffen wir, daß die Schwierig¬
keiten überwunden werden durch die Tüchtigkeit der an dem Werke beschäftigten
auserlesenen Männer, wie durch die Liebe zur Sache bei den Vertretern unsers
Volkes im Bundesrate und Reichstage und die Macht des nationalen Gedankens,
hinter dessen Bedeutung Einzelinteressen zurückweichen müssen. Wenn man
hieran noch einen Wunsch knüpfen darf, so wäre es der, daß es denen, welchen
in erster Linie die Neichseinheit zu verdanken ist, mit der die Rechtseinheit


Die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Rechtseinheit,

der Abänderung durch die Landesgesetzgebung unterlagen, bis im Norddeutschen
Bunde und im neuen deutschen Reiche diese Gesetze zu Bundes- und Reichsgesetzeu
erklärt wurden, gleichzeitig mit der Schaffung des Bundes-, später Reichsober¬
handelsgerichts zu Leipzig, aus welchem dann das jetzige Reichsgericht erwuchs,
diejenige Behörde, welche durch das seinen Nechtssprüchen gebührende Ansehen
die Gewähr dafür bietet, daß die Gerichte das einheitliche Recht auch in mög¬
lichst einheitlicher Auslegung zur Anwendung bringen.

Einen grundlegenden Schritt für die Schaffung eines gemeinsamen deutschen
bürgerlichen Gesetzbuches that die Reichsgesetzgebung, als sie die die Zuständig¬
keit des Reiches für Justizgesetzgebung regelnde Ur. 13 des Art. 4 der Reichs¬
verfassung änderte. Bestimmte diese Verfassungsvorschrift bis dahin, daß zur
Zuständigkeit des Reiches gehören solle: „Die gemeinsame Gesetzgebung über
das Obligationenrecht, das Strafrecht, das Handels- und Wechselrecht und das
gerichtliche Verfahren," so hieß es nach dem Reichsgesetze vom 20. Dezember
1873 statt dessen: „Die gemeinsame Gesetzgebung über das gesamte bürgerliche
Recht, das Strafrecht und das gerichtliche Verfahren."

Bereits durch Beschluß des Bundesrath vom 22. Juni 1874 ist eine aus
elf Mitgliedern bestehende Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfes eines
bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich angeordnet und dann, mit
dem Wirklichen Geheimen Rat Dr. Pape, dem früheren Präsidenten des Reichs-
Oberhandelsgerichts, als Vorsitzenden, berufen worden. Die Arbeiten dieser
Kommission nähern sich jetzt dem Abschlüsse der ersten Lesung, und man hegt
die Hoffnung, noch im Laufe dieses Jahres den ersten Gesamtentwurf der Kom¬
mission veröffentlicht zu sehen, eine Veröffentlichung, die den Zweck haben soll,
die allgemeine Kritik der Arbeit zu ermöglichen. Schwierig im höchsten Grade
muß das Werk genannt werden, und Vorsicht der peinlichsten Art hat der
Gesetzgeber anzuwenden, um in Sachen des Mein und Dein, in welchen der
Einzelne durch neue Gesetze unmittelbar betroffen und unter Umständen empfind¬
lich benachteiligt werden kann, Unzufriedenheit mit dem Neuen möglichst fern¬
zuhalten. Ist auch der Staatsbürger stets geneigt, in öffentlichen Dingen
seinem Mißvergnügen den entsprechenden Ausdruck zu geben, so berühren privat¬
rechtliche Gesetze doch weit mehr als z. B. Steuergesetze die Rechtssphäre des
Bürgers. Fasse man z. B. die Änderung des Erbrechts ins Auge, welche von
heute zu morgen demjenigen, der nach dem alten Recht als Erbe berufen ist,
diese Anwartschaft plötzlich entziehen kann. Hoffen wir, daß die Schwierig¬
keiten überwunden werden durch die Tüchtigkeit der an dem Werke beschäftigten
auserlesenen Männer, wie durch die Liebe zur Sache bei den Vertretern unsers
Volkes im Bundesrate und Reichstage und die Macht des nationalen Gedankens,
hinter dessen Bedeutung Einzelinteressen zurückweichen müssen. Wenn man
hieran noch einen Wunsch knüpfen darf, so wäre es der, daß es denen, welchen
in erster Linie die Neichseinheit zu verdanken ist, mit der die Rechtseinheit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/272>, abgerufen am 17.09.2024.