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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Noch einmal die Unzulänglichkeit des theologischen Studiums.

vollste, was geschehen könnte. Jetzt wird die Kirche, trotz des Bleigewichtes
der Synode, das immer mehr oder weniger in Parteiherrschaft so oder so
auslaufen wird, doch mit dem durch den Minister beratenen Landesherrn als
Kumulus "xisczoxus an der Spitze durch eine Macht geleitet, die nicht in dem
Treiben der Partei mitten inne steht. Wer diese Macht beseitigen will, der
arbeitet für die Knechtschaft, eine Arbeit, die das Gros der Liberalen seit 1848
mit ihrem Rufe: Selbständigkeit der Kirche und Lostrennuug derselbe" vom
Staat, unglücklicherweise betrieben hat. Sie haben in großer Thorheit denen
in die Hände gearbeitet, die mit dieser Selbständigkeit die beste Waffe gewannen
für klerikales Regiment. Diese Liberalen haben in kirchlichen Dingen noch mehr
als in staatlichen ihren vollen Mangel an Kenntnis der Sachen und der
Meuschen bewiesen und haben vielfach mehr für Rückschritt gesorgt, besonders
seitdem sie den Namen des Fortschritts führten, als die Männer der Reaktion.
Mit ihrer Lostrennung der Kirche vom Staat, wie sie Virchow und Genossen
noch heute fordern, sind sie daran schuld, wenn jetzt Dinge verlangt werden,
die man früher garnicht diskutirt hätte, weil man sie für Auswüchse eines
Tollkopfes gehalten hätte, wie die Forderung der Besetzung der theologischen
Professuren durch das vou der Generalsynode abhängige Kirchenregiment. Dieser
Ausspruch ist vollauf begründet, wenn die Selbständigkeit der Kirche begründet
ist. Aber wer das verlangt, der mag nur nicht mehr sagen, daß er Protestant sei.

Wir kommen hier zurück auf das theologische Studium. Es darf das¬
selbe in der evangelischen Kirche nicht verengert werden, wie es geschieht, wenn
man den wissenschaftlichen Umfang desselben nach der Seite der Theologie hin
weiter ausdehnt und das damit begründet, daß die Thätigkeit der Geistlichen
heutzutage eine viel umfassendere sei als früher. Allerdings, je weiter man
die Thätigkeit des Geistlichen als solchen ausdehnt, desto mehr muß mau sein
Studium theologisch ausdehnen, d. h. wissenschaftlich verengern. Das hängt
innig zusammen. Der Theolog hat dann weder Zeit noch Aufgabe, etwas andres
zu treiben, als das, was er später, nach etlichen Jahren, als Geistlicher braucht.
So wird er von vornherein auf den banausischen Standpunkt des Militarismus
versetzt. Einen Halt giebt es hier nicht. Das Ende ist das Seminar, Auf¬
hebung des Studiums auf der Universität, geistliche Ablichtung. Dahin kommt
es, wenn man den Geistlichen mit seiner Thätigkeit nach allen Seiten hin ein¬
greifen lasten will, und das als amtliche Aufgabe hinstellt. Es geschieht da
jetzt schon viel zu viel. Und was ist die Folge davon? Der Verfasser unsrer
Broschüre sagt das selbst am Besten: "Es künden sich Mängel an hin geist¬
lichen Stands, welche nicht weiter um sich greifen dürfen, ohne tieferen Schaden
anzurichten. Eine hastige, ruhelose Vielgeschäftigkeit, ein Tasten und Experi-
mentiren macht sich geltend, welches etwas Krankhaftes an sich trägt. Auch
tüchtige und erfahrene Pfarrer stellen sich zuweilen, als hätten sie kein rechtes
Zutrauen zu ihrer Sache und keine Aussichten für die Zukunft, und die besten


Noch einmal die Unzulänglichkeit des theologischen Studiums.

vollste, was geschehen könnte. Jetzt wird die Kirche, trotz des Bleigewichtes
der Synode, das immer mehr oder weniger in Parteiherrschaft so oder so
auslaufen wird, doch mit dem durch den Minister beratenen Landesherrn als
Kumulus «xisczoxus an der Spitze durch eine Macht geleitet, die nicht in dem
Treiben der Partei mitten inne steht. Wer diese Macht beseitigen will, der
arbeitet für die Knechtschaft, eine Arbeit, die das Gros der Liberalen seit 1848
mit ihrem Rufe: Selbständigkeit der Kirche und Lostrennuug derselbe» vom
Staat, unglücklicherweise betrieben hat. Sie haben in großer Thorheit denen
in die Hände gearbeitet, die mit dieser Selbständigkeit die beste Waffe gewannen
für klerikales Regiment. Diese Liberalen haben in kirchlichen Dingen noch mehr
als in staatlichen ihren vollen Mangel an Kenntnis der Sachen und der
Meuschen bewiesen und haben vielfach mehr für Rückschritt gesorgt, besonders
seitdem sie den Namen des Fortschritts führten, als die Männer der Reaktion.
Mit ihrer Lostrennung der Kirche vom Staat, wie sie Virchow und Genossen
noch heute fordern, sind sie daran schuld, wenn jetzt Dinge verlangt werden,
die man früher garnicht diskutirt hätte, weil man sie für Auswüchse eines
Tollkopfes gehalten hätte, wie die Forderung der Besetzung der theologischen
Professuren durch das vou der Generalsynode abhängige Kirchenregiment. Dieser
Ausspruch ist vollauf begründet, wenn die Selbständigkeit der Kirche begründet
ist. Aber wer das verlangt, der mag nur nicht mehr sagen, daß er Protestant sei.

Wir kommen hier zurück auf das theologische Studium. Es darf das¬
selbe in der evangelischen Kirche nicht verengert werden, wie es geschieht, wenn
man den wissenschaftlichen Umfang desselben nach der Seite der Theologie hin
weiter ausdehnt und das damit begründet, daß die Thätigkeit der Geistlichen
heutzutage eine viel umfassendere sei als früher. Allerdings, je weiter man
die Thätigkeit des Geistlichen als solchen ausdehnt, desto mehr muß mau sein
Studium theologisch ausdehnen, d. h. wissenschaftlich verengern. Das hängt
innig zusammen. Der Theolog hat dann weder Zeit noch Aufgabe, etwas andres
zu treiben, als das, was er später, nach etlichen Jahren, als Geistlicher braucht.
So wird er von vornherein auf den banausischen Standpunkt des Militarismus
versetzt. Einen Halt giebt es hier nicht. Das Ende ist das Seminar, Auf¬
hebung des Studiums auf der Universität, geistliche Ablichtung. Dahin kommt
es, wenn man den Geistlichen mit seiner Thätigkeit nach allen Seiten hin ein¬
greifen lasten will, und das als amtliche Aufgabe hinstellt. Es geschieht da
jetzt schon viel zu viel. Und was ist die Folge davon? Der Verfasser unsrer
Broschüre sagt das selbst am Besten: „Es künden sich Mängel an hin geist¬
lichen Stands, welche nicht weiter um sich greifen dürfen, ohne tieferen Schaden
anzurichten. Eine hastige, ruhelose Vielgeschäftigkeit, ein Tasten und Experi-
mentiren macht sich geltend, welches etwas Krankhaftes an sich trägt. Auch
tüchtige und erfahrene Pfarrer stellen sich zuweilen, als hätten sie kein rechtes
Zutrauen zu ihrer Sache und keine Aussichten für die Zukunft, und die besten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/258>, abgerufen am 17.09.2024.