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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Ludwig Uhland und die altfrcnizd'fische Poesie.

noch heute stichhaltig. Ist es aber nicht echt dichterische und zugleich gelehrte
Feinfühligkeit, wenn er in einem Rolandsliede, dessen Existenz er aus verschiednen
Gründen vermutet (er selbst kannte nur den Roman av RcmosvMx), die Seele
der altfranzösischen Dichtung überhaupt vorausahnt? Ist es nicht ein Treffer
ersten Ranges, wenn er vorausahnt, daß es auch ein eignes Gedicht über
Karls des Großen Reise nach Jerusalem geben müsse, und daß der ihm vor¬
liegende provenoalische ?ierg.org,8 auf ein nordfranzösisches Original zurückgehen
müsse, was daun Diez im nähern bewiesen hat? Dem gegenüber ist nur ein
kleiner Fehler zu verzeichnen, indem er Crestieu de Trotzes für den Verfasser
des klein hält.

Auch in den Verhärten erkennt Uhland den Unterschied zwischen karolin-
gischen und bretonischen Dichtungen. Erstere sind nur in Alexandrinern oder
in fünffüßigen Jamben, letztere meist in vierfüßigen Schlagreimen geschrieben;
da er für den Alexandriner und den Nibclungenvers denselben germanischen
Ursprung annimmt, so ist ihm dies ein Beweis mehr für den germanische"
Einfluß.

Sodann bespricht Uhland die stilistischen Eigentümlichkeiten, und es drängen
sich ihm Vergleiche mit dem deutschen und griechischen Epos auf. Bedeutend
und musterhaft sind seine Bemerkungen über die Vortragsweise, in denen er
alles das aufs schönste darlegt, was zwanzig Jahren später P. Paris mit Be¬
rufung auf dieselben Beweisstellen festgestellt hat. Die Anmerkung des letztern:
"O'sse os <mi mz xg.rg.le xgs oiuzoro g-voir ete reillgrciuv" ist also demgemäß zu
Gunsten unsers deutschen Forschers zu berichtigen.

In dem folgenden Teile giebt Uhland eine kurze Entstehungsgeschichte der
altfranzösischen Epen. Zunächst gab es kleinere Einzelsäuge; "sie wuchsen im
Laufe der Jahrhunderte zu immer größern Dichtungen an, welche zuletzt, und
zwar, wie es scheint, vorzüglich im zwölften Jahrhundert von den Geistlichen,
als den Unterrichtetsten der Zeit, zu den epischen Kompositionen vereinigt und
erweitert wurden, welche auf unsre Zeit gekommen sind." An diesen Thatsachen,
welche Uhland zuerst für das französische Epos festgestellt hat, läßt sich auch
heute noch nicht rütteln, vielmehr bestätigt jede neue Entdeckung das von ihm
Gesagte. Auch darin war er der erste, daß er die falsche Meinung, als wäre
Turpins Chronik die Quelle der altfranzösischen Heldensage, energisch zurückwies.
Er sagte richtig, daß Turpiu nur ein einzelnes Glied in der Entwicklung des
französischen Nationalepos sei, als dessen letzte Ausläufer die Prvsaauflösmigcn
der LioliotnöciuL olsuo anzusehen sind. In der verständigsten Weise erklärt er
auch das Vorkommen der zahlreichen nig.rig.A68 durch die Bearbeiter, welche eben
meistens vieres waren.

Voll anregender Gedanken sind seine Worte über die Beziehungen zwischen
der altfranzösischen und germanischen Epopöe: er deutet aber nur an, wie eine
Untersuchung anzustellen wäre.


Ludwig Uhland und die altfrcnizd'fische Poesie.

noch heute stichhaltig. Ist es aber nicht echt dichterische und zugleich gelehrte
Feinfühligkeit, wenn er in einem Rolandsliede, dessen Existenz er aus verschiednen
Gründen vermutet (er selbst kannte nur den Roman av RcmosvMx), die Seele
der altfranzösischen Dichtung überhaupt vorausahnt? Ist es nicht ein Treffer
ersten Ranges, wenn er vorausahnt, daß es auch ein eignes Gedicht über
Karls des Großen Reise nach Jerusalem geben müsse, und daß der ihm vor¬
liegende provenoalische ?ierg.org,8 auf ein nordfranzösisches Original zurückgehen
müsse, was daun Diez im nähern bewiesen hat? Dem gegenüber ist nur ein
kleiner Fehler zu verzeichnen, indem er Crestieu de Trotzes für den Verfasser
des klein hält.

Auch in den Verhärten erkennt Uhland den Unterschied zwischen karolin-
gischen und bretonischen Dichtungen. Erstere sind nur in Alexandrinern oder
in fünffüßigen Jamben, letztere meist in vierfüßigen Schlagreimen geschrieben;
da er für den Alexandriner und den Nibclungenvers denselben germanischen
Ursprung annimmt, so ist ihm dies ein Beweis mehr für den germanische»
Einfluß.

Sodann bespricht Uhland die stilistischen Eigentümlichkeiten, und es drängen
sich ihm Vergleiche mit dem deutschen und griechischen Epos auf. Bedeutend
und musterhaft sind seine Bemerkungen über die Vortragsweise, in denen er
alles das aufs schönste darlegt, was zwanzig Jahren später P. Paris mit Be¬
rufung auf dieselben Beweisstellen festgestellt hat. Die Anmerkung des letztern:
„O'sse os <mi mz xg.rg.le xgs oiuzoro g-voir ete reillgrciuv" ist also demgemäß zu
Gunsten unsers deutschen Forschers zu berichtigen.

In dem folgenden Teile giebt Uhland eine kurze Entstehungsgeschichte der
altfranzösischen Epen. Zunächst gab es kleinere Einzelsäuge; „sie wuchsen im
Laufe der Jahrhunderte zu immer größern Dichtungen an, welche zuletzt, und
zwar, wie es scheint, vorzüglich im zwölften Jahrhundert von den Geistlichen,
als den Unterrichtetsten der Zeit, zu den epischen Kompositionen vereinigt und
erweitert wurden, welche auf unsre Zeit gekommen sind." An diesen Thatsachen,
welche Uhland zuerst für das französische Epos festgestellt hat, läßt sich auch
heute noch nicht rütteln, vielmehr bestätigt jede neue Entdeckung das von ihm
Gesagte. Auch darin war er der erste, daß er die falsche Meinung, als wäre
Turpins Chronik die Quelle der altfranzösischen Heldensage, energisch zurückwies.
Er sagte richtig, daß Turpiu nur ein einzelnes Glied in der Entwicklung des
französischen Nationalepos sei, als dessen letzte Ausläufer die Prvsaauflösmigcn
der LioliotnöciuL olsuo anzusehen sind. In der verständigsten Weise erklärt er
auch das Vorkommen der zahlreichen nig.rig.A68 durch die Bearbeiter, welche eben
meistens vieres waren.

Voll anregender Gedanken sind seine Worte über die Beziehungen zwischen
der altfranzösischen und germanischen Epopöe: er deutet aber nur an, wie eine
Untersuchung anzustellen wäre.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/220>, abgerufen am 17.09.2024.