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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die Ariegsbefürchtungen und die Ksvue 6es veux mondes.

übermächtigen, bis an die Zähne gerüsteten Gegner gegenüber zu finden, begreift
sich. Schwerer wird es dem gesunden Menschenverstande zu fassen, daß der Ver¬
fasser und seine Landsleute glauben, der Welt einreden zu können, daß an der
steten Unsicherheit des Friedens und den sich überbietendem Rüstungen nicht
Frankreich und seit einem Jahrzehnt auch Nußland, sondern allein Deutschland
die Schuld trage. Offenbar lautet jetzt die auf der ganzen Linie der franzö¬
sischen Presse ausgegebenen Parole dahin, gegen jeden Gedanken an kriegerische
Gelüste auf Seiten Frankreichs zu Protestiren und dagegen Deutschland als
Störenfried vor Europa anzuklagen. So kommt man nicht in die Verlegen¬
heit, auf verfängliche Fragen antworten zu müssen, wie die naheliegende, warum
denn die französische Regierung nicht erklärt, wie die deutsche, daß sie unter
keinen Umständen Krieg anfangen werde, daß sie den durch den Frankfurter
Frieden geschaffenen Zustand der Dinge als einen endgiltigen anerkenne und
auf eine Wiedereroberung der darin an Deutschland abgetretenen Provinzen
verzichte. Zu einer solchen Erklärung gehörte eben ein moralischer Mut, wie
ihn die gegenwärtige Machthaber nicht besitzen, da sie wissen, daß damit ihr
letztes Stündlein gekommen sein würde. Das zeigt sich deutlich genug in der
Art und Weise, wie die friedensfreundlichen Erklärungen des Herrn von Lesfeps
bei der Rückkehr von seiner Berliner Sendung durch die öffentliche Meinung
Frankreichs aufgenommen worden sind. Für Deutschland wäre allerdings auch
eine solche loyale Erklärung einer Regierung, die vielleicht über Nacht einer
andern von entgegengesetzten Gesinnungen, welche sich durch die Versprechungen
ihrer Vorgängerin keineswegs gebunden glauben würde, Platz machen muß, nur
von sehr geringfügigen Werte.

In dieser steten Unsicherheit der Regierenden und des Regierungssystems
in Verbindung mit dem weit verbreiteten und unablässig geschirrten Rachedurst
und der leichten Erregbarkeit der französischen Volkes liegt ja eben, wie Fürst
Bismarck wiederholt hervorgehoben hat, die große Gefahr für Deutschland. Daß
ihnen eine zuverlässige, dauerhafte, auf feste Ueberlieferung gegründete Regierung
fehlt und daß wir eine solche dagegen in so vollkommener Weise besitzen wie
kaum ein andrer Staat, das ist für viele Franzosen, und nicht die schlechtesten
unter ihnen, das ist ganz besonders auch für die Rsvus clos clsux monckss,
deren Mitarbeiter sich zwar zumeist ostensibel zur konservativen Republick nach
Thiersschem Muster bekennen, im Grunde aber monarchisch gesinnt sind, und
sür ihren heimischen Leserkreis eine Veranlassung mehr zum Neid und zur
Mißgunst, die sie gegen uns als die auf alle Weise vom Schicksal bevorzugten
erbittert.

Der Aufsatz der Revns Ass Äeux nronäss ist keineswegs bloß eine ver¬
einzelte Kundgebung eines verschrobenen Kopfes. Das Bestreben, sich Europa
gegenüber reinzuwaschen, Europa in Bezug auf Frankreichs Gesinnungen. Hoff¬
nungen und Absichten in Sorglosigkeit einzuwiegen und dagegen Deutschlands


Die Ariegsbefürchtungen und die Ksvue 6es veux mondes.

übermächtigen, bis an die Zähne gerüsteten Gegner gegenüber zu finden, begreift
sich. Schwerer wird es dem gesunden Menschenverstande zu fassen, daß der Ver¬
fasser und seine Landsleute glauben, der Welt einreden zu können, daß an der
steten Unsicherheit des Friedens und den sich überbietendem Rüstungen nicht
Frankreich und seit einem Jahrzehnt auch Nußland, sondern allein Deutschland
die Schuld trage. Offenbar lautet jetzt die auf der ganzen Linie der franzö¬
sischen Presse ausgegebenen Parole dahin, gegen jeden Gedanken an kriegerische
Gelüste auf Seiten Frankreichs zu Protestiren und dagegen Deutschland als
Störenfried vor Europa anzuklagen. So kommt man nicht in die Verlegen¬
heit, auf verfängliche Fragen antworten zu müssen, wie die naheliegende, warum
denn die französische Regierung nicht erklärt, wie die deutsche, daß sie unter
keinen Umständen Krieg anfangen werde, daß sie den durch den Frankfurter
Frieden geschaffenen Zustand der Dinge als einen endgiltigen anerkenne und
auf eine Wiedereroberung der darin an Deutschland abgetretenen Provinzen
verzichte. Zu einer solchen Erklärung gehörte eben ein moralischer Mut, wie
ihn die gegenwärtige Machthaber nicht besitzen, da sie wissen, daß damit ihr
letztes Stündlein gekommen sein würde. Das zeigt sich deutlich genug in der
Art und Weise, wie die friedensfreundlichen Erklärungen des Herrn von Lesfeps
bei der Rückkehr von seiner Berliner Sendung durch die öffentliche Meinung
Frankreichs aufgenommen worden sind. Für Deutschland wäre allerdings auch
eine solche loyale Erklärung einer Regierung, die vielleicht über Nacht einer
andern von entgegengesetzten Gesinnungen, welche sich durch die Versprechungen
ihrer Vorgängerin keineswegs gebunden glauben würde, Platz machen muß, nur
von sehr geringfügigen Werte.

In dieser steten Unsicherheit der Regierenden und des Regierungssystems
in Verbindung mit dem weit verbreiteten und unablässig geschirrten Rachedurst
und der leichten Erregbarkeit der französischen Volkes liegt ja eben, wie Fürst
Bismarck wiederholt hervorgehoben hat, die große Gefahr für Deutschland. Daß
ihnen eine zuverlässige, dauerhafte, auf feste Ueberlieferung gegründete Regierung
fehlt und daß wir eine solche dagegen in so vollkommener Weise besitzen wie
kaum ein andrer Staat, das ist für viele Franzosen, und nicht die schlechtesten
unter ihnen, das ist ganz besonders auch für die Rsvus clos clsux monckss,
deren Mitarbeiter sich zwar zumeist ostensibel zur konservativen Republick nach
Thiersschem Muster bekennen, im Grunde aber monarchisch gesinnt sind, und
sür ihren heimischen Leserkreis eine Veranlassung mehr zum Neid und zur
Mißgunst, die sie gegen uns als die auf alle Weise vom Schicksal bevorzugten
erbittert.

Der Aufsatz der Revns Ass Äeux nronäss ist keineswegs bloß eine ver¬
einzelte Kundgebung eines verschrobenen Kopfes. Das Bestreben, sich Europa
gegenüber reinzuwaschen, Europa in Bezug auf Frankreichs Gesinnungen. Hoff¬
nungen und Absichten in Sorglosigkeit einzuwiegen und dagegen Deutschlands


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/19>, abgerufen am 17.09.2024.