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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Dn Bois-Reymonds Gesammelte Reden.

so Würde, dessen sind wir gewiß, von deutscher Seite der Herstellung freund¬
licher offizieller und nichtoffizieller Beziehungen keinerlei Schwierigkeit bereitet
werden. Nur vor dem Weltbürgertum, welches für die ganze Welt mit Aus¬
nahme der heimischen "schwärmte" und dafür von der ganzen Welt mit Fußtritten
belohnt wurde und dessen Lehrsätze sich die Vaterlandslosen aller Farben für ihre
Zwecke zurechtgelegt haben, vor dem mögen uns gute Götter auch ferner bewahren.

In der Sorge, daß die Deutschen eine zu hohe Meinung von sich selbst
bekommen könnten, fühlt sich der Redner auch gedrungen, ihnen vorzuhalten,
daß sie weniger Pietät für Schriftsteller haben als die Franzosen. "Wer in
der französischen Literatur einen geachteten Namen, wenn auch geringeren
Ranges, erwarb, lebt unvergessen darin fort, und mit andächtiger Sorgfalt
wird sein Andenken von späten Nachkommen gehegt." Ob diese Behauptung
sich in ihrem ganzen Umfange beweisen ließe, scheint uns sehr zweifelhaft, doch
wagen wir nicht, uns darüber mit dem gründlichen Kenner der französischen
Literatur und der französischen Gesellschaft in einen Streit zu verwickeln. "Wer
liest bei uns noch Tieck, Jean Paul, Hoffmann, de la Motte Fouqus, Achin
von Arnim, Clemens Brentano, E. C. F. Schulze, Spindler und so viele andre,
ihrer Zeit gefeierte Namen, jetzt Hüter der Leihbibliotheken." Gewiß sind
manche von den Genannten mit Unrecht in Vergessenheit geraten, und es freut
uns, auch Spindlers gedacht zu sehen, dem sein Talent einen hohen Rang
über den allermeisten Romandichtern anweist, welche heute in der Gunst der Lese¬
welt stehen. Auf die Frage: "Wer liest bei uns noch u. s. w." sind wir so
frei, uns zu melden, aber eben deswegen müssen wir vermuten, daß Du Bois,
als er jenen Satz sprach, nicht von einem noch frischen Eindrucke, sondern von
Jugenderinnerungen beeinflußt wurde. Oder sollen wir ihm im Ernst glauben,
daß er noch imstande wäre, die Bezauberte Rose, den Helden des Nordens,
den Zauberring zu lesen? Er hegt eben "mit andächtiger Sorgfalt ihr An¬
denken," das ist recht und gut, das thun wir auch, aber mehr nicht. Und wenn
im physiologischen Institut der Universität Berlin wirklich noch sämtliche Ritter
und Schildknappen der Romantik umgehen, so berechtigt das noch keineswegs
zu dem Schlußsätze: "Entweder verdienten sie den Beifall nicht, den man ihnen
zollte: wo ist dann unser Geschmack? Oder sie verdienten ihn: wo ist dann unsre
Pietät?" Ist es, fragen wir dagegen, eine neue Entdeckung, daß die Zeiten sich
ändern und wir mit ihnen, oder gilt etwa dieser Satz nur für Deutschland?
Sollte es dem Verfasser nie begegnet sein, daß er eine Landschaft, die ihn ein¬
mal entzückt hatte, später in derselben Beleuchtung wiedersah und sich nicht klar
machen konnte, worin damals ihr großer Reiz bestanden habe? Urteilten nicht
das siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert verächtlich über alle mittelalterliche
Kunst und die klassizistische Zeit ebenso über Barock und Rokoko? Wurde nicht
zu seiner Zeit Mengs über Rasfael und Michelangelo gestellt? Wie lauge
ist es denn her, daß Bellini alle Opernbühnen beherrschte? Und begreifen wir


Dn Bois-Reymonds Gesammelte Reden.

so Würde, dessen sind wir gewiß, von deutscher Seite der Herstellung freund¬
licher offizieller und nichtoffizieller Beziehungen keinerlei Schwierigkeit bereitet
werden. Nur vor dem Weltbürgertum, welches für die ganze Welt mit Aus¬
nahme der heimischen „schwärmte" und dafür von der ganzen Welt mit Fußtritten
belohnt wurde und dessen Lehrsätze sich die Vaterlandslosen aller Farben für ihre
Zwecke zurechtgelegt haben, vor dem mögen uns gute Götter auch ferner bewahren.

In der Sorge, daß die Deutschen eine zu hohe Meinung von sich selbst
bekommen könnten, fühlt sich der Redner auch gedrungen, ihnen vorzuhalten,
daß sie weniger Pietät für Schriftsteller haben als die Franzosen. „Wer in
der französischen Literatur einen geachteten Namen, wenn auch geringeren
Ranges, erwarb, lebt unvergessen darin fort, und mit andächtiger Sorgfalt
wird sein Andenken von späten Nachkommen gehegt." Ob diese Behauptung
sich in ihrem ganzen Umfange beweisen ließe, scheint uns sehr zweifelhaft, doch
wagen wir nicht, uns darüber mit dem gründlichen Kenner der französischen
Literatur und der französischen Gesellschaft in einen Streit zu verwickeln. „Wer
liest bei uns noch Tieck, Jean Paul, Hoffmann, de la Motte Fouqus, Achin
von Arnim, Clemens Brentano, E. C. F. Schulze, Spindler und so viele andre,
ihrer Zeit gefeierte Namen, jetzt Hüter der Leihbibliotheken." Gewiß sind
manche von den Genannten mit Unrecht in Vergessenheit geraten, und es freut
uns, auch Spindlers gedacht zu sehen, dem sein Talent einen hohen Rang
über den allermeisten Romandichtern anweist, welche heute in der Gunst der Lese¬
welt stehen. Auf die Frage: „Wer liest bei uns noch u. s. w." sind wir so
frei, uns zu melden, aber eben deswegen müssen wir vermuten, daß Du Bois,
als er jenen Satz sprach, nicht von einem noch frischen Eindrucke, sondern von
Jugenderinnerungen beeinflußt wurde. Oder sollen wir ihm im Ernst glauben,
daß er noch imstande wäre, die Bezauberte Rose, den Helden des Nordens,
den Zauberring zu lesen? Er hegt eben „mit andächtiger Sorgfalt ihr An¬
denken," das ist recht und gut, das thun wir auch, aber mehr nicht. Und wenn
im physiologischen Institut der Universität Berlin wirklich noch sämtliche Ritter
und Schildknappen der Romantik umgehen, so berechtigt das noch keineswegs
zu dem Schlußsätze: „Entweder verdienten sie den Beifall nicht, den man ihnen
zollte: wo ist dann unser Geschmack? Oder sie verdienten ihn: wo ist dann unsre
Pietät?" Ist es, fragen wir dagegen, eine neue Entdeckung, daß die Zeiten sich
ändern und wir mit ihnen, oder gilt etwa dieser Satz nur für Deutschland?
Sollte es dem Verfasser nie begegnet sein, daß er eine Landschaft, die ihn ein¬
mal entzückt hatte, später in derselben Beleuchtung wiedersah und sich nicht klar
machen konnte, worin damals ihr großer Reiz bestanden habe? Urteilten nicht
das siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert verächtlich über alle mittelalterliche
Kunst und die klassizistische Zeit ebenso über Barock und Rokoko? Wurde nicht
zu seiner Zeit Mengs über Rasfael und Michelangelo gestellt? Wie lauge
ist es denn her, daß Bellini alle Opernbühnen beherrschte? Und begreifen wir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/182>, abgerufen am 17.09.2024.