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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich von Gentz.

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seiner Schriften abgedruckt sind. Nach so ungeheuern Ereignissen sehnt man sich
nach einem harmonisch abschließenden Worte. Dies wird hier gesprochen. Mit
Recht konnte Gentz betonen, daß in keinem Zeitpunkte seit der Stiftung der
europäischen Allianz die Harmonie zwischen den Hauptmächten vollkommener und
inniger gewesen sei als damals, in den letzten Monaten des Jahres 1815.
"Mit ihr aber -- so fährt Gentz fort -- ist die Dauer des allgemeinen Frie¬
dens verbürgt. Die Verhandlungen von 1814 ließen noch manches zu wünschen
und manches zu fürchten übrig. Die Verhandlungen von 1815 haben das
große Werk vollendet. Jetzt ist der Augenblick gekommen, wo die Aussicht auf
um goldnes Zeitalter in Enropa nicht mehr unter die leeren Träume gehört."

Wer es unternehmen wollte, den letzten Teil der Gentzschen Wirksamkeit
1816 bis 1832 -- zu beschreiben, müßte vor allem auf sein Verhältnis zur
orientalischen Frage sein Augenmerk richten. Die Furcht vor Nußland bildet
gleichsam das Leitmotiv dieser Lebensperiode; vor dieser tritt die Abneigung
vor dem europäischen Liberalismus, vor den Repräsentativverfasfungcn und
Volksbewegungen doch stark in den Hintergrund. Eben durch deu Gegensatz
Zu Nußland gelangte er schließlich dazu, revolutionäre Bewegungen wie die in
Polen oder -- auf Augenblicke wenigstens -- in Griechenland gut zu heiße"
und ihnen Sympathien entgegenzubringen. Selbst die Julirevolution erschreckte
ihn mir für kurze Zeit, bald war er mit ihren Ergebnissen ausgesöhnt. Mit
dem Zarenreich war er dies nie.

Als Schriftsteller ist Gentz selten mehr aufgetreten. Für die Fortbildung
seiner theoretischen Ansichten sind der in den "Wiener Jahrbüchern" veröffentlichte
Aufsatz über Preßfreiheit, dann die erst durch den älteren Prokesch-Osten be¬
kannt gewordenen kleinen Studien über Kant und über Montesquieu charakte¬
ristisch. In den zahlreichen Staatsschriften, die er bis an, sein Ende schrieb.
Zeigte er sich immer als ein vollendeter Meister des Stils; hier ist übrigens
Wohl bei weitem noch nicht alles veröffentlicht worden.

Sein inners Leben blieb auch in dieser letzte" Periode nicht ohne stürmische
Bewegung; als Greis war ihm noch ein ungeheures Glück beschieden, die Liebe
zu Fanny Elster. Es war - wie Varnhagen sagt -- nicht eine bloß gefällige
Neigung, ein wohlwollendes Anschließen, eine reizende Vcthörung. sondern eine
echte und volle Leidenschaft. Die Briefe an die Nadel, in welchen er sie aus¬
spricht, gehören zu deu schönsten Besitztümern unsrer Literatur.

Gentz gehört ohne Zweifel zu den merkwürdigsten Erscheinungen nicht nnr
seiner Zeit, sondern der deutschen Geschichte überhaupt. "Es gab eine solche
Gestalt - ruft Varnhagen ans -. sie war einmal möglich, sie leuchtete auf
und traf glücklich die Weltumstciudc, in denen sie gedeihen kom.ne; sie aun aber
nicht wiederkehren, es müßten denn mit derselben Persönlichkeit dieselben Zeit¬
läufte aufs neue zusammentreffen."




Grenzboten II. 1887.
Friedrich von Gentz.

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seiner Schriften abgedruckt sind. Nach so ungeheuern Ereignissen sehnt man sich
nach einem harmonisch abschließenden Worte. Dies wird hier gesprochen. Mit
Recht konnte Gentz betonen, daß in keinem Zeitpunkte seit der Stiftung der
europäischen Allianz die Harmonie zwischen den Hauptmächten vollkommener und
inniger gewesen sei als damals, in den letzten Monaten des Jahres 1815.
»Mit ihr aber — so fährt Gentz fort — ist die Dauer des allgemeinen Frie¬
dens verbürgt. Die Verhandlungen von 1814 ließen noch manches zu wünschen
und manches zu fürchten übrig. Die Verhandlungen von 1815 haben das
große Werk vollendet. Jetzt ist der Augenblick gekommen, wo die Aussicht auf
um goldnes Zeitalter in Enropa nicht mehr unter die leeren Träume gehört."

Wer es unternehmen wollte, den letzten Teil der Gentzschen Wirksamkeit
1816 bis 1832 — zu beschreiben, müßte vor allem auf sein Verhältnis zur
orientalischen Frage sein Augenmerk richten. Die Furcht vor Nußland bildet
gleichsam das Leitmotiv dieser Lebensperiode; vor dieser tritt die Abneigung
vor dem europäischen Liberalismus, vor den Repräsentativverfasfungcn und
Volksbewegungen doch stark in den Hintergrund. Eben durch deu Gegensatz
Zu Nußland gelangte er schließlich dazu, revolutionäre Bewegungen wie die in
Polen oder — auf Augenblicke wenigstens — in Griechenland gut zu heiße»
und ihnen Sympathien entgegenzubringen. Selbst die Julirevolution erschreckte
ihn mir für kurze Zeit, bald war er mit ihren Ergebnissen ausgesöhnt. Mit
dem Zarenreich war er dies nie.

Als Schriftsteller ist Gentz selten mehr aufgetreten. Für die Fortbildung
seiner theoretischen Ansichten sind der in den „Wiener Jahrbüchern" veröffentlichte
Aufsatz über Preßfreiheit, dann die erst durch den älteren Prokesch-Osten be¬
kannt gewordenen kleinen Studien über Kant und über Montesquieu charakte¬
ristisch. In den zahlreichen Staatsschriften, die er bis an, sein Ende schrieb.
Zeigte er sich immer als ein vollendeter Meister des Stils; hier ist übrigens
Wohl bei weitem noch nicht alles veröffentlicht worden.

Sein inners Leben blieb auch in dieser letzte» Periode nicht ohne stürmische
Bewegung; als Greis war ihm noch ein ungeheures Glück beschieden, die Liebe
zu Fanny Elster. Es war - wie Varnhagen sagt — nicht eine bloß gefällige
Neigung, ein wohlwollendes Anschließen, eine reizende Vcthörung. sondern eine
echte und volle Leidenschaft. Die Briefe an die Nadel, in welchen er sie aus¬
spricht, gehören zu deu schönsten Besitztümern unsrer Literatur.

Gentz gehört ohne Zweifel zu den merkwürdigsten Erscheinungen nicht nnr
seiner Zeit, sondern der deutschen Geschichte überhaupt. „Es gab eine solche
Gestalt - ruft Varnhagen ans -. sie war einmal möglich, sie leuchtete auf
und traf glücklich die Weltumstciudc, in denen sie gedeihen kom.ne; sie aun aber
nicht wiederkehren, es müßten denn mit derselben Persönlichkeit dieselben Zeit¬
läufte aufs neue zusammentreffen."




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[0177] Friedrich von Gentz. _ seiner Schriften abgedruckt sind. Nach so ungeheuern Ereignissen sehnt man sich nach einem harmonisch abschließenden Worte. Dies wird hier gesprochen. Mit Recht konnte Gentz betonen, daß in keinem Zeitpunkte seit der Stiftung der europäischen Allianz die Harmonie zwischen den Hauptmächten vollkommener und inniger gewesen sei als damals, in den letzten Monaten des Jahres 1815. »Mit ihr aber — so fährt Gentz fort — ist die Dauer des allgemeinen Frie¬ dens verbürgt. Die Verhandlungen von 1814 ließen noch manches zu wünschen und manches zu fürchten übrig. Die Verhandlungen von 1815 haben das große Werk vollendet. Jetzt ist der Augenblick gekommen, wo die Aussicht auf um goldnes Zeitalter in Enropa nicht mehr unter die leeren Träume gehört." Wer es unternehmen wollte, den letzten Teil der Gentzschen Wirksamkeit 1816 bis 1832 — zu beschreiben, müßte vor allem auf sein Verhältnis zur orientalischen Frage sein Augenmerk richten. Die Furcht vor Nußland bildet gleichsam das Leitmotiv dieser Lebensperiode; vor dieser tritt die Abneigung vor dem europäischen Liberalismus, vor den Repräsentativverfasfungcn und Volksbewegungen doch stark in den Hintergrund. Eben durch deu Gegensatz Zu Nußland gelangte er schließlich dazu, revolutionäre Bewegungen wie die in Polen oder — auf Augenblicke wenigstens — in Griechenland gut zu heiße» und ihnen Sympathien entgegenzubringen. Selbst die Julirevolution erschreckte ihn mir für kurze Zeit, bald war er mit ihren Ergebnissen ausgesöhnt. Mit dem Zarenreich war er dies nie. Als Schriftsteller ist Gentz selten mehr aufgetreten. Für die Fortbildung seiner theoretischen Ansichten sind der in den „Wiener Jahrbüchern" veröffentlichte Aufsatz über Preßfreiheit, dann die erst durch den älteren Prokesch-Osten be¬ kannt gewordenen kleinen Studien über Kant und über Montesquieu charakte¬ ristisch. In den zahlreichen Staatsschriften, die er bis an, sein Ende schrieb. Zeigte er sich immer als ein vollendeter Meister des Stils; hier ist übrigens Wohl bei weitem noch nicht alles veröffentlicht worden. Sein inners Leben blieb auch in dieser letzte» Periode nicht ohne stürmische Bewegung; als Greis war ihm noch ein ungeheures Glück beschieden, die Liebe zu Fanny Elster. Es war - wie Varnhagen sagt — nicht eine bloß gefällige Neigung, ein wohlwollendes Anschließen, eine reizende Vcthörung. sondern eine echte und volle Leidenschaft. Die Briefe an die Nadel, in welchen er sie aus¬ spricht, gehören zu deu schönsten Besitztümern unsrer Literatur. Gentz gehört ohne Zweifel zu den merkwürdigsten Erscheinungen nicht nnr seiner Zeit, sondern der deutschen Geschichte überhaupt. „Es gab eine solche Gestalt - ruft Varnhagen ans -. sie war einmal möglich, sie leuchtete auf und traf glücklich die Weltumstciudc, in denen sie gedeihen kom.ne; sie aun aber nicht wiederkehren, es müßten denn mit derselben Persönlichkeit dieselben Zeit¬ läufte aufs neue zusammentreffen." Grenzboten II. 1887.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/177>, abgerufen am 17.09.2024.