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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die Ariezsbefnrchtiingen und die l^evus des äeux wonach.

der letzten Zeit haben niemand zufrieden gestellt. Das unverschämt schnelle
Wachstum (l'msolentö xrowxtiwüö) gewisser Größen hat den einen die Ge¬
wohnheit gegeben, zu nehmen, den andern eine wachsende Gier, zu bekommen.
Die Völker gewöhnen sich daran, die verwegene Frechheit als ganz in der
Ordnung zu betrachten. Welches hat nicht schon auf die Welt lüsterne Blicke
geworfen und hält in seinem begehrlichen Herzen nicht schon für sein, was
andern gehört!"

Genug dieses verworrenen, einer Sprache und einer Zeitschrift, die sich sonst
der klassischen Klarheit ihres Ausdrucks nicht mit Unrecht rühmte, unwürdigen
Gewäsches. Was die Grundgedanken betrifft, daß die Moral aus der Welt
verschwunden sei und alles sich nur auf die niedrigste Interessenpolitik gründe,
so ertönt die alte Klage seltsamerweise jetzt nicht nur an der Seine, wo sie
immer hörbar wird, sobald Frankreichs Glücksstern erbleicht, sondern auch an
der Newa und der Tiber stellt man elegische Betrachtungen an über die von
der Erde entflohene Asträa. Natürlich, wenn auch der Name nicht genannt
wird, ist es immer der "Einsiedler von Varzin," welcher die Göttin in den
Himmel zurückgetrieben hat. Wenn die Herren uns nur auch einmal die Ge¬
schichtsperiode nachweisen wollten, wo das, was sie öffentliche Moral nennen,
und nicht das Interesse der einzelnen Staaten in den internationalen Verhält¬
nissen maßgebend gewesen ist! Es ist gewiß sehr schön, wenn beides zusammen¬
trifft; wenn ein Staat, indem er für sein eignes Wohl kämpft, zugleich ideale
Grundsätze versieht und die Sache der Schwachen und Unterdrückten zu der
seinigen macht; im übrigen werden wir uns vorläufig wohl noch damit begnügen
müssen, daß ein grundsätzliches Eintreten für die gute Sache fremder Völker
seine feste Grenze in dem L^Ius reixublivas suxreMg, Isx ssio findet, wenn
mich italienische und englische Publizisten -- von russischen und französischen
zu schweigen -- über die engherzige und selbstsüchtige deutsche Hegemonie murren
und es uns kreuzübel nehmen, daß Fürst Vismarck um das "bischen Herzoge-
wina" oder Bulgarien die Knochen des pommerschen Grenadiers nicht in Gefahr
setzen will. Wie es die italienischen Politiker dabei fertig bringen wollen, das
Verhalten des von ihnen stolz dem deutschen Reichskanzler entgegen gehaltenen
Grafen Cavour, zumal im Jahre 1860 Neapel gegenüber, mit der "öffentlichen
Moral" in Einklang zu bringen, müssen wir ihnen überlassen.

Wir kehren zu unserm Franzosen zurück. Deutschland, meint er, könne
allerdings gewisse Leute bei einer neuen Unternehmung gegen Frankreich durch
die Anlockung zu erwerbenden französischen Bodens gewinnen; das seien aber
-- er meint natürlich Italien -- die Kleinen unter den Großen, die nichts
entschieden. Rußland, Osterreich und England könne es nur im Orient befrie¬
digen, indem es ihnen das türkische Reich als Beute überlasse. Nun, Deutschland
so darzustellen, als brauche es nur durch den Mund seines Bismarck-Zeus zu
rufen: Nehmt hin die Welt! mag für uns sehr schmeichelhaft sein. Leider ist


Die Ariezsbefnrchtiingen und die l^evus des äeux wonach.

der letzten Zeit haben niemand zufrieden gestellt. Das unverschämt schnelle
Wachstum (l'msolentö xrowxtiwüö) gewisser Größen hat den einen die Ge¬
wohnheit gegeben, zu nehmen, den andern eine wachsende Gier, zu bekommen.
Die Völker gewöhnen sich daran, die verwegene Frechheit als ganz in der
Ordnung zu betrachten. Welches hat nicht schon auf die Welt lüsterne Blicke
geworfen und hält in seinem begehrlichen Herzen nicht schon für sein, was
andern gehört!"

Genug dieses verworrenen, einer Sprache und einer Zeitschrift, die sich sonst
der klassischen Klarheit ihres Ausdrucks nicht mit Unrecht rühmte, unwürdigen
Gewäsches. Was die Grundgedanken betrifft, daß die Moral aus der Welt
verschwunden sei und alles sich nur auf die niedrigste Interessenpolitik gründe,
so ertönt die alte Klage seltsamerweise jetzt nicht nur an der Seine, wo sie
immer hörbar wird, sobald Frankreichs Glücksstern erbleicht, sondern auch an
der Newa und der Tiber stellt man elegische Betrachtungen an über die von
der Erde entflohene Asträa. Natürlich, wenn auch der Name nicht genannt
wird, ist es immer der „Einsiedler von Varzin," welcher die Göttin in den
Himmel zurückgetrieben hat. Wenn die Herren uns nur auch einmal die Ge¬
schichtsperiode nachweisen wollten, wo das, was sie öffentliche Moral nennen,
und nicht das Interesse der einzelnen Staaten in den internationalen Verhält¬
nissen maßgebend gewesen ist! Es ist gewiß sehr schön, wenn beides zusammen¬
trifft; wenn ein Staat, indem er für sein eignes Wohl kämpft, zugleich ideale
Grundsätze versieht und die Sache der Schwachen und Unterdrückten zu der
seinigen macht; im übrigen werden wir uns vorläufig wohl noch damit begnügen
müssen, daß ein grundsätzliches Eintreten für die gute Sache fremder Völker
seine feste Grenze in dem L^Ius reixublivas suxreMg, Isx ssio findet, wenn
mich italienische und englische Publizisten — von russischen und französischen
zu schweigen — über die engherzige und selbstsüchtige deutsche Hegemonie murren
und es uns kreuzübel nehmen, daß Fürst Vismarck um das „bischen Herzoge-
wina" oder Bulgarien die Knochen des pommerschen Grenadiers nicht in Gefahr
setzen will. Wie es die italienischen Politiker dabei fertig bringen wollen, das
Verhalten des von ihnen stolz dem deutschen Reichskanzler entgegen gehaltenen
Grafen Cavour, zumal im Jahre 1860 Neapel gegenüber, mit der „öffentlichen
Moral" in Einklang zu bringen, müssen wir ihnen überlassen.

Wir kehren zu unserm Franzosen zurück. Deutschland, meint er, könne
allerdings gewisse Leute bei einer neuen Unternehmung gegen Frankreich durch
die Anlockung zu erwerbenden französischen Bodens gewinnen; das seien aber
— er meint natürlich Italien — die Kleinen unter den Großen, die nichts
entschieden. Rußland, Osterreich und England könne es nur im Orient befrie¬
digen, indem es ihnen das türkische Reich als Beute überlasse. Nun, Deutschland
so darzustellen, als brauche es nur durch den Mund seines Bismarck-Zeus zu
rufen: Nehmt hin die Welt! mag für uns sehr schmeichelhaft sein. Leider ist


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/16>, abgerufen am 17.09.2024.