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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die Uriegsbefnrchtiiiigeii und die Ksvus clef 6eux monäss.

Hältnissen geführt werden könnte, hat mir immer fern gelegen, und ich habe ihn
immer bekämpft." Dagegen mahnt der Verfasser die Deutschen feierlich, ihre
kriegerische Ungeduld zu zügeln. Sie könnten auch einmal eine Niederlage er¬
leben, und das bisher siegreiche Heer würde sich dann vielleicht nicht länger be¬
währen. Zugleich läßt er seine Hoffnungen "auf eine vielleicht nicht mehr ferne
Zukunft" durchblicken. Er betrachtet das deutsche Reich als ein unvollendetes
Werk. Der staatmännische Genius, dem seine Schöpfung zu verdanken sei, habe, an¬
statt es in den Stand zu setzen, ohne ihn fertig zu werden, allmählich alle Gewalt
an sich gerissen; mit ihm würde eine ganze Negierung, ein ganzes Regierungsshstem
verschwinden. Damit eine solche Macht bei einem Einzelnen nicht als ein un¬
erträglicher Druck empfunden werde, müsse er sich fortwährend auf der Höhe
der Lage halten, müsse, wenn er handeln wolle, noch größeres erzielen als bisher.
Das würde sich aber nicht einmal durch einen abermaligen glücklichen Krieg mit
Frankreich ermöglichen lassen. Wenn er Frankreich wirklich nochmals vollständig
niederwürfe, so würde die Folge die vollständige Knechtung Deutschlands unter
seinen despotischen Willen sein. "Der Kanzler wird sich der eroberten Macht
bedienen, um seine innern Feinde endgiltig zu vernichten. Und der Feind wird
dann das Land selbst sein---- Das sind die Gefahren des Krieges für Deutsch¬
land. Ein unglücklicher Ausgang bedroht seine Einheit, ein unentschiedener seine
Regierung, ein glücklicher seine Freiheit."

Der vierte Abschnitt untersucht die Stellung des übrigen Europas zu der
Kriegsfrage.

"Es ist ein bleibendes Interesse Europas, daß keine Macht allzugroß werde.
Das hat Frankreich 1370 empfunden, wo die Eifersucht der andern auf seine
Größe es dem Sieger überließ. Seitdem ist Deutschland als Vormacht an
seine Stelle getreten. Wenn die beiden Völker wieder handgemein würden,
wäre die Gefahr für Europa offenbar. Entweder stellte Frankreichs Sieg seine
alte Übermacht wieder her, oder das siegreiche Deutschland würde seine für
Europa jetzt schon sehr beunruhigende Übermacht noch vergrößern."

Der Verfasser untersucht nun, welche Maßregeln die deutsche Regierung
im Falle eines abermaligen Krieges mit Frankreich ergreifen werde, und kommt
zu dem Schlüsse, daß es den andern Mächten v-u-w d1g.ruzlio geben werde, ihre
Begierde nach Vergrößerung und Machtzuwachs zu befriedigen und so seine
Richter zu seinen Mitschuldigen machen.

"Es giebt besonders günstige Stunden sür solche Versuchungen. Wenn
plötzliche Glücksfälle, die Wirkungen einer starken Kraftentfaltung auf einander
folgen und andauern, wenn sie das Gleichgewicht der Nationen und selbst das
äußere Ansehen der Ehre (I'axx-Mros as 1'Koimsur) verändern, die Mäßigung
als Erbärmlichkeit (inisörs) und die Pflicht als Albernheit erscheinen lassen:
dann flößt die Unsittlichkeit dieses Schauspiels endlich ihr verderbliches Gift
in die Seelen. In einer solchen Stunde befindet sich Europa. Die Umwälzungen


Die Uriegsbefnrchtiiiigeii und die Ksvus clef 6eux monäss.

Hältnissen geführt werden könnte, hat mir immer fern gelegen, und ich habe ihn
immer bekämpft." Dagegen mahnt der Verfasser die Deutschen feierlich, ihre
kriegerische Ungeduld zu zügeln. Sie könnten auch einmal eine Niederlage er¬
leben, und das bisher siegreiche Heer würde sich dann vielleicht nicht länger be¬
währen. Zugleich läßt er seine Hoffnungen „auf eine vielleicht nicht mehr ferne
Zukunft" durchblicken. Er betrachtet das deutsche Reich als ein unvollendetes
Werk. Der staatmännische Genius, dem seine Schöpfung zu verdanken sei, habe, an¬
statt es in den Stand zu setzen, ohne ihn fertig zu werden, allmählich alle Gewalt
an sich gerissen; mit ihm würde eine ganze Negierung, ein ganzes Regierungsshstem
verschwinden. Damit eine solche Macht bei einem Einzelnen nicht als ein un¬
erträglicher Druck empfunden werde, müsse er sich fortwährend auf der Höhe
der Lage halten, müsse, wenn er handeln wolle, noch größeres erzielen als bisher.
Das würde sich aber nicht einmal durch einen abermaligen glücklichen Krieg mit
Frankreich ermöglichen lassen. Wenn er Frankreich wirklich nochmals vollständig
niederwürfe, so würde die Folge die vollständige Knechtung Deutschlands unter
seinen despotischen Willen sein. „Der Kanzler wird sich der eroberten Macht
bedienen, um seine innern Feinde endgiltig zu vernichten. Und der Feind wird
dann das Land selbst sein---- Das sind die Gefahren des Krieges für Deutsch¬
land. Ein unglücklicher Ausgang bedroht seine Einheit, ein unentschiedener seine
Regierung, ein glücklicher seine Freiheit."

Der vierte Abschnitt untersucht die Stellung des übrigen Europas zu der
Kriegsfrage.

„Es ist ein bleibendes Interesse Europas, daß keine Macht allzugroß werde.
Das hat Frankreich 1370 empfunden, wo die Eifersucht der andern auf seine
Größe es dem Sieger überließ. Seitdem ist Deutschland als Vormacht an
seine Stelle getreten. Wenn die beiden Völker wieder handgemein würden,
wäre die Gefahr für Europa offenbar. Entweder stellte Frankreichs Sieg seine
alte Übermacht wieder her, oder das siegreiche Deutschland würde seine für
Europa jetzt schon sehr beunruhigende Übermacht noch vergrößern."

Der Verfasser untersucht nun, welche Maßregeln die deutsche Regierung
im Falle eines abermaligen Krieges mit Frankreich ergreifen werde, und kommt
zu dem Schlüsse, daß es den andern Mächten v-u-w d1g.ruzlio geben werde, ihre
Begierde nach Vergrößerung und Machtzuwachs zu befriedigen und so seine
Richter zu seinen Mitschuldigen machen.

„Es giebt besonders günstige Stunden sür solche Versuchungen. Wenn
plötzliche Glücksfälle, die Wirkungen einer starken Kraftentfaltung auf einander
folgen und andauern, wenn sie das Gleichgewicht der Nationen und selbst das
äußere Ansehen der Ehre (I'axx-Mros as 1'Koimsur) verändern, die Mäßigung
als Erbärmlichkeit (inisörs) und die Pflicht als Albernheit erscheinen lassen:
dann flößt die Unsittlichkeit dieses Schauspiels endlich ihr verderbliches Gift
in die Seelen. In einer solchen Stunde befindet sich Europa. Die Umwälzungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/15>, abgerufen am 17.09.2024.