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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Rechtseiiiheit.

Sammlung hat sich namentlich Karl der Große Verdienste erworben. Sie be¬
stehen aus einzelnen Aufzeichnungen uach Maßgabe des Bedürfnisses. Einen
großen Bestandteil bilden namentlich die Vorschriften über das Wehrgeld (virl-
Mläum). Es war dies diejenige Buße in Geld oder Vieh, die ein Tot¬
schläger oder dessen zu seiner Vertretung verpflichteter nächster Verwandter, um
der Blutrache der Verwandten des Erschlagenen zu entgehen, teils an dessen
Familie, teils in den Schatz des Herrschers, den Fiskus, zu entrichten hatte, und
die je nach dem hohem oder niedern Stande des Getöteten höher oder niedriger
bemessen war. Eine gerichtliche Todesstrafe für Mord und Totschlag wurde
in jenen Zeiten nicht verhängt. Besonders erwähnt werden mag eine Stelle
aus der I.ex Liüioa: tsira, poro sativa ruttu xortio Iiereäiwtis inulisri
vsniat, ssA ^ virilöln ssxum low tsrras luzroäitAg xsrvoui^ -- zu Deutsch:
"Von salischen Lande aber soll kein Erbteil auf eine Frau übergehen, vielmehr
das ganze Erbe an Grundbesitz dem Mannesstamm zufallen." Es ist das diejenige
Vorschrift, die im Laufe der Zeit Anlaß gegeben hat, mit dem Ausdrucke
..Salisches Gesetz" überhaupt die Bevorzugung des Mannesstammes bis in die
entfernten Glieder vor dem weiblichen Stamme auch in den nächsten Gliedern,
z- V. des von einem verstorbenen Bruder des Erblassers stammenden Neffen
vor der Tochter des Erblassers, namentlich auch bei der Erbfolge in König¬
reiche und Fürstentümer, zu bezeichnen. Ich erinnere dabei an die seit dem
Tode König Ferdinands VII. von Spanien in diesem Lande entstandenen, noch
bis heute, d. h. seit nunmehr dreiundfünfzig Jahren, nicht ausgetragenen poli¬
tischen Wirren ans Anlaß der auf dieses salische Gesetz gestützten Ansprüche
des Don Carlos, jetzt seines Sohnes gleiches Namens, und seiner Anhänger,
der Carlisten. gegenüber der Königin Jsabella und ihrer Nachkommenschaft.

In den Zeiten der Geltung dieser loZos bMwrorum, galt für das Rechts-
leben der allerdings durch Ausnahmen durchbrochene Grundsatz, daß jeder sein
ganzes Leben lang nach dem Rechte zu leben habe, welchem er bei seiner Geburt
unterworfen war. wo immer er auch später sich aufhielt. Das Stammesrecht
war also für deu Einzelnen zugleich ein Abstammungsrecht: der Franke konnte,
wenn er sich später im Sachsenlande niedergelassen hatte, verlangen, daß er
durch den sächsischen Richter nach fränkischem Recht abgeurteilt würde. Oder,
gelehrt ausgedrückt: es galt in jener Zeit der Grundsatz des Personalrechts,
nicht derjenige des Territorialrechts, welcher jeden nach dem Rechte des Landes
zu leben nötigt, dem er zur Zeit als Bürger angehört, und welcher die Grund¬
lage unsers heutigen Rechtsverkehrs bildet. Denjenigen Gesetzen natürlich,
die auf den Reichstagen, d. i. auf den ursprünglich im März (Märzfeld),
später im Mai (Maifeld) zusammentretender Versammlungen der Großen
des die deutschen Stämme zu einem Ganzen verbindenden Reiches beschlossen
waren, und die man anfänglich von ihrer Einteilung in Kapitel "Kapitularien"
nannte, waren alle unterworfen, welche dem deutschen Reiche angehörten. Außer-


Die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Rechtseiiiheit.

Sammlung hat sich namentlich Karl der Große Verdienste erworben. Sie be¬
stehen aus einzelnen Aufzeichnungen uach Maßgabe des Bedürfnisses. Einen
großen Bestandteil bilden namentlich die Vorschriften über das Wehrgeld (virl-
Mläum). Es war dies diejenige Buße in Geld oder Vieh, die ein Tot¬
schläger oder dessen zu seiner Vertretung verpflichteter nächster Verwandter, um
der Blutrache der Verwandten des Erschlagenen zu entgehen, teils an dessen
Familie, teils in den Schatz des Herrschers, den Fiskus, zu entrichten hatte, und
die je nach dem hohem oder niedern Stande des Getöteten höher oder niedriger
bemessen war. Eine gerichtliche Todesstrafe für Mord und Totschlag wurde
in jenen Zeiten nicht verhängt. Besonders erwähnt werden mag eine Stelle
aus der I.ex Liüioa: tsira, poro sativa ruttu xortio Iiereäiwtis inulisri
vsniat, ssA ^ virilöln ssxum low tsrras luzroäitAg xsrvoui^ — zu Deutsch:
«Von salischen Lande aber soll kein Erbteil auf eine Frau übergehen, vielmehr
das ganze Erbe an Grundbesitz dem Mannesstamm zufallen." Es ist das diejenige
Vorschrift, die im Laufe der Zeit Anlaß gegeben hat, mit dem Ausdrucke
..Salisches Gesetz" überhaupt die Bevorzugung des Mannesstammes bis in die
entfernten Glieder vor dem weiblichen Stamme auch in den nächsten Gliedern,
z- V. des von einem verstorbenen Bruder des Erblassers stammenden Neffen
vor der Tochter des Erblassers, namentlich auch bei der Erbfolge in König¬
reiche und Fürstentümer, zu bezeichnen. Ich erinnere dabei an die seit dem
Tode König Ferdinands VII. von Spanien in diesem Lande entstandenen, noch
bis heute, d. h. seit nunmehr dreiundfünfzig Jahren, nicht ausgetragenen poli¬
tischen Wirren ans Anlaß der auf dieses salische Gesetz gestützten Ansprüche
des Don Carlos, jetzt seines Sohnes gleiches Namens, und seiner Anhänger,
der Carlisten. gegenüber der Königin Jsabella und ihrer Nachkommenschaft.

In den Zeiten der Geltung dieser loZos bMwrorum, galt für das Rechts-
leben der allerdings durch Ausnahmen durchbrochene Grundsatz, daß jeder sein
ganzes Leben lang nach dem Rechte zu leben habe, welchem er bei seiner Geburt
unterworfen war. wo immer er auch später sich aufhielt. Das Stammesrecht
war also für deu Einzelnen zugleich ein Abstammungsrecht: der Franke konnte,
wenn er sich später im Sachsenlande niedergelassen hatte, verlangen, daß er
durch den sächsischen Richter nach fränkischem Recht abgeurteilt würde. Oder,
gelehrt ausgedrückt: es galt in jener Zeit der Grundsatz des Personalrechts,
nicht derjenige des Territorialrechts, welcher jeden nach dem Rechte des Landes
zu leben nötigt, dem er zur Zeit als Bürger angehört, und welcher die Grund¬
lage unsers heutigen Rechtsverkehrs bildet. Denjenigen Gesetzen natürlich,
die auf den Reichstagen, d. i. auf den ursprünglich im März (Märzfeld),
später im Mai (Maifeld) zusammentretender Versammlungen der Großen
des die deutschen Stämme zu einem Ganzen verbindenden Reiches beschlossen
waren, und die man anfänglich von ihrer Einteilung in Kapitel „Kapitularien"
nannte, waren alle unterworfen, welche dem deutschen Reiche angehörten. Außer-


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[0159] Die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Rechtseiiiheit. Sammlung hat sich namentlich Karl der Große Verdienste erworben. Sie be¬ stehen aus einzelnen Aufzeichnungen uach Maßgabe des Bedürfnisses. Einen großen Bestandteil bilden namentlich die Vorschriften über das Wehrgeld (virl- Mläum). Es war dies diejenige Buße in Geld oder Vieh, die ein Tot¬ schläger oder dessen zu seiner Vertretung verpflichteter nächster Verwandter, um der Blutrache der Verwandten des Erschlagenen zu entgehen, teils an dessen Familie, teils in den Schatz des Herrschers, den Fiskus, zu entrichten hatte, und die je nach dem hohem oder niedern Stande des Getöteten höher oder niedriger bemessen war. Eine gerichtliche Todesstrafe für Mord und Totschlag wurde in jenen Zeiten nicht verhängt. Besonders erwähnt werden mag eine Stelle aus der I.ex Liüioa: tsira, poro sativa ruttu xortio Iiereäiwtis inulisri vsniat, ssA ^ virilöln ssxum low tsrras luzroäitAg xsrvoui^ — zu Deutsch: «Von salischen Lande aber soll kein Erbteil auf eine Frau übergehen, vielmehr das ganze Erbe an Grundbesitz dem Mannesstamm zufallen." Es ist das diejenige Vorschrift, die im Laufe der Zeit Anlaß gegeben hat, mit dem Ausdrucke ..Salisches Gesetz" überhaupt die Bevorzugung des Mannesstammes bis in die entfernten Glieder vor dem weiblichen Stamme auch in den nächsten Gliedern, z- V. des von einem verstorbenen Bruder des Erblassers stammenden Neffen vor der Tochter des Erblassers, namentlich auch bei der Erbfolge in König¬ reiche und Fürstentümer, zu bezeichnen. Ich erinnere dabei an die seit dem Tode König Ferdinands VII. von Spanien in diesem Lande entstandenen, noch bis heute, d. h. seit nunmehr dreiundfünfzig Jahren, nicht ausgetragenen poli¬ tischen Wirren ans Anlaß der auf dieses salische Gesetz gestützten Ansprüche des Don Carlos, jetzt seines Sohnes gleiches Namens, und seiner Anhänger, der Carlisten. gegenüber der Königin Jsabella und ihrer Nachkommenschaft. In den Zeiten der Geltung dieser loZos bMwrorum, galt für das Rechts- leben der allerdings durch Ausnahmen durchbrochene Grundsatz, daß jeder sein ganzes Leben lang nach dem Rechte zu leben habe, welchem er bei seiner Geburt unterworfen war. wo immer er auch später sich aufhielt. Das Stammesrecht war also für deu Einzelnen zugleich ein Abstammungsrecht: der Franke konnte, wenn er sich später im Sachsenlande niedergelassen hatte, verlangen, daß er durch den sächsischen Richter nach fränkischem Recht abgeurteilt würde. Oder, gelehrt ausgedrückt: es galt in jener Zeit der Grundsatz des Personalrechts, nicht derjenige des Territorialrechts, welcher jeden nach dem Rechte des Landes zu leben nötigt, dem er zur Zeit als Bürger angehört, und welcher die Grund¬ lage unsers heutigen Rechtsverkehrs bildet. Denjenigen Gesetzen natürlich, die auf den Reichstagen, d. i. auf den ursprünglich im März (Märzfeld), später im Mai (Maifeld) zusammentretender Versammlungen der Großen des die deutschen Stämme zu einem Ganzen verbindenden Reiches beschlossen waren, und die man anfänglich von ihrer Einteilung in Kapitel „Kapitularien" nannte, waren alle unterworfen, welche dem deutschen Reiche angehörten. Außer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/159>, abgerufen am 17.09.2024.