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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die Furcht vor Rußland.

Vorkommenden Falles wiederholen wollen, sondern seine Stärke darin suchen,
die starke Karpatenstellung zu besetzen, geschützt durch die Festungen Krakau und
Przemysl am linken, Siebenbürgen am rechten Flügel.

Galizien ist offenes Land, und es wird Österreich nicht einfallen, sich
zuerst seine Armee schlagen zu lassen, um deren Trümmer dann hinter den
Karpaten wieder zu sammeln; es wird vielmehr die in Galizien einbrechende
russische Armee erst an den Karpaten zum Entscheidungskampfe erwarten und
dann umgekehrt sie wieder aus Galizien hinauswerfen. Welche Aussichten
gerade Österreich für das Gelingen dieses Planes hat, möge hier etwas näher
erörtert werden.

Rußland ist schon früher der Koloß mit den thönernen Füßen genannt
worden. Der Ausspruch hat noch heute seine volle Berechtigung. Die russische
Armee kostet das dreifache der deutschen, das fünffache der österreichischen.
Das russische Volk zahlt dreimal mehr Steuern als wir, in Nußland giebt es
dreimal mehr Weiber als Männer, die Bevölkerung ist dreimal dünner gesät
als bei uns. Rußland hat dreimal weniger Eisenbahnen als wir, sie bringen
dreimal so wenig ein als unsre, alle Landstraßen und Verkehrsmittel sind in
Nußland dreimal schlechter und unbequemer als in Deutschland. Die Konzen¬
tration von Truppenmassen an den russischen Grenzen erfordert dreimal mehr
Zeit, Kosten und Anstrengungen als bei uns, und ist mit dreimal größern
Schwierigkeiten verknüpft. Die Armee selbst ist zwar ans dem Papier dreimal
stärker als die deutsche; wo ist sie aber in Wirklichkeit? Zu einem Drittel in
den Taschen der Verwaltung.

Was die Tüchtigkeit der Armee anlangt, so mag es ja unbestritten bleiben,
daß das Gardekorps in seinem militärischen Werte einem preußischen oder
deutschen Armeekorps nichts nachgiebt, ein Hochmut und Dünkel es jedenfalls
weit übertrifft; die übrige Armee aber hält keinen entfernten Vergleich aus mit
der deutschen, sondern ist -- Wut bonuement -- Kanonenfutter und Lazaret-
füllscl. Die Kriegsgeschichte verschweigt uns nicht, daß -- so oft russische
Armeen in Handlung treten, ja bevor sie das thun, schon ein Drittel in die
Feldlazarett kommt, weil die Mannschaften, durch den gewohnheitsmäßigen
Schnapsgcnnß geschwächt, nicht den dritten Teil der Feldstrapazen aushalten
können, als z. B. die Türken, die nicht nur keinen Schnaps, sondern nicht ein¬
mal Wein trinken dürfen. Jedem Arzt ist es bekannt, daß Verwundungen
jeder Art bei gewohnheitsmäßigen Schnapstrinkern in ihrem Verlaufe gefähr¬
licher, die Verluste also vor dem Feinde weit größer sind. Aber anch die jeden
Krieg begleitenden ansteckenden Krankheiten fordern mehr Opfer uuter der russi¬
schen Armee, als unter der türkischen oder der deutsch-österreichischen, weil das
durch den Schnapsgcnnß verdorbene Blut alleu Epidemien und Infektionskrank¬
heiten weit weniger Widerstand entgegensetzen kann. Diesem Umstände verdanken
es die Türken zum großen Teil, daß die ihnen stets dreimal überlegnen russi-


Die Furcht vor Rußland.

Vorkommenden Falles wiederholen wollen, sondern seine Stärke darin suchen,
die starke Karpatenstellung zu besetzen, geschützt durch die Festungen Krakau und
Przemysl am linken, Siebenbürgen am rechten Flügel.

Galizien ist offenes Land, und es wird Österreich nicht einfallen, sich
zuerst seine Armee schlagen zu lassen, um deren Trümmer dann hinter den
Karpaten wieder zu sammeln; es wird vielmehr die in Galizien einbrechende
russische Armee erst an den Karpaten zum Entscheidungskampfe erwarten und
dann umgekehrt sie wieder aus Galizien hinauswerfen. Welche Aussichten
gerade Österreich für das Gelingen dieses Planes hat, möge hier etwas näher
erörtert werden.

Rußland ist schon früher der Koloß mit den thönernen Füßen genannt
worden. Der Ausspruch hat noch heute seine volle Berechtigung. Die russische
Armee kostet das dreifache der deutschen, das fünffache der österreichischen.
Das russische Volk zahlt dreimal mehr Steuern als wir, in Nußland giebt es
dreimal mehr Weiber als Männer, die Bevölkerung ist dreimal dünner gesät
als bei uns. Rußland hat dreimal weniger Eisenbahnen als wir, sie bringen
dreimal so wenig ein als unsre, alle Landstraßen und Verkehrsmittel sind in
Nußland dreimal schlechter und unbequemer als in Deutschland. Die Konzen¬
tration von Truppenmassen an den russischen Grenzen erfordert dreimal mehr
Zeit, Kosten und Anstrengungen als bei uns, und ist mit dreimal größern
Schwierigkeiten verknüpft. Die Armee selbst ist zwar ans dem Papier dreimal
stärker als die deutsche; wo ist sie aber in Wirklichkeit? Zu einem Drittel in
den Taschen der Verwaltung.

Was die Tüchtigkeit der Armee anlangt, so mag es ja unbestritten bleiben,
daß das Gardekorps in seinem militärischen Werte einem preußischen oder
deutschen Armeekorps nichts nachgiebt, ein Hochmut und Dünkel es jedenfalls
weit übertrifft; die übrige Armee aber hält keinen entfernten Vergleich aus mit
der deutschen, sondern ist — Wut bonuement — Kanonenfutter und Lazaret-
füllscl. Die Kriegsgeschichte verschweigt uns nicht, daß — so oft russische
Armeen in Handlung treten, ja bevor sie das thun, schon ein Drittel in die
Feldlazarett kommt, weil die Mannschaften, durch den gewohnheitsmäßigen
Schnapsgcnnß geschwächt, nicht den dritten Teil der Feldstrapazen aushalten
können, als z. B. die Türken, die nicht nur keinen Schnaps, sondern nicht ein¬
mal Wein trinken dürfen. Jedem Arzt ist es bekannt, daß Verwundungen
jeder Art bei gewohnheitsmäßigen Schnapstrinkern in ihrem Verlaufe gefähr¬
licher, die Verluste also vor dem Feinde weit größer sind. Aber anch die jeden
Krieg begleitenden ansteckenden Krankheiten fordern mehr Opfer uuter der russi¬
schen Armee, als unter der türkischen oder der deutsch-österreichischen, weil das
durch den Schnapsgcnnß verdorbene Blut alleu Epidemien und Infektionskrank¬
heiten weit weniger Widerstand entgegensetzen kann. Diesem Umstände verdanken
es die Türken zum großen Teil, daß die ihnen stets dreimal überlegnen russi-


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[0154] Die Furcht vor Rußland. Vorkommenden Falles wiederholen wollen, sondern seine Stärke darin suchen, die starke Karpatenstellung zu besetzen, geschützt durch die Festungen Krakau und Przemysl am linken, Siebenbürgen am rechten Flügel. Galizien ist offenes Land, und es wird Österreich nicht einfallen, sich zuerst seine Armee schlagen zu lassen, um deren Trümmer dann hinter den Karpaten wieder zu sammeln; es wird vielmehr die in Galizien einbrechende russische Armee erst an den Karpaten zum Entscheidungskampfe erwarten und dann umgekehrt sie wieder aus Galizien hinauswerfen. Welche Aussichten gerade Österreich für das Gelingen dieses Planes hat, möge hier etwas näher erörtert werden. Rußland ist schon früher der Koloß mit den thönernen Füßen genannt worden. Der Ausspruch hat noch heute seine volle Berechtigung. Die russische Armee kostet das dreifache der deutschen, das fünffache der österreichischen. Das russische Volk zahlt dreimal mehr Steuern als wir, in Nußland giebt es dreimal mehr Weiber als Männer, die Bevölkerung ist dreimal dünner gesät als bei uns. Rußland hat dreimal weniger Eisenbahnen als wir, sie bringen dreimal so wenig ein als unsre, alle Landstraßen und Verkehrsmittel sind in Nußland dreimal schlechter und unbequemer als in Deutschland. Die Konzen¬ tration von Truppenmassen an den russischen Grenzen erfordert dreimal mehr Zeit, Kosten und Anstrengungen als bei uns, und ist mit dreimal größern Schwierigkeiten verknüpft. Die Armee selbst ist zwar ans dem Papier dreimal stärker als die deutsche; wo ist sie aber in Wirklichkeit? Zu einem Drittel in den Taschen der Verwaltung. Was die Tüchtigkeit der Armee anlangt, so mag es ja unbestritten bleiben, daß das Gardekorps in seinem militärischen Werte einem preußischen oder deutschen Armeekorps nichts nachgiebt, ein Hochmut und Dünkel es jedenfalls weit übertrifft; die übrige Armee aber hält keinen entfernten Vergleich aus mit der deutschen, sondern ist — Wut bonuement — Kanonenfutter und Lazaret- füllscl. Die Kriegsgeschichte verschweigt uns nicht, daß — so oft russische Armeen in Handlung treten, ja bevor sie das thun, schon ein Drittel in die Feldlazarett kommt, weil die Mannschaften, durch den gewohnheitsmäßigen Schnapsgcnnß geschwächt, nicht den dritten Teil der Feldstrapazen aushalten können, als z. B. die Türken, die nicht nur keinen Schnaps, sondern nicht ein¬ mal Wein trinken dürfen. Jedem Arzt ist es bekannt, daß Verwundungen jeder Art bei gewohnheitsmäßigen Schnapstrinkern in ihrem Verlaufe gefähr¬ licher, die Verluste also vor dem Feinde weit größer sind. Aber anch die jeden Krieg begleitenden ansteckenden Krankheiten fordern mehr Opfer uuter der russi¬ schen Armee, als unter der türkischen oder der deutsch-österreichischen, weil das durch den Schnapsgcnnß verdorbene Blut alleu Epidemien und Infektionskrank¬ heiten weit weniger Widerstand entgegensetzen kann. Diesem Umstände verdanken es die Türken zum großen Teil, daß die ihnen stets dreimal überlegnen russi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/154>, abgerufen am 17.09.2024.