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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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so sicher ist er ihrer! Eine ruhige, im einfachsten Tone gehaltene Erzählung,
die Vorlesung einiger geschickt ausgewählten Briefe -- und der Prozeß ist ge¬
wonnen. Zum Schlüsse sagt Lachand: "Mögen nur diejenigen, die ü. 1a Gau-
tier leben wollen, es wissen, daß, wenn sie eine Frau entehrt und zu Grunde
gerichtet haben, diese dafür Rache nehmen und das Gesetz ohne Furcht ins Auge
fassen darf." Dies ist auch die Ansicht der Jury, die keine Viertelstunde berät,
und dann auf alle Fragen mit einem freisprechenden Urteil antwortet. Und
wie viele andre Heldinnen -- fügt Arthur Desjardins, welcher dieses Falles
in einer geistvollen Studie: I,s 5ur/ et los aävovÄts*) gedenkt, hinzu --
haben das nämliche Unschnldszeuguis erhalten!

Das Bild wäre unvollständig, wenn wir nicht auch mit einigen Worten
der Zuhörerschaft gedächten, welche bei solchen "interessanten" Prozessen die
Gerichtssäle zu füllen Pflegt. Wer sich etwa für kurze Zeit von den Richtern
abwenden und seine Aufmerksamkeit ausschließlich auf die Vorgänge im Publikum
beschränken wollte, hätte Mühe, sich zu vergegenwärtigen, wo er sich denn
eigentlich befindet. Wollte er nämlich bloß nach dem Anblicke der festlich heraus¬
geputzten Gestalten urteilen, die nnter sich freundschaftliche Gruppen bilden, nach
den zwanglosen Bemerkungen, die sie mit einander austauschen, nach ihren er¬
wartungsvollen Mienen, nach dem häusigen Gebrauche von Opernguckern,
Lorgnons u. tgi., womit sie verschiedne Gegenstände im Saale mustern, endlich
nach den lauten Ausbrüchen des Beifalls und Mißfallens, denen sie, der
Mahnungen des Vorsitzenden ungeachtet, ganz unbefangen Ausdruck geben, so
müßte er offenbar zu dem Schlüsse gelangen, daß er etwa einer ersten Auf¬
führung im Theater, einem Konzert, einem öffentlichen Vortrag oder sonst einer
öffentlichen Vorführung beiwohne; nimmermehr aber könnte er glauben, daß er
sich an der Stätte befinde, wo Recht gesprochen werden soll, wo daher nur
Ruhe und Würde herrschen darf und von deren Schwelle jede Art und jede
Form der Beeinflussung streng ferngehalten werden muß.

Daß diese Vorgänge im Gerichtssnale, verstärkt durch die Thätigkeit der
Presse, außerhalb desselben auf die Geschwornen nicht ohne Einfluß bleiben
können, ist einleuchtend. Hat man es doch in Ländern mit weit weniger demo¬
kratischen Grundsätzen und wo die öffentliche Meinung durchaus nicht die
Macht besitzt und zu so unverfälschten Ausdrucke gelangt, wie in Frankreich,
erleben müssen, daß auf die Geschwornen Wochen hindurch von jener sogenannten
öffentlichen Meinung mit allen möglichen erlaubten und auch unerlaubten
Mitteln eingewirkt wurde, bis sie schließlich das Urteil in dem gewünschten
Sinne abgaben.

Das Übel ist jedoch in Frankreich viel schlimmer und tieferliegend. Denn
es handelt sich nicht um gesetzwidrige Entscheidungen, die in einzelnen Fällen



*) Sieht Revue des av"x worass vom 1. Juni 1886, 75. Band.

so sicher ist er ihrer! Eine ruhige, im einfachsten Tone gehaltene Erzählung,
die Vorlesung einiger geschickt ausgewählten Briefe — und der Prozeß ist ge¬
wonnen. Zum Schlüsse sagt Lachand: „Mögen nur diejenigen, die ü. 1a Gau-
tier leben wollen, es wissen, daß, wenn sie eine Frau entehrt und zu Grunde
gerichtet haben, diese dafür Rache nehmen und das Gesetz ohne Furcht ins Auge
fassen darf." Dies ist auch die Ansicht der Jury, die keine Viertelstunde berät,
und dann auf alle Fragen mit einem freisprechenden Urteil antwortet. Und
wie viele andre Heldinnen — fügt Arthur Desjardins, welcher dieses Falles
in einer geistvollen Studie: I,s 5ur/ et los aävovÄts*) gedenkt, hinzu —
haben das nämliche Unschnldszeuguis erhalten!

Das Bild wäre unvollständig, wenn wir nicht auch mit einigen Worten
der Zuhörerschaft gedächten, welche bei solchen „interessanten" Prozessen die
Gerichtssäle zu füllen Pflegt. Wer sich etwa für kurze Zeit von den Richtern
abwenden und seine Aufmerksamkeit ausschließlich auf die Vorgänge im Publikum
beschränken wollte, hätte Mühe, sich zu vergegenwärtigen, wo er sich denn
eigentlich befindet. Wollte er nämlich bloß nach dem Anblicke der festlich heraus¬
geputzten Gestalten urteilen, die nnter sich freundschaftliche Gruppen bilden, nach
den zwanglosen Bemerkungen, die sie mit einander austauschen, nach ihren er¬
wartungsvollen Mienen, nach dem häusigen Gebrauche von Opernguckern,
Lorgnons u. tgi., womit sie verschiedne Gegenstände im Saale mustern, endlich
nach den lauten Ausbrüchen des Beifalls und Mißfallens, denen sie, der
Mahnungen des Vorsitzenden ungeachtet, ganz unbefangen Ausdruck geben, so
müßte er offenbar zu dem Schlüsse gelangen, daß er etwa einer ersten Auf¬
führung im Theater, einem Konzert, einem öffentlichen Vortrag oder sonst einer
öffentlichen Vorführung beiwohne; nimmermehr aber könnte er glauben, daß er
sich an der Stätte befinde, wo Recht gesprochen werden soll, wo daher nur
Ruhe und Würde herrschen darf und von deren Schwelle jede Art und jede
Form der Beeinflussung streng ferngehalten werden muß.

Daß diese Vorgänge im Gerichtssnale, verstärkt durch die Thätigkeit der
Presse, außerhalb desselben auf die Geschwornen nicht ohne Einfluß bleiben
können, ist einleuchtend. Hat man es doch in Ländern mit weit weniger demo¬
kratischen Grundsätzen und wo die öffentliche Meinung durchaus nicht die
Macht besitzt und zu so unverfälschten Ausdrucke gelangt, wie in Frankreich,
erleben müssen, daß auf die Geschwornen Wochen hindurch von jener sogenannten
öffentlichen Meinung mit allen möglichen erlaubten und auch unerlaubten
Mitteln eingewirkt wurde, bis sie schließlich das Urteil in dem gewünschten
Sinne abgaben.

Das Übel ist jedoch in Frankreich viel schlimmer und tieferliegend. Denn
es handelt sich nicht um gesetzwidrige Entscheidungen, die in einzelnen Fällen



*) Sieht Revue des av»x worass vom 1. Juni 1886, 75. Band.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/140>, abgerufen am 17.09.2024.