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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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endete. Die novellistisch aufgeputzte Erzählung von den letzten Augenblicken
Donatellos berichtigt Vcisciri in der zweiten Auflage seiner Lebensbeschreibungen
selbst mit der Miene eines gewissenhaft abwägenden Historikers, wodurch er uns
dieser Aufgabe überhebt. Glaubhafter erscheint sein Bericht über das ehren¬
volle Begräbnis, das dem allgemein geschätzten Meister unter dem Geleite der
gesamten Künstlerschaft von Florenz zu Teil wurde. Andrea della Robbia
habe sich, so berichtet Vasari. glücklich geschätzt, daß es ihm vergönnt gewesen
sei. Donatello zur Gruft zu geleiten, die ihm in San Lorenzo an der Seite
seines Gönners Cosimo de' Medici bereitet wurde. Noch lange Zeit habe
man sein Lob in allen Sprachen gesungen. Unter den vielen uns erhaltenen
Zeugnissen für Donatellos Fortleben in der Phantasie seiner Mitbürger dürfte
Wohl das von Semper veröffentlichte Bruchstück eines religiösen Dramas aus
der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts den meisten Anspruch auf Ori¬
ginalität besitzen. Nebukadnezar sucht einen Bildhauer, der sein Andenken der
Nachwelt in Stein erhalten soll. Man holt Donatello, der berichtet, er komme
soeben von der Arbeit an der Kanzel zu Prato und müsse sich bald wieder
an neue Aufträge machen. Gleichwohl erbietet er sich, des Königs Wunsch zu
erfüllen, mit den stolzen Worten:


Je> sou äsll' arts rrmsstro vomxinw
ol Pisi öls Ks, Ä Lg.ro 1o laiÄ al Zrs,dia.

Man verehrte indes in Florenz nicht nur seine künstlerische Meisterschaft, fondern
auch seine menschlichen Tugenden. Unzählige Anekdoten berichten von seinem
Freimut, seiner Liebenswürdigkeit gegen seine Schüler und Genossen, seinem
Gerechtigkeitssinn und seiner Bescheidenheit, die sich mit gerechtem Künstlerstolz
sehr wohl vertrug.

Der uus zur Verfügung stehende Raum und der Zweck dieser Studie macht
es unmöglich, den einzelnen Schöpfungen unsers Meisters und den an sie sich
knüpfenden Streitfragen gerecht zu werden; wir bescheiden uns daher mit Vasari,
der sagt, wenn jemand Donatellos Leben ganz schildern und alle Werke, die er
gemacht habe, aufzählen wollte, so würde das eine gar zu lange storia
geben, öls noir 6 Al riostr-z. westl-iioirö, und versuchen am Schluß unsrer
Betrachtung, die Ergebnisse derselben noch einmal in knappen Zügen zusammen¬
zufassen.

Unter den Einflüssen eines Pietro ti Giovanni Tedesco und Niccolo
d'Arezzo in der Werkstatt des gotisirenden Ghiberti zum Studium der Natur
und der Antike angeregt, tritt Donatello, nachdem ein kurzer Aufenthalt in Rom
seine Anschauungen mächtig belebt hat, auf den Schauplatz der Florentiner Kunst
des Quattrocento als echter Bahnbrecher der Renaissancebewegung. In diesem
Zeitalter der freien Entfaltung des Jndidualismus schafft er zuerst der pla¬
stischen Einzelgestalt wieder ihr volles Recht. Formale und ikonische Typen


Gvonzbvten II. 1837.

endete. Die novellistisch aufgeputzte Erzählung von den letzten Augenblicken
Donatellos berichtigt Vcisciri in der zweiten Auflage seiner Lebensbeschreibungen
selbst mit der Miene eines gewissenhaft abwägenden Historikers, wodurch er uns
dieser Aufgabe überhebt. Glaubhafter erscheint sein Bericht über das ehren¬
volle Begräbnis, das dem allgemein geschätzten Meister unter dem Geleite der
gesamten Künstlerschaft von Florenz zu Teil wurde. Andrea della Robbia
habe sich, so berichtet Vasari. glücklich geschätzt, daß es ihm vergönnt gewesen
sei. Donatello zur Gruft zu geleiten, die ihm in San Lorenzo an der Seite
seines Gönners Cosimo de' Medici bereitet wurde. Noch lange Zeit habe
man sein Lob in allen Sprachen gesungen. Unter den vielen uns erhaltenen
Zeugnissen für Donatellos Fortleben in der Phantasie seiner Mitbürger dürfte
Wohl das von Semper veröffentlichte Bruchstück eines religiösen Dramas aus
der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts den meisten Anspruch auf Ori¬
ginalität besitzen. Nebukadnezar sucht einen Bildhauer, der sein Andenken der
Nachwelt in Stein erhalten soll. Man holt Donatello, der berichtet, er komme
soeben von der Arbeit an der Kanzel zu Prato und müsse sich bald wieder
an neue Aufträge machen. Gleichwohl erbietet er sich, des Königs Wunsch zu
erfüllen, mit den stolzen Worten:


Je> sou äsll' arts rrmsstro vomxinw
ol Pisi öls Ks, Ä Lg.ro 1o laiÄ al Zrs,dia.

Man verehrte indes in Florenz nicht nur seine künstlerische Meisterschaft, fondern
auch seine menschlichen Tugenden. Unzählige Anekdoten berichten von seinem
Freimut, seiner Liebenswürdigkeit gegen seine Schüler und Genossen, seinem
Gerechtigkeitssinn und seiner Bescheidenheit, die sich mit gerechtem Künstlerstolz
sehr wohl vertrug.

Der uus zur Verfügung stehende Raum und der Zweck dieser Studie macht
es unmöglich, den einzelnen Schöpfungen unsers Meisters und den an sie sich
knüpfenden Streitfragen gerecht zu werden; wir bescheiden uns daher mit Vasari,
der sagt, wenn jemand Donatellos Leben ganz schildern und alle Werke, die er
gemacht habe, aufzählen wollte, so würde das eine gar zu lange storia
geben, öls noir 6 Al riostr-z. westl-iioirö, und versuchen am Schluß unsrer
Betrachtung, die Ergebnisse derselben noch einmal in knappen Zügen zusammen¬
zufassen.

Unter den Einflüssen eines Pietro ti Giovanni Tedesco und Niccolo
d'Arezzo in der Werkstatt des gotisirenden Ghiberti zum Studium der Natur
und der Antike angeregt, tritt Donatello, nachdem ein kurzer Aufenthalt in Rom
seine Anschauungen mächtig belebt hat, auf den Schauplatz der Florentiner Kunst
des Quattrocento als echter Bahnbrecher der Renaissancebewegung. In diesem
Zeitalter der freien Entfaltung des Jndidualismus schafft er zuerst der pla¬
stischen Einzelgestalt wieder ihr volles Recht. Formale und ikonische Typen


Gvonzbvten II. 1837.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/137>, abgerufen am 17.09.2024.