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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die Kriegsbefürchtungen und die Kevue 6es äeux monäes.

"Deutschland wünscht den Krieg ebenso wenig wie Frankreich. Aber ihm
ist von Natur der Kultus der Gewalt und eine ganz besondre Art von Ge¬
dächtnis eigen, die ihm nicht gestattet, die einst erduldeten Leiden zu vergessen.
Das Heer erinnert einen jeden an seinen Anteil an dem Ruhme von Metz und
sedem, und zugleich scheint es, als habe Deutschland ewig für Jena Rache zu
nehmen. Eine solche Gemütsbeschaffenheit bewahrt die militärischen Tugenden,
läßt die Opfer, die sie erfordern, erträglich erscheinen und gestattet, den Haß,
der unter der deutschen Gemütlichkeit (Moiclitv) immer gegen den Fremden
wach ist, zu rechter Zeit in Flammen zu setzen.

Aber diese das Heer immer und den Krieg leicht begünstigende Denkungs-
art bestimmt nicht allein die Ereignisse. Der Kaiser ist nicht nur dem Namen
nach, sondern auch thatsächlich der Regent des Staates (I'ernxöröur röMg ot
Aouvsrns); und wenn er zuweilen gestattet, das die Parlamente das Zepter
mit ihm teilen, so hat er doch allein die Hand am Schwerte; er hat sich als
besondre Pflicht seines Amtes die Leitung der auswärtigen Politik und des
Heeres vorbehalten. Eine feste, erbliche Macht, die das Geheimnis ihrer Pläne
bewahrt und jedermann denselben dienstbar macht, sichert die Vollkommenheit
derjenigen Dienstzweige, welche am nieisten Einheitlichkeit, Klugheit und Schnellig¬
keit in der Stunde der Entscheidung verlangen.

In dieser Weise sind alle Erfolge der Nation vorbereitet worden. Nach
dem glänzendsten von allen wurde die Arbeit festgesetzt, als ob sich in dem
Verhältnis der Mächte nichts verändert hätte. Am Tage nach dem Frank¬
furter Frieden hat der Kaiser mit Bismarck und Moltke die stille Thätigkeit
wieder aufgenommen, der Europa so viele Überraschungen und das Heer so
große Kraft verdankte.

Statt die Militärlast des vergrößerten und für den Augenblick ohne
Nebenbuhler dastehenden Deutschlands zu erleichtern, hat die Regierung dem
Heere die stets wache Sorgfalt eines nach Rache begierigen Besiegten gewidmet.
Die Präsenzziffer ist zweimal erhöht, die Bewaffnung zweimal geändert worden.
Die Infanterie hat soeben den Mehrlader erhalten, die Artillerie ist mit Ge¬
schossen versehen worden, die mächtig genug sind, die stärksten Befestigungen zu
vernichten, und das deutsche Heer ist das einzige, das mit diesem Gewehr
und mit diesen Wurfgeschossen ausgerüstet ist. Dennoch hat die Regierung
es für nötig erachtet, den Präsenzstand abermals zu erhöhen, und verlangt von
den Kammern (!) die dazu erforderlichen Ergänzungskredite, fordert, daß das
Kriegsbudget auf sieben Jahre bewilligt werde, erklärt dem Parlament, daß
sie keine Weigerung annehme, daß jeder Widerstand die sofortige Auflösung
herbeiführen, daß jeder ebenso unfolgsame Reichstag dasselbe Schicksal haben
werde, daß man im Notfalle Geld und Menschen ohne parlamentarische Zu¬
stimmung sans Äueun vots beschaffen und daß die Verwerfung des Septennats
den Krieg wahrscheinlich machen würde.


Die Kriegsbefürchtungen und die Kevue 6es äeux monäes.

„Deutschland wünscht den Krieg ebenso wenig wie Frankreich. Aber ihm
ist von Natur der Kultus der Gewalt und eine ganz besondre Art von Ge¬
dächtnis eigen, die ihm nicht gestattet, die einst erduldeten Leiden zu vergessen.
Das Heer erinnert einen jeden an seinen Anteil an dem Ruhme von Metz und
sedem, und zugleich scheint es, als habe Deutschland ewig für Jena Rache zu
nehmen. Eine solche Gemütsbeschaffenheit bewahrt die militärischen Tugenden,
läßt die Opfer, die sie erfordern, erträglich erscheinen und gestattet, den Haß,
der unter der deutschen Gemütlichkeit (Moiclitv) immer gegen den Fremden
wach ist, zu rechter Zeit in Flammen zu setzen.

Aber diese das Heer immer und den Krieg leicht begünstigende Denkungs-
art bestimmt nicht allein die Ereignisse. Der Kaiser ist nicht nur dem Namen
nach, sondern auch thatsächlich der Regent des Staates (I'ernxöröur röMg ot
Aouvsrns); und wenn er zuweilen gestattet, das die Parlamente das Zepter
mit ihm teilen, so hat er doch allein die Hand am Schwerte; er hat sich als
besondre Pflicht seines Amtes die Leitung der auswärtigen Politik und des
Heeres vorbehalten. Eine feste, erbliche Macht, die das Geheimnis ihrer Pläne
bewahrt und jedermann denselben dienstbar macht, sichert die Vollkommenheit
derjenigen Dienstzweige, welche am nieisten Einheitlichkeit, Klugheit und Schnellig¬
keit in der Stunde der Entscheidung verlangen.

In dieser Weise sind alle Erfolge der Nation vorbereitet worden. Nach
dem glänzendsten von allen wurde die Arbeit festgesetzt, als ob sich in dem
Verhältnis der Mächte nichts verändert hätte. Am Tage nach dem Frank¬
furter Frieden hat der Kaiser mit Bismarck und Moltke die stille Thätigkeit
wieder aufgenommen, der Europa so viele Überraschungen und das Heer so
große Kraft verdankte.

Statt die Militärlast des vergrößerten und für den Augenblick ohne
Nebenbuhler dastehenden Deutschlands zu erleichtern, hat die Regierung dem
Heere die stets wache Sorgfalt eines nach Rache begierigen Besiegten gewidmet.
Die Präsenzziffer ist zweimal erhöht, die Bewaffnung zweimal geändert worden.
Die Infanterie hat soeben den Mehrlader erhalten, die Artillerie ist mit Ge¬
schossen versehen worden, die mächtig genug sind, die stärksten Befestigungen zu
vernichten, und das deutsche Heer ist das einzige, das mit diesem Gewehr
und mit diesen Wurfgeschossen ausgerüstet ist. Dennoch hat die Regierung
es für nötig erachtet, den Präsenzstand abermals zu erhöhen, und verlangt von
den Kammern (!) die dazu erforderlichen Ergänzungskredite, fordert, daß das
Kriegsbudget auf sieben Jahre bewilligt werde, erklärt dem Parlament, daß
sie keine Weigerung annehme, daß jeder Widerstand die sofortige Auflösung
herbeiführen, daß jeder ebenso unfolgsame Reichstag dasselbe Schicksal haben
werde, daß man im Notfalle Geld und Menschen ohne parlamentarische Zu¬
stimmung sans Äueun vots beschaffen und daß die Verwerfung des Septennats
den Krieg wahrscheinlich machen würde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/12>, abgerufen am 17.09.2024.