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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die Ariegsbefürchtungen und die Kevue des cieux monäes.

Der folgende Abschnitt, in dem der bittere Haß der als konservative Re¬
publikaner verkappten Orlcanisten sowohl gegen die Opportunisten als gegen die
weiter links stehende Gruppe, welche seit Ferrys Fall ans Ruder gekommen ist,
zu Tage tritt, hat weniger Interesse für uns. Zur Zeit von Gambettas Tode
sei die Militärreform vollendet gewesen. Seither aber seien die an der Spitze
des Kriegsdepartcrnents stehenden Generale Politiker geworden, und hätten, um
sich populär zu machen, begonnen, das vollendete Werk wieder zu zerstören,
zumal indem sie die Verkürzung der Dienstzeit befürworteten, welche aber freilich
noch nicht über die Stufe des Projekts hinausgekommen sei. Dazu komme,
daß durch den steten Wechsel im Kriegsministerium die Durchführung eines ein¬
heitlichen Gedankens, eines festen Planes unmöglich geworden sei. Allerdings
scheine sich der derzeitige siebzehnte Kriegsminister der Republik von 1870 besser
zu halten als seine Vorgänger; er sei populärer als sie alle. "Aber es wäre
der allerschwerste Irrtum, die Popularität des Generals Boulanger dem Wieder¬
aufleben des kriegerischen Geistes zuzuschreiben. Er ist ein tapferer Offizier;
man nennt ihn einen guten General; aber seine Popularität ist nicht die eines
Soldaten, sondern eines Politikers." Seine Popularität beruhe auf zwei ein¬
fachen Mitteln, deren er sich vortrefflich zu bedienen verstehe: er mache soviel
von sich reden, daß das Publikum seinen Namen täglich und überall sehe und
höre, und benutze zugleich seine einflußreiche Stellung, um sich unzählige Menschen
zu verpflichten, wie er das ganze Volk durch die Abkürzung der Dienstpflicht
auf weniger als drei, beziehentlich auf weniger als ein Jahr zu gewinnen hoffe.

"Und dieser Minister soll der drohende Vertreter der Revanche sein?
Dies Volk, das so begierig ist, sich dem Drucke des Militärdienstes zu ent¬
ziehen, soll in seinem Herzen die Sehnsucht (1a most^is, eigentlich das
Heimweh) nach dem Kriege empfinden?" Tunis, Ägypten und Tonkin hätten
gezeigt, wie unpopulär jetzt der Krieg bei dem französischen Volke sei.

"Gegenwärtig haben die kaum verhüllten Drohungen der deutschen Re¬
gierung und die direkten Herausforderungen der deutschen Presse, welche in
eine leicht entzündliche Nation wie ein Funke in ein Pulverfaß gefallen sein
würden, nicht einmal die unbesiegbare Anhänglichkeit Frankreichs an den Frieden
erschüttert. An dem Tage, wo der General Boulanger in den Verdacht geraten
würde, ans einen Angriff zu sinnen, würde der Zorn, den er einflößte, der
Popularität,*) die er sich erworben hat, gleichkommen, und von dem Tage an,
wo er dem Volke verhaßt geworden wäre, würde er auch von den öffentlichen
Gewalten verlassen sein."

Den zweiten Abschnitt des Artikels geben wir, als besonders charakteristisch,
unverkürzt wieder.



*) Der Verfasser benutzt den etwas zweideutigen und weniger ehrenvollen Ausdruck:
votorivts.
Die Ariegsbefürchtungen und die Kevue des cieux monäes.

Der folgende Abschnitt, in dem der bittere Haß der als konservative Re¬
publikaner verkappten Orlcanisten sowohl gegen die Opportunisten als gegen die
weiter links stehende Gruppe, welche seit Ferrys Fall ans Ruder gekommen ist,
zu Tage tritt, hat weniger Interesse für uns. Zur Zeit von Gambettas Tode
sei die Militärreform vollendet gewesen. Seither aber seien die an der Spitze
des Kriegsdepartcrnents stehenden Generale Politiker geworden, und hätten, um
sich populär zu machen, begonnen, das vollendete Werk wieder zu zerstören,
zumal indem sie die Verkürzung der Dienstzeit befürworteten, welche aber freilich
noch nicht über die Stufe des Projekts hinausgekommen sei. Dazu komme,
daß durch den steten Wechsel im Kriegsministerium die Durchführung eines ein¬
heitlichen Gedankens, eines festen Planes unmöglich geworden sei. Allerdings
scheine sich der derzeitige siebzehnte Kriegsminister der Republik von 1870 besser
zu halten als seine Vorgänger; er sei populärer als sie alle. „Aber es wäre
der allerschwerste Irrtum, die Popularität des Generals Boulanger dem Wieder¬
aufleben des kriegerischen Geistes zuzuschreiben. Er ist ein tapferer Offizier;
man nennt ihn einen guten General; aber seine Popularität ist nicht die eines
Soldaten, sondern eines Politikers." Seine Popularität beruhe auf zwei ein¬
fachen Mitteln, deren er sich vortrefflich zu bedienen verstehe: er mache soviel
von sich reden, daß das Publikum seinen Namen täglich und überall sehe und
höre, und benutze zugleich seine einflußreiche Stellung, um sich unzählige Menschen
zu verpflichten, wie er das ganze Volk durch die Abkürzung der Dienstpflicht
auf weniger als drei, beziehentlich auf weniger als ein Jahr zu gewinnen hoffe.

„Und dieser Minister soll der drohende Vertreter der Revanche sein?
Dies Volk, das so begierig ist, sich dem Drucke des Militärdienstes zu ent¬
ziehen, soll in seinem Herzen die Sehnsucht (1a most^is, eigentlich das
Heimweh) nach dem Kriege empfinden?" Tunis, Ägypten und Tonkin hätten
gezeigt, wie unpopulär jetzt der Krieg bei dem französischen Volke sei.

„Gegenwärtig haben die kaum verhüllten Drohungen der deutschen Re¬
gierung und die direkten Herausforderungen der deutschen Presse, welche in
eine leicht entzündliche Nation wie ein Funke in ein Pulverfaß gefallen sein
würden, nicht einmal die unbesiegbare Anhänglichkeit Frankreichs an den Frieden
erschüttert. An dem Tage, wo der General Boulanger in den Verdacht geraten
würde, ans einen Angriff zu sinnen, würde der Zorn, den er einflößte, der
Popularität,*) die er sich erworben hat, gleichkommen, und von dem Tage an,
wo er dem Volke verhaßt geworden wäre, würde er auch von den öffentlichen
Gewalten verlassen sein."

Den zweiten Abschnitt des Artikels geben wir, als besonders charakteristisch,
unverkürzt wieder.



*) Der Verfasser benutzt den etwas zweideutigen und weniger ehrenvollen Ausdruck:
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/11>, abgerufen am 17.09.2024.