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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Deutscher Patriotismus vor hundert Jahren.

innerungen an den Krieg wird die glorreiche Gegenwehr gegen die Bundes¬
genossen des kaiserlichen Hauses als Kampf für ganz Deutschland, für das
allgemeine Vaterland gedacht. Schlözer aber hatte schon 1759 an einen Freund
geschrieben, da er Deutschland unter einem Herrn wünsche, möge es nun . . .
oder der König von Preußen sein, so träume er einen schönen Traum: wie
letzterer, um seiner Feinde Herr zu werden, damit anfangen müsst, sich ganz
Deutschland zu unterwerfen. An die Eindrücke des Krieges knüpfte sich sofort
nach Beendigung desselben die Bewunderung der unermüdlichen Sorgfalt, mit
welcher Friedrich für Wiederaufrichtung seiner erschöpften Lande thätig war,
und vielfach wurde der preußische Staat noch mehr als früher ein Muster sür
die deutschen Nachbarn. Als dann der baierische Erbfolgekrieg Deutschland
aufregte, fand die Rolle Preußens in dieser Angelegenheit, in der es das ihm
einst so bitter verfeindete Sachsen neben sich hatte, nicht bloß bei den Reichs-
ständen, sondern auch bei den Bevölkerungen warme Sympathie. Der pro¬
testantische norddeutsche war durch Josefs Hinneigung zur Aufklärung nicht
für Österreich umzustimmen. Wohl aber gewann sich Preußen im Süden zu
den protestantischen Würtenbergern. denen es ein Schutz für Verfassung und
Kirche gegen ihren katholischen Herzog war, in Baiern ein katholisches Volk,
das sich preußische Hilfe gegen die beabsichtigte Einverleibung in das katholische
Österreich gern gefallen ließ. Allerdings fehlte es nicht an Gegenwirkungen
gegen alles, was zu Preußens Gunsten sprach und gesprochen wurde. Aber
dieselben schienen ihre Kraft zu verlieren, und was Preußen für Deutschland
werden könne, schien über alle Erwartung zur Geltung kommen zu sollen, als
1785 der Fürstenbund gestiftet wurde. Man kann mit Wenck sagen: "Der
Ausdruck Kaiser und Reich fand damals seine rechte Auslegung darin, daß man
in der Gesamtheit der Reichsstände das Reich und die eigentliche Reichsgewalt,
in der kaiserlichen Würde aber eine Macht erblickte, welche, gewissermaßen von
außen dazutretend, mit den höchsten Ehren nur den Anspruch auf eine sehr
engbegrenzte Mitwirkung in gewissen, ihr allein noch übrig gebliebenen Funk¬
tionen verknüpfte. Keine bessere Position als die jetzige mochte sich also Preußen
wünschen, um, was noch von deutsch-patriotischen Empfindungen durch den
Namen des Reiches angeregt werden konnte, sich zuzuwenden und sich daran
eine Stärkung gegen den Kaiser zu schaffen. Und wie man in diesem Fürsten¬
bunde glücklich über manche Klüfte hinwegzukommen schien, welche sonst allem
gemeinsamen Schaffen in, Reiche den Boden verdarben, wie man den ersten
geistlichen Fürsten sKurmainzj mit dem mächtigsten Fürsten des protestantischen
Deutschlands sowie mit dem. der außerhalb Deutschlands den Thron der ersten
protestantischen Großmacht einnahm, sich die Hände reichen sah, da mochte denn
vollends diese Union als eine hoffnunggebende Erscheinung und als eine Schöpfung
begrüßt werden, welche, unter Preußens Führung, aus allen Nöten heraus viel¬
leicht zu einer Besserung deutscher Neichszustände zu führen vermöchte."


Deutscher Patriotismus vor hundert Jahren.

innerungen an den Krieg wird die glorreiche Gegenwehr gegen die Bundes¬
genossen des kaiserlichen Hauses als Kampf für ganz Deutschland, für das
allgemeine Vaterland gedacht. Schlözer aber hatte schon 1759 an einen Freund
geschrieben, da er Deutschland unter einem Herrn wünsche, möge es nun . . .
oder der König von Preußen sein, so träume er einen schönen Traum: wie
letzterer, um seiner Feinde Herr zu werden, damit anfangen müsst, sich ganz
Deutschland zu unterwerfen. An die Eindrücke des Krieges knüpfte sich sofort
nach Beendigung desselben die Bewunderung der unermüdlichen Sorgfalt, mit
welcher Friedrich für Wiederaufrichtung seiner erschöpften Lande thätig war,
und vielfach wurde der preußische Staat noch mehr als früher ein Muster sür
die deutschen Nachbarn. Als dann der baierische Erbfolgekrieg Deutschland
aufregte, fand die Rolle Preußens in dieser Angelegenheit, in der es das ihm
einst so bitter verfeindete Sachsen neben sich hatte, nicht bloß bei den Reichs-
ständen, sondern auch bei den Bevölkerungen warme Sympathie. Der pro¬
testantische norddeutsche war durch Josefs Hinneigung zur Aufklärung nicht
für Österreich umzustimmen. Wohl aber gewann sich Preußen im Süden zu
den protestantischen Würtenbergern. denen es ein Schutz für Verfassung und
Kirche gegen ihren katholischen Herzog war, in Baiern ein katholisches Volk,
das sich preußische Hilfe gegen die beabsichtigte Einverleibung in das katholische
Österreich gern gefallen ließ. Allerdings fehlte es nicht an Gegenwirkungen
gegen alles, was zu Preußens Gunsten sprach und gesprochen wurde. Aber
dieselben schienen ihre Kraft zu verlieren, und was Preußen für Deutschland
werden könne, schien über alle Erwartung zur Geltung kommen zu sollen, als
1785 der Fürstenbund gestiftet wurde. Man kann mit Wenck sagen: „Der
Ausdruck Kaiser und Reich fand damals seine rechte Auslegung darin, daß man
in der Gesamtheit der Reichsstände das Reich und die eigentliche Reichsgewalt,
in der kaiserlichen Würde aber eine Macht erblickte, welche, gewissermaßen von
außen dazutretend, mit den höchsten Ehren nur den Anspruch auf eine sehr
engbegrenzte Mitwirkung in gewissen, ihr allein noch übrig gebliebenen Funk¬
tionen verknüpfte. Keine bessere Position als die jetzige mochte sich also Preußen
wünschen, um, was noch von deutsch-patriotischen Empfindungen durch den
Namen des Reiches angeregt werden konnte, sich zuzuwenden und sich daran
eine Stärkung gegen den Kaiser zu schaffen. Und wie man in diesem Fürsten¬
bunde glücklich über manche Klüfte hinwegzukommen schien, welche sonst allem
gemeinsamen Schaffen in, Reiche den Boden verdarben, wie man den ersten
geistlichen Fürsten sKurmainzj mit dem mächtigsten Fürsten des protestantischen
Deutschlands sowie mit dem. der außerhalb Deutschlands den Thron der ersten
protestantischen Großmacht einnahm, sich die Hände reichen sah, da mochte denn
vollends diese Union als eine hoffnunggebende Erscheinung und als eine Schöpfung
begrüßt werden, welche, unter Preußens Führung, aus allen Nöten heraus viel¬
leicht zu einer Besserung deutscher Neichszustände zu führen vermöchte."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/109>, abgerufen am 17.09.2024.