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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Deutscher Patriotismus vor hundert Jahren.

den Nutzen der Vaterlandsliebe für den Staat, dem sie galt, aber die Mensch¬
heit, die Liebe zu ihr, das Streben, sie zu veredeln und zu beglücken, galt vielen
der bedeutendsten Geister jener Tage als das Höhere. Weltbürgertum, Kosmo¬
politismus lautete die Losung. Lessing erklärte die Vaterlandsliebe für "eine
heroische Schwachheit," die er "gern entbehre," Wieland nannte sie eine mit
seinen Grundsätzen unverträgliche Leidenschaft, Schiller meinte, sie habe nur für
unreife Nationen Wichtigkeit, der junge Goethe äußerte in seiner Kritik der
Schrift, in welcher Sonnenfels sie eingeführt und gewissermaßen gezüchtet wissen
wollte: "Wenn wir einen Platz in der Welt finden, da mit unsern Besitztümern
zu ruhen, ein Feld, uns zu nähren, ein Haus, uns zu decken, haben wir da
nicht Vaterland? Und haben das nicht Tausende und Tausende in jedem Staat?
Und leben sie nicht in dieser Beschränkung glücklich? Wozu nun das vergebene
Aufstreben nach einer Empfindung, die wir weder haben können noch mögen?"
Man wird nicht erwarten dürfen, daß Männer mit solchen Ansichten besondern
Wert darauf gelegt hätten, die Deutschen in einem gemeinsamen Staatswesen
zu einer würdigern Gesamterscheinung gebracht zu sehen, als das deutsche Reich
sie zeigte.

Einem politischen Nationalgefühle der Deutschen wirkte also von der einen
Seite der Partikularismus, von der andern der Kosmopolitismus entgegen,
jener in den breiten Schichten der Bevölkerung, sowie bei Beamten und Mi¬
litärs, dieser unter denen, welche auf der Höhe der Bildung standen und ihre
geistige Unabhängigkeit gegen nationale Beschränkung wahren zu müssen meinten.
Inzwischen aber hatte sich in Preußen ein energischer Landespatriotismus ent¬
wickelt. Lange schon hatte hier unter Beamten und Offizieren ein Geist sich
geregt, der die Sache des Staates als ihre eigne empfand. Unter Friedrich
dem Großen bildete er sich weiter aus und ergriff auch andre Kreise der Be¬
völkerung, namentlich während des siebenjährigen Krieges. Dieser aber hatte
ganz außerordentlichen Einfluß auf ganz Deutschland, sodaß man sagen darf,
das deutsche Bewußtsein sei durch seinen Gang und den Sieg Friedrichs mit
dem preußischen fast ganz verschmolzen worden. Das deutsche Kaiserhaus
hatte während des Kampfes nicht bloß aus seinen außerdeutschen Besitzungen
Kroaten und Panduren, sondern auch Russen, Schweden und den französischen
Erbfeind in deutsche Lande, auch nichtprcußischc, gebracht. Das Volk vermochte
sich namentlich in diese plötzliche Franzosenfreundschaft nicht leicht zu finden,
und tausende jubelten über Roßbach, obwohl dort auch Neichsvölker Schläge
bekommen hatten. Gleim durfte in seinen Sicgeslicdern neben dem Franzmann
getrost auch diese verspotten und in einem Atem von der "Bändigung des
stolzen Wien" und der "Freimachung Deutschlands" singen. v. Schönaich, ein
geborner Lausitzer und in kursächsischen Diensten gewesen, feierte Friedrich als
den, welcher "dem ersten Hermann gleich unser schnödes Joch zerschlüget und
der stolzen Lilien Pracht vor dem Adler niederleget." Auch in späteren Er-


Deutscher Patriotismus vor hundert Jahren.

den Nutzen der Vaterlandsliebe für den Staat, dem sie galt, aber die Mensch¬
heit, die Liebe zu ihr, das Streben, sie zu veredeln und zu beglücken, galt vielen
der bedeutendsten Geister jener Tage als das Höhere. Weltbürgertum, Kosmo¬
politismus lautete die Losung. Lessing erklärte die Vaterlandsliebe für „eine
heroische Schwachheit," die er „gern entbehre," Wieland nannte sie eine mit
seinen Grundsätzen unverträgliche Leidenschaft, Schiller meinte, sie habe nur für
unreife Nationen Wichtigkeit, der junge Goethe äußerte in seiner Kritik der
Schrift, in welcher Sonnenfels sie eingeführt und gewissermaßen gezüchtet wissen
wollte: „Wenn wir einen Platz in der Welt finden, da mit unsern Besitztümern
zu ruhen, ein Feld, uns zu nähren, ein Haus, uns zu decken, haben wir da
nicht Vaterland? Und haben das nicht Tausende und Tausende in jedem Staat?
Und leben sie nicht in dieser Beschränkung glücklich? Wozu nun das vergebene
Aufstreben nach einer Empfindung, die wir weder haben können noch mögen?"
Man wird nicht erwarten dürfen, daß Männer mit solchen Ansichten besondern
Wert darauf gelegt hätten, die Deutschen in einem gemeinsamen Staatswesen
zu einer würdigern Gesamterscheinung gebracht zu sehen, als das deutsche Reich
sie zeigte.

Einem politischen Nationalgefühle der Deutschen wirkte also von der einen
Seite der Partikularismus, von der andern der Kosmopolitismus entgegen,
jener in den breiten Schichten der Bevölkerung, sowie bei Beamten und Mi¬
litärs, dieser unter denen, welche auf der Höhe der Bildung standen und ihre
geistige Unabhängigkeit gegen nationale Beschränkung wahren zu müssen meinten.
Inzwischen aber hatte sich in Preußen ein energischer Landespatriotismus ent¬
wickelt. Lange schon hatte hier unter Beamten und Offizieren ein Geist sich
geregt, der die Sache des Staates als ihre eigne empfand. Unter Friedrich
dem Großen bildete er sich weiter aus und ergriff auch andre Kreise der Be¬
völkerung, namentlich während des siebenjährigen Krieges. Dieser aber hatte
ganz außerordentlichen Einfluß auf ganz Deutschland, sodaß man sagen darf,
das deutsche Bewußtsein sei durch seinen Gang und den Sieg Friedrichs mit
dem preußischen fast ganz verschmolzen worden. Das deutsche Kaiserhaus
hatte während des Kampfes nicht bloß aus seinen außerdeutschen Besitzungen
Kroaten und Panduren, sondern auch Russen, Schweden und den französischen
Erbfeind in deutsche Lande, auch nichtprcußischc, gebracht. Das Volk vermochte
sich namentlich in diese plötzliche Franzosenfreundschaft nicht leicht zu finden,
und tausende jubelten über Roßbach, obwohl dort auch Neichsvölker Schläge
bekommen hatten. Gleim durfte in seinen Sicgeslicdern neben dem Franzmann
getrost auch diese verspotten und in einem Atem von der „Bändigung des
stolzen Wien" und der „Freimachung Deutschlands" singen. v. Schönaich, ein
geborner Lausitzer und in kursächsischen Diensten gewesen, feierte Friedrich als
den, welcher „dem ersten Hermann gleich unser schnödes Joch zerschlüget und
der stolzen Lilien Pracht vor dem Adler niederleget." Auch in späteren Er-


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[0108] Deutscher Patriotismus vor hundert Jahren. den Nutzen der Vaterlandsliebe für den Staat, dem sie galt, aber die Mensch¬ heit, die Liebe zu ihr, das Streben, sie zu veredeln und zu beglücken, galt vielen der bedeutendsten Geister jener Tage als das Höhere. Weltbürgertum, Kosmo¬ politismus lautete die Losung. Lessing erklärte die Vaterlandsliebe für „eine heroische Schwachheit," die er „gern entbehre," Wieland nannte sie eine mit seinen Grundsätzen unverträgliche Leidenschaft, Schiller meinte, sie habe nur für unreife Nationen Wichtigkeit, der junge Goethe äußerte in seiner Kritik der Schrift, in welcher Sonnenfels sie eingeführt und gewissermaßen gezüchtet wissen wollte: „Wenn wir einen Platz in der Welt finden, da mit unsern Besitztümern zu ruhen, ein Feld, uns zu nähren, ein Haus, uns zu decken, haben wir da nicht Vaterland? Und haben das nicht Tausende und Tausende in jedem Staat? Und leben sie nicht in dieser Beschränkung glücklich? Wozu nun das vergebene Aufstreben nach einer Empfindung, die wir weder haben können noch mögen?" Man wird nicht erwarten dürfen, daß Männer mit solchen Ansichten besondern Wert darauf gelegt hätten, die Deutschen in einem gemeinsamen Staatswesen zu einer würdigern Gesamterscheinung gebracht zu sehen, als das deutsche Reich sie zeigte. Einem politischen Nationalgefühle der Deutschen wirkte also von der einen Seite der Partikularismus, von der andern der Kosmopolitismus entgegen, jener in den breiten Schichten der Bevölkerung, sowie bei Beamten und Mi¬ litärs, dieser unter denen, welche auf der Höhe der Bildung standen und ihre geistige Unabhängigkeit gegen nationale Beschränkung wahren zu müssen meinten. Inzwischen aber hatte sich in Preußen ein energischer Landespatriotismus ent¬ wickelt. Lange schon hatte hier unter Beamten und Offizieren ein Geist sich geregt, der die Sache des Staates als ihre eigne empfand. Unter Friedrich dem Großen bildete er sich weiter aus und ergriff auch andre Kreise der Be¬ völkerung, namentlich während des siebenjährigen Krieges. Dieser aber hatte ganz außerordentlichen Einfluß auf ganz Deutschland, sodaß man sagen darf, das deutsche Bewußtsein sei durch seinen Gang und den Sieg Friedrichs mit dem preußischen fast ganz verschmolzen worden. Das deutsche Kaiserhaus hatte während des Kampfes nicht bloß aus seinen außerdeutschen Besitzungen Kroaten und Panduren, sondern auch Russen, Schweden und den französischen Erbfeind in deutsche Lande, auch nichtprcußischc, gebracht. Das Volk vermochte sich namentlich in diese plötzliche Franzosenfreundschaft nicht leicht zu finden, und tausende jubelten über Roßbach, obwohl dort auch Neichsvölker Schläge bekommen hatten. Gleim durfte in seinen Sicgeslicdern neben dem Franzmann getrost auch diese verspotten und in einem Atem von der „Bändigung des stolzen Wien" und der „Freimachung Deutschlands" singen. v. Schönaich, ein geborner Lausitzer und in kursächsischen Diensten gewesen, feierte Friedrich als den, welcher „dem ersten Hermann gleich unser schnödes Joch zerschlüget und der stolzen Lilien Pracht vor dem Adler niederleget." Auch in späteren Er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/108>, abgerufen am 17.09.2024.