Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Tagebuchblätter eines Sonntagsxhilosophen.

ruhest du auch." Das ist am 27. August gewesen, als" am Tage vorher, Und
hat gewiß in ihm nachgeklungen als Grundstimmung, die sich in ihm nach seiner
Art weiter ausarbeiten mußte.

Da ist nun in jener Mühle, die er am Tage darauf besuchte, neben dem
Blatte mit jener Namenliste ein Blatt eingefügt, das nur die Verse trügt, die
hier wiederholt werden müssen, freilich nicht von Goethes Hand, auch nicht von
der seines Begleiters:


Lange hab ich mich gesträubt,
Endlich gab ich nach:
Wenn der alte Mensch zerstäubt,
Wird der neue wach.
Und so lang du das nicht hast,
Dieses Stirb und werde!
Bist du nur ein milder Gast
Auf der dunkeln Erde.

Ich war nicht wenig überrascht, hatte nie davon gehört oder gelesen, wie denn
noch in Düntzcrs Leben Goethes, wo die sichern Data so sorgfältig gesammelt
sind, von dem Besuch in dieser Mühle nichts steht. Verdrießlich war, daß das
nicht auch in Goethes Hand dastand. Auf Befragen hörte man in der Mühle,
das ursprüngliche Blatt mit des Dichters Handschrift sei einmal gestohlen worden,
seitdem werde das Buch nicht mehr aus dem Hause hinausgegeben etwa auf
den Nasen draußen, der zum Lagern so einladende Stellen hat, aber der vorige
Besitzer der Mühle habe das Blatt so ersetzen lassen. Man sieht es der schönen
Handschrift an, daß der Schreiber mit der allerbesten Mühe, mit vollem Gefühl
der Wichtigkeit gearbeitet hat. Ein Fälscher hätte sich wohl anch noch vollends
die Mühe genommen, des Dichters Handschrift nachzuahmen.

Wie es aber auch mit dem kritischen Verdrusse war, der sich daran klebte,
die Verse beschäftigten mich, zumal in der Muße der Sommerfrische, fast Tage
lang nachher und ließen mich nicht los. Der zweite Vers kam mir nicht neu
vor, er fand sich dann im Divan, der erste aber klang mir durchaus neu.
Aber echt wurde er mir Mehr und mehr nach Gehalt und Fassung: das konnte
nur aus Goethes Geiste kommen! Auch ein Freund urteilte entschieden so,
dem ich zuerst davon sagen konnte und der, zwar kein Gelehrter, doch berufs¬
mäßig tief in Goethe lebt. Er wies auch auf das "gab ich," nicht "geb ich"
hin als echt gvcthisch, es entspricht der Richtung, die sich in Goethes Denken
etwa von seinem sechzigsten Jahre an geltend machte und immer entschiedner
ausbildete, sich selbst, sein Wesen und Thun zugleich im geschichtlichen Gesichts-
punkte zu fassen, um es rein zu übersehen. Als ich aber dann Gelegenheit
hatte, im Vereich der Goethegemeinde deshalb an einer Thür anzuklopfen, wo
man auf die beste Auskunft hoffen durfte, da kam ich gar nicht an damit, es
fiel ein Wort von theologischer Fälschung, auch mit Berufung auf eine andre


Grenzboten IV. 1837. 11
Tagebuchblätter eines Sonntagsxhilosophen.

ruhest du auch." Das ist am 27. August gewesen, als» am Tage vorher, Und
hat gewiß in ihm nachgeklungen als Grundstimmung, die sich in ihm nach seiner
Art weiter ausarbeiten mußte.

Da ist nun in jener Mühle, die er am Tage darauf besuchte, neben dem
Blatte mit jener Namenliste ein Blatt eingefügt, das nur die Verse trügt, die
hier wiederholt werden müssen, freilich nicht von Goethes Hand, auch nicht von
der seines Begleiters:


Lange hab ich mich gesträubt,
Endlich gab ich nach:
Wenn der alte Mensch zerstäubt,
Wird der neue wach.
Und so lang du das nicht hast,
Dieses Stirb und werde!
Bist du nur ein milder Gast
Auf der dunkeln Erde.

Ich war nicht wenig überrascht, hatte nie davon gehört oder gelesen, wie denn
noch in Düntzcrs Leben Goethes, wo die sichern Data so sorgfältig gesammelt
sind, von dem Besuch in dieser Mühle nichts steht. Verdrießlich war, daß das
nicht auch in Goethes Hand dastand. Auf Befragen hörte man in der Mühle,
das ursprüngliche Blatt mit des Dichters Handschrift sei einmal gestohlen worden,
seitdem werde das Buch nicht mehr aus dem Hause hinausgegeben etwa auf
den Nasen draußen, der zum Lagern so einladende Stellen hat, aber der vorige
Besitzer der Mühle habe das Blatt so ersetzen lassen. Man sieht es der schönen
Handschrift an, daß der Schreiber mit der allerbesten Mühe, mit vollem Gefühl
der Wichtigkeit gearbeitet hat. Ein Fälscher hätte sich wohl anch noch vollends
die Mühe genommen, des Dichters Handschrift nachzuahmen.

Wie es aber auch mit dem kritischen Verdrusse war, der sich daran klebte,
die Verse beschäftigten mich, zumal in der Muße der Sommerfrische, fast Tage
lang nachher und ließen mich nicht los. Der zweite Vers kam mir nicht neu
vor, er fand sich dann im Divan, der erste aber klang mir durchaus neu.
Aber echt wurde er mir Mehr und mehr nach Gehalt und Fassung: das konnte
nur aus Goethes Geiste kommen! Auch ein Freund urteilte entschieden so,
dem ich zuerst davon sagen konnte und der, zwar kein Gelehrter, doch berufs¬
mäßig tief in Goethe lebt. Er wies auch auf das „gab ich," nicht „geb ich"
hin als echt gvcthisch, es entspricht der Richtung, die sich in Goethes Denken
etwa von seinem sechzigsten Jahre an geltend machte und immer entschiedner
ausbildete, sich selbst, sein Wesen und Thun zugleich im geschichtlichen Gesichts-
punkte zu fassen, um es rein zu übersehen. Als ich aber dann Gelegenheit
hatte, im Vereich der Goethegemeinde deshalb an einer Thür anzuklopfen, wo
man auf die beste Auskunft hoffen durfte, da kam ich gar nicht an damit, es
fiel ein Wort von theologischer Fälschung, auch mit Berufung auf eine andre


Grenzboten IV. 1837. 11
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0089" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201518"/>
          <fw type="header" place="top"> Tagebuchblätter eines Sonntagsxhilosophen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_178" prev="#ID_177"> ruhest du auch." Das ist am 27. August gewesen, als» am Tage vorher, Und<lb/>
hat gewiß in ihm nachgeklungen als Grundstimmung, die sich in ihm nach seiner<lb/>
Art weiter ausarbeiten mußte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_179"> Da ist nun in jener Mühle, die er am Tage darauf besuchte, neben dem<lb/>
Blatte mit jener Namenliste ein Blatt eingefügt, das nur die Verse trügt, die<lb/>
hier wiederholt werden müssen, freilich nicht von Goethes Hand, auch nicht von<lb/>
der seines Begleiters:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_6" type="poem">
              <l> Lange hab ich mich gesträubt,<lb/>
Endlich gab ich nach:<lb/>
Wenn der alte Mensch zerstäubt,<lb/>
Wird der neue wach.</l>
              <l> Und so lang du das nicht hast,<lb/>
Dieses Stirb und werde!<lb/>
Bist du nur ein milder Gast<lb/>
Auf der dunkeln Erde.</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_180"> Ich war nicht wenig überrascht, hatte nie davon gehört oder gelesen, wie denn<lb/>
noch in Düntzcrs Leben Goethes, wo die sichern Data so sorgfältig gesammelt<lb/>
sind, von dem Besuch in dieser Mühle nichts steht. Verdrießlich war, daß das<lb/>
nicht auch in Goethes Hand dastand. Auf Befragen hörte man in der Mühle,<lb/>
das ursprüngliche Blatt mit des Dichters Handschrift sei einmal gestohlen worden,<lb/>
seitdem werde das Buch nicht mehr aus dem Hause hinausgegeben etwa auf<lb/>
den Nasen draußen, der zum Lagern so einladende Stellen hat, aber der vorige<lb/>
Besitzer der Mühle habe das Blatt so ersetzen lassen. Man sieht es der schönen<lb/>
Handschrift an, daß der Schreiber mit der allerbesten Mühe, mit vollem Gefühl<lb/>
der Wichtigkeit gearbeitet hat. Ein Fälscher hätte sich wohl anch noch vollends<lb/>
die Mühe genommen, des Dichters Handschrift nachzuahmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_181" next="#ID_182"> Wie es aber auch mit dem kritischen Verdrusse war, der sich daran klebte,<lb/>
die Verse beschäftigten mich, zumal in der Muße der Sommerfrische, fast Tage<lb/>
lang nachher und ließen mich nicht los. Der zweite Vers kam mir nicht neu<lb/>
vor, er fand sich dann im Divan, der erste aber klang mir durchaus neu.<lb/>
Aber echt wurde er mir Mehr und mehr nach Gehalt und Fassung: das konnte<lb/>
nur aus Goethes Geiste kommen! Auch ein Freund urteilte entschieden so,<lb/>
dem ich zuerst davon sagen konnte und der, zwar kein Gelehrter, doch berufs¬<lb/>
mäßig tief in Goethe lebt. Er wies auch auf das &#x201E;gab ich," nicht &#x201E;geb ich"<lb/>
hin als echt gvcthisch, es entspricht der Richtung, die sich in Goethes Denken<lb/>
etwa von seinem sechzigsten Jahre an geltend machte und immer entschiedner<lb/>
ausbildete, sich selbst, sein Wesen und Thun zugleich im geschichtlichen Gesichts-<lb/>
punkte zu fassen, um es rein zu übersehen. Als ich aber dann Gelegenheit<lb/>
hatte, im Vereich der Goethegemeinde deshalb an einer Thür anzuklopfen, wo<lb/>
man auf die beste Auskunft hoffen durfte, da kam ich gar nicht an damit, es<lb/>
fiel ein Wort von theologischer Fälschung, auch mit Berufung auf eine andre</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1837. 11</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0089] Tagebuchblätter eines Sonntagsxhilosophen. ruhest du auch." Das ist am 27. August gewesen, als» am Tage vorher, Und hat gewiß in ihm nachgeklungen als Grundstimmung, die sich in ihm nach seiner Art weiter ausarbeiten mußte. Da ist nun in jener Mühle, die er am Tage darauf besuchte, neben dem Blatte mit jener Namenliste ein Blatt eingefügt, das nur die Verse trügt, die hier wiederholt werden müssen, freilich nicht von Goethes Hand, auch nicht von der seines Begleiters: Lange hab ich mich gesträubt, Endlich gab ich nach: Wenn der alte Mensch zerstäubt, Wird der neue wach. Und so lang du das nicht hast, Dieses Stirb und werde! Bist du nur ein milder Gast Auf der dunkeln Erde. Ich war nicht wenig überrascht, hatte nie davon gehört oder gelesen, wie denn noch in Düntzcrs Leben Goethes, wo die sichern Data so sorgfältig gesammelt sind, von dem Besuch in dieser Mühle nichts steht. Verdrießlich war, daß das nicht auch in Goethes Hand dastand. Auf Befragen hörte man in der Mühle, das ursprüngliche Blatt mit des Dichters Handschrift sei einmal gestohlen worden, seitdem werde das Buch nicht mehr aus dem Hause hinausgegeben etwa auf den Nasen draußen, der zum Lagern so einladende Stellen hat, aber der vorige Besitzer der Mühle habe das Blatt so ersetzen lassen. Man sieht es der schönen Handschrift an, daß der Schreiber mit der allerbesten Mühe, mit vollem Gefühl der Wichtigkeit gearbeitet hat. Ein Fälscher hätte sich wohl anch noch vollends die Mühe genommen, des Dichters Handschrift nachzuahmen. Wie es aber auch mit dem kritischen Verdrusse war, der sich daran klebte, die Verse beschäftigten mich, zumal in der Muße der Sommerfrische, fast Tage lang nachher und ließen mich nicht los. Der zweite Vers kam mir nicht neu vor, er fand sich dann im Divan, der erste aber klang mir durchaus neu. Aber echt wurde er mir Mehr und mehr nach Gehalt und Fassung: das konnte nur aus Goethes Geiste kommen! Auch ein Freund urteilte entschieden so, dem ich zuerst davon sagen konnte und der, zwar kein Gelehrter, doch berufs¬ mäßig tief in Goethe lebt. Er wies auch auf das „gab ich," nicht „geb ich" hin als echt gvcthisch, es entspricht der Richtung, die sich in Goethes Denken etwa von seinem sechzigsten Jahre an geltend machte und immer entschiedner ausbildete, sich selbst, sein Wesen und Thun zugleich im geschichtlichen Gesichts- punkte zu fassen, um es rein zu übersehen. Als ich aber dann Gelegenheit hatte, im Vereich der Goethegemeinde deshalb an einer Thür anzuklopfen, wo man auf die beste Auskunft hoffen durfte, da kam ich gar nicht an damit, es fiel ein Wort von theologischer Fälschung, auch mit Berufung auf eine andre Grenzboten IV. 1837. 11

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/89
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/89>, abgerufen am 29.06.2024.