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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Karl Friedrich Bahrdt.

empfing Besuche, schrieb viel und trug sich sogar mit dem Gedanken, auch hier --
moralische Vorlesungen zu halten. Nur die Erwägung, so versicherte er, daß
er damit die Großmut des Gouverneurs mißbrauchen würde, ließ diesen unge¬
heuerlichen Plan scheitern. Nach seiner Rückkehr aus der Magdeburger Zita¬
delle (im November 1790) setzte er sein Kneipwirtsleben auf seinem Weinberge
bei Halle fort, doch war seine Kraft gebrochen, und schon am 23. April 1792
starb er, fünfzig Jahre alt, an einem Übel, das ihm seine Ausschweifung zu¬
gezogen hatte.

Die ihm in der Festung vergönnte Muße hatte er zur Abfassung seiner
Memoiren benutzt und in vier Bänden seine Lebensgeschichte und außerdem eine
Geschichte und ein Tagebuch seines Gefängnisses geschrieben. Seine Selbst¬
biographie ist ein höchst merkwürdiges, ebenso interessantes wie widerwärtiges
Buch; interessant vor allem durch den Einblick, den es uns in die theologischen
Zustände jeuer Tage gewährt, und weil es aufs lebendigste zeigt, wie tief da¬
mals die Gegensätze zwischen Orthodoxie und Nationalismus das ganze deutsche
Leben bewegten. Schon Gewinns hat auf die nahe Verwandtschaft dieses
Buches mit Nicolais "Sebaldus Nothanker" hingewiesen und hat betont, daß
alles, was in diesem Roman anstößig berührt, uur der Wirklichkeit abgeschrieben
war und daß Bahrdt dieselben Vorbilder nur uoch greller aufgetragen und weit
fesselnder geschildert hat. Und in der That: diese beiden Bücher, den "Noth¬
anker" und Bahrdts Lebensbeschreibung, muß man lesen, wenn man den "Geruch
und Geschmack" jener Zustände gewinnen will; man lernt aus ihnen mehr, als
aus allen Schilderungen der Kirchen- und Kulturhistoriker, und man muß diese
Zustände kennen, wenn man die Kämpfe Lessings oder die Bedeutung Herders
wirklich begreifen will. Aber sich selbst konnte Bahrdt keinen schlimmern Dienst
erweisen, als dnrch Veröffentlichung dieser Selbstschildcrnng, die ihn ganz in
xuris rmtnrickibns zeigt, die mit gründlicher Sachkenntnis und schlecht verhehltem
Behagen die Verirrungen der Sinnlichkeit schildert und seine grnndgemcine Ge¬
sinnung prahlerisch zur Schau stellt. Und besonders widerlich wirkt diese Selbst¬
biographie, weil sie mit dem Anspruch einer Nechtfertigungsschrift auftritt. In
manchen Punkten erinnern die Bahrdtschc" Bekenntnisse an die des nicht minder
berüchtigten Magisters Lanckhardt, aber während dieser stets den Mut hat, die
Dinge beim rechten Namen zu nennen und sich nicht besser zu machen, als er
war, ist Bahrdt immer bestrebt, an sich selbst eine Mohrenwäsche vorzunehmen,
indem er alle Züge seines sittlichen Charakters von kleinen Zufälligkeiten prag¬
matisch herleitet. Er hat den traurigen Mut, sich in der Rolle des Verführten
darzustellen, der von Haus aus nur ein bischen leichtsinnig und unbesonnen
gewesen sei; sein Unglück sei erst der lüderliche Riedel in Erfurt und dann vor
allem feine Fran gewesen, der er nun mit einer Gemütsrohheit ohne gleichen
die ganze Verantwortung für sein verpfuschtes Leben aufbürdet. Nichts erbärm¬
licher als diese Anklage gegen die eigne Frau, deren Leben an der Seite dieses


Karl Friedrich Bahrdt.

empfing Besuche, schrieb viel und trug sich sogar mit dem Gedanken, auch hier —
moralische Vorlesungen zu halten. Nur die Erwägung, so versicherte er, daß
er damit die Großmut des Gouverneurs mißbrauchen würde, ließ diesen unge¬
heuerlichen Plan scheitern. Nach seiner Rückkehr aus der Magdeburger Zita¬
delle (im November 1790) setzte er sein Kneipwirtsleben auf seinem Weinberge
bei Halle fort, doch war seine Kraft gebrochen, und schon am 23. April 1792
starb er, fünfzig Jahre alt, an einem Übel, das ihm seine Ausschweifung zu¬
gezogen hatte.

Die ihm in der Festung vergönnte Muße hatte er zur Abfassung seiner
Memoiren benutzt und in vier Bänden seine Lebensgeschichte und außerdem eine
Geschichte und ein Tagebuch seines Gefängnisses geschrieben. Seine Selbst¬
biographie ist ein höchst merkwürdiges, ebenso interessantes wie widerwärtiges
Buch; interessant vor allem durch den Einblick, den es uns in die theologischen
Zustände jeuer Tage gewährt, und weil es aufs lebendigste zeigt, wie tief da¬
mals die Gegensätze zwischen Orthodoxie und Nationalismus das ganze deutsche
Leben bewegten. Schon Gewinns hat auf die nahe Verwandtschaft dieses
Buches mit Nicolais „Sebaldus Nothanker" hingewiesen und hat betont, daß
alles, was in diesem Roman anstößig berührt, uur der Wirklichkeit abgeschrieben
war und daß Bahrdt dieselben Vorbilder nur uoch greller aufgetragen und weit
fesselnder geschildert hat. Und in der That: diese beiden Bücher, den „Noth¬
anker" und Bahrdts Lebensbeschreibung, muß man lesen, wenn man den „Geruch
und Geschmack" jener Zustände gewinnen will; man lernt aus ihnen mehr, als
aus allen Schilderungen der Kirchen- und Kulturhistoriker, und man muß diese
Zustände kennen, wenn man die Kämpfe Lessings oder die Bedeutung Herders
wirklich begreifen will. Aber sich selbst konnte Bahrdt keinen schlimmern Dienst
erweisen, als dnrch Veröffentlichung dieser Selbstschildcrnng, die ihn ganz in
xuris rmtnrickibns zeigt, die mit gründlicher Sachkenntnis und schlecht verhehltem
Behagen die Verirrungen der Sinnlichkeit schildert und seine grnndgemcine Ge¬
sinnung prahlerisch zur Schau stellt. Und besonders widerlich wirkt diese Selbst¬
biographie, weil sie mit dem Anspruch einer Nechtfertigungsschrift auftritt. In
manchen Punkten erinnern die Bahrdtschc» Bekenntnisse an die des nicht minder
berüchtigten Magisters Lanckhardt, aber während dieser stets den Mut hat, die
Dinge beim rechten Namen zu nennen und sich nicht besser zu machen, als er
war, ist Bahrdt immer bestrebt, an sich selbst eine Mohrenwäsche vorzunehmen,
indem er alle Züge seines sittlichen Charakters von kleinen Zufälligkeiten prag¬
matisch herleitet. Er hat den traurigen Mut, sich in der Rolle des Verführten
darzustellen, der von Haus aus nur ein bischen leichtsinnig und unbesonnen
gewesen sei; sein Unglück sei erst der lüderliche Riedel in Erfurt und dann vor
allem feine Fran gewesen, der er nun mit einer Gemütsrohheit ohne gleichen
die ganze Verantwortung für sein verpfuschtes Leben aufbürdet. Nichts erbärm¬
licher als diese Anklage gegen die eigne Frau, deren Leben an der Seite dieses


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/87>, abgerufen am 29.06.2024.