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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Karl Friedrich Bahrdt.

zum Pasquillanten herabgesunken und war damit, nach Lessings Wort, das
Verächtlichste geworden, was ein vernünftiger Mensch werden kann.

Noch größeres Aufsehen jedoch als alle seine Schriften erregte im Jahre
1787 die plötzlich sich verbreitende Nachricht, der Doktor Bahrdt habe seine
Vorlesungen eingestellt und sei Schankwirt geworden; auf einem Weinberge bei
HalleHanse und wirtschafte er mit seiner Magd, bediene seine Gäste selbst,
trinke mit ihnen und belustige sie mit Anekdoten und Späßen. Und so war
es wirklich: im Juli 1787 hatte er, "weil in den preußischen Staaten seine
Talente zu nichts brauchbar gefunden wurden," einen Weinberg gekauft und
dort ein "Etablissement" eingerichtet, in dem er selbst allem Anscheine nach sein
bester Kunde war. Er that sich hier gar keinen Zwang mehr an, sondern führte
seinen anstößigen Lebenswandel ganz offenkundig; es schien, als wollte er, nach¬
dem er mit sich und der ganzen Welt zerfallen war, recht geflissentlich Ärgernis
erregen, und als empfinde er in diesem Ärgernis eine Art von Genugthuung.
Es war der letzte verzweifelte Schritt eines Bcmkerotteurs, der wie aus Trotz
auch den letzten Nest von Würde und Scham vou sich geworfen hat, um dann
seine eigne Erniedrigung prahlerisch zur Schau zu stellen, in dem Glanben,
damit der Welt einen Tort anzuthun.

Aber auch der Schankwirt konnte die Feder nicht ruhen lassen. Am
9. Juli 1788 war Wvllners berüchtigtes Religiouscdikt erschienen, und diesem
folgte im November ein Lustspiel unter dem gleichen Titel""'') von "Nicolai dem
Jüngeren," ein mehr grobes als witziges Pamphlet, das sich in den maßlosesten
Ausfällen gegen Wöllner und in den heftigsten Angriffen gegen die Hallische
Universität erging und zugleich den König selbst aufs gröblichste beleidigte.*""")
Wöllner hatte -- so erzählt Nicolai der Jüngere -- den Prediger Blumenthal,
seinen alten Universitätsfreund, mit der Anfertigung des Religionsedikts beauf¬
tragt. Im Rausche macht sich dieser an die Arbeit, sodaß sein Amtsbruder
Kluge entrüstet ausrufen kann: "Gott! ein besoffenes Schwein der Konzipient
eines Neligiousedil'es!" Satz für Satz zerpflückt dieser aufgeklärte Kluge das
traurige Machwerk, das dem Könige, in dessen Namen es abgefaßt worden war,
wahrlich keine Ehre machen werde. Ganz Europa werde staunen, daß Friedrich
Wilhelm II. alle Traditionen seines großen Vorfahren verleugne und die Zeiten
der "Brandenburgischen Barbarei" sich zum Muster nehme. Denn der Regent,
der die Rechte der Duldung deu Svziniauern, Deisten u. s. w. streitig mache,





*) Dem Albonikoschcn, den er für 3000 Thaler gekauft hatte. Berge. Bahrdt, Gcschtchte
und Tagebuch meines Gefängnisses (Berlin, 1790), S. 22.
Das Rcligionsedikt. Ein Lustspiel in fünf Auszügen. Eine Skizze. Von Nicolai dem
Jüngeren. Thenakel, 1789.
Vor allem in der Äußerung des Kammerdieners Rietz: "Der König schleudere seinen
Weg mit der Dicken (der späteren Gräfin Lichtenau) fort und lasse ihn machen." Auf diese
Stelle gründete sich die Anklage wegen MajeMSbelcidigung.
Karl Friedrich Bahrdt.

zum Pasquillanten herabgesunken und war damit, nach Lessings Wort, das
Verächtlichste geworden, was ein vernünftiger Mensch werden kann.

Noch größeres Aufsehen jedoch als alle seine Schriften erregte im Jahre
1787 die plötzlich sich verbreitende Nachricht, der Doktor Bahrdt habe seine
Vorlesungen eingestellt und sei Schankwirt geworden; auf einem Weinberge bei
HalleHanse und wirtschafte er mit seiner Magd, bediene seine Gäste selbst,
trinke mit ihnen und belustige sie mit Anekdoten und Späßen. Und so war
es wirklich: im Juli 1787 hatte er, „weil in den preußischen Staaten seine
Talente zu nichts brauchbar gefunden wurden," einen Weinberg gekauft und
dort ein „Etablissement" eingerichtet, in dem er selbst allem Anscheine nach sein
bester Kunde war. Er that sich hier gar keinen Zwang mehr an, sondern führte
seinen anstößigen Lebenswandel ganz offenkundig; es schien, als wollte er, nach¬
dem er mit sich und der ganzen Welt zerfallen war, recht geflissentlich Ärgernis
erregen, und als empfinde er in diesem Ärgernis eine Art von Genugthuung.
Es war der letzte verzweifelte Schritt eines Bcmkerotteurs, der wie aus Trotz
auch den letzten Nest von Würde und Scham vou sich geworfen hat, um dann
seine eigne Erniedrigung prahlerisch zur Schau zu stellen, in dem Glanben,
damit der Welt einen Tort anzuthun.

Aber auch der Schankwirt konnte die Feder nicht ruhen lassen. Am
9. Juli 1788 war Wvllners berüchtigtes Religiouscdikt erschienen, und diesem
folgte im November ein Lustspiel unter dem gleichen Titel""'') von „Nicolai dem
Jüngeren," ein mehr grobes als witziges Pamphlet, das sich in den maßlosesten
Ausfällen gegen Wöllner und in den heftigsten Angriffen gegen die Hallische
Universität erging und zugleich den König selbst aufs gröblichste beleidigte.*""")
Wöllner hatte — so erzählt Nicolai der Jüngere — den Prediger Blumenthal,
seinen alten Universitätsfreund, mit der Anfertigung des Religionsedikts beauf¬
tragt. Im Rausche macht sich dieser an die Arbeit, sodaß sein Amtsbruder
Kluge entrüstet ausrufen kann: „Gott! ein besoffenes Schwein der Konzipient
eines Neligiousedil'es!" Satz für Satz zerpflückt dieser aufgeklärte Kluge das
traurige Machwerk, das dem Könige, in dessen Namen es abgefaßt worden war,
wahrlich keine Ehre machen werde. Ganz Europa werde staunen, daß Friedrich
Wilhelm II. alle Traditionen seines großen Vorfahren verleugne und die Zeiten
der „Brandenburgischen Barbarei" sich zum Muster nehme. Denn der Regent,
der die Rechte der Duldung deu Svziniauern, Deisten u. s. w. streitig mache,





*) Dem Albonikoschcn, den er für 3000 Thaler gekauft hatte. Berge. Bahrdt, Gcschtchte
und Tagebuch meines Gefängnisses (Berlin, 1790), S. 22.
Das Rcligionsedikt. Ein Lustspiel in fünf Auszügen. Eine Skizze. Von Nicolai dem
Jüngeren. Thenakel, 1789.
Vor allem in der Äußerung des Kammerdieners Rietz: „Der König schleudere seinen
Weg mit der Dicken (der späteren Gräfin Lichtenau) fort und lasse ihn machen." Auf diese
Stelle gründete sich die Anklage wegen MajeMSbelcidigung.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/85>, abgerufen am 04.07.2024.