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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Aarl Friedrich Bahrdt.

suchende Leser" (Berlin, 1783 bis 1785) als den Abschluß, als Spitze und
Krönung seines theologischen Systems*): er wollte darin einen Christus dar¬
stellen, der uicht mehr als Gott und Wunderthäter die Vernunft empören sollte;
er wollte vielmehr den Mann zeichnen, der sich allein für die Aufklärung der
Menschheit als "wohlthätiges Werkzeug der Providenz" aufgeopfert habe. Durch
einen Zufall -- so erzählt er -- wurde in ihm über der Arbeit der Geist der
Maurerei erweckt, und dieser führte ihn auf die Hypothese, "daß Christus den
Plan gehabt haben müsse, durch Stiftung einer geheimen Gesellschaft die von
Priestern und Tempelpfaffen verdrängte Wahrheit unter den Menschen zu er¬
halten und fortzupflanzen." In zehn Bänden gab er diese Albernheit zum
Besten und konstruirte sich schließlich für die Passion eine ganz neue Betrugs-
und Schwindeltheorie, welche Hettner**) noch milde als eine geradezu "widerliche
Auseinandersetzung" bezeichnet.

Während seine allmählich im seichtesten Geschwätz versandende theologische
Schriftstellern kaum noch ernsthaft genommen wurde, wußte er durch seiue
giftigen Ausfälle gegen zeitgenössische Theologen wenigstens noch zeitweilig von
sich reden zu machen und damit zugleich sein Bedürfnis nach Skandal und
Personalklatsch zu befriedigen. Auf seinem "Kirchen- und Ketzer-Almanach aufs
Jahr 1781, Härcsiopel, im Verlag der Ektlessia pressa," den Frommann in
Züllichau gedruckt hatte, ruhte der Geist des seligen Klotz; mit wahrem Be¬
hagen stellte hier Bahrdt alle seine persönlichen Widersacher, alle, von denen er
sich je gekränkt oder in seinem Fortkommen gehemmt glaubte, an den Pranger,
behandelte alle orthodoxen Theologen wie Dummköpfe oder Heuchler, und fällte
mit ebenso viel Dreistigkeit wie Unkenntnis über die gesamte theologische Lite¬
ratur aus zwei Jahrzehnten schnoddrige Urteile. Wir kennen schon aus seiner
Mitarbeit an den Frankfurter gelehrten Anzeigen die Liebenswürdigkeit, mit der
er andersgesinnte Kollegen zu behandeln pflegte; jetzt fühlte er sich vollends
jeder Rücksicht enthoben und rächte sich für alle ihm widerfahrene Unbill dnrch
unartige Witze oder Grobheiten. Da finden wir wieder seine Gießener Kol¬
legen Berner, Schulz, Schwarz und Ouvrier mit hämischen Randglossen bedacht,
da bekommt Herr von Salis seinen Denkzettel, und da gehts vor allem über
die Hallischen Theologen her, von denen allein Knapp glimpflich davonkömmt.
Ausführlich rechnet er hier mit Semler ab, an dem neuerdings, seit seinem
Austreten gegen Bahrdt, die ganze Welt irre geworden sei. Mit Unbarm-
herzigkeit sehe man ihn auf einen Mann losschlagen, der ihn nie beleidigt habe,
sehe ihn mit den alten Waffen der Ketzermacher fechten, die er sonst so sehr
verabscheut habe, und man stehe vor diesem Wandel wie vor einem Rätsel, das
auch er (Bahrdt) nicht zu lösen imstande sei. Nur das könne er behaupten,




*) Lebensbeschreibung IV, S, 126 ff.
**) Geschichte der deutschen Literatur im achtzehnten Jahrhundert II, 3. S. 306.
Aarl Friedrich Bahrdt.

suchende Leser" (Berlin, 1783 bis 1785) als den Abschluß, als Spitze und
Krönung seines theologischen Systems*): er wollte darin einen Christus dar¬
stellen, der uicht mehr als Gott und Wunderthäter die Vernunft empören sollte;
er wollte vielmehr den Mann zeichnen, der sich allein für die Aufklärung der
Menschheit als „wohlthätiges Werkzeug der Providenz" aufgeopfert habe. Durch
einen Zufall — so erzählt er — wurde in ihm über der Arbeit der Geist der
Maurerei erweckt, und dieser führte ihn auf die Hypothese, „daß Christus den
Plan gehabt haben müsse, durch Stiftung einer geheimen Gesellschaft die von
Priestern und Tempelpfaffen verdrängte Wahrheit unter den Menschen zu er¬
halten und fortzupflanzen." In zehn Bänden gab er diese Albernheit zum
Besten und konstruirte sich schließlich für die Passion eine ganz neue Betrugs-
und Schwindeltheorie, welche Hettner**) noch milde als eine geradezu „widerliche
Auseinandersetzung" bezeichnet.

Während seine allmählich im seichtesten Geschwätz versandende theologische
Schriftstellern kaum noch ernsthaft genommen wurde, wußte er durch seiue
giftigen Ausfälle gegen zeitgenössische Theologen wenigstens noch zeitweilig von
sich reden zu machen und damit zugleich sein Bedürfnis nach Skandal und
Personalklatsch zu befriedigen. Auf seinem „Kirchen- und Ketzer-Almanach aufs
Jahr 1781, Härcsiopel, im Verlag der Ektlessia pressa," den Frommann in
Züllichau gedruckt hatte, ruhte der Geist des seligen Klotz; mit wahrem Be¬
hagen stellte hier Bahrdt alle seine persönlichen Widersacher, alle, von denen er
sich je gekränkt oder in seinem Fortkommen gehemmt glaubte, an den Pranger,
behandelte alle orthodoxen Theologen wie Dummköpfe oder Heuchler, und fällte
mit ebenso viel Dreistigkeit wie Unkenntnis über die gesamte theologische Lite¬
ratur aus zwei Jahrzehnten schnoddrige Urteile. Wir kennen schon aus seiner
Mitarbeit an den Frankfurter gelehrten Anzeigen die Liebenswürdigkeit, mit der
er andersgesinnte Kollegen zu behandeln pflegte; jetzt fühlte er sich vollends
jeder Rücksicht enthoben und rächte sich für alle ihm widerfahrene Unbill dnrch
unartige Witze oder Grobheiten. Da finden wir wieder seine Gießener Kol¬
legen Berner, Schulz, Schwarz und Ouvrier mit hämischen Randglossen bedacht,
da bekommt Herr von Salis seinen Denkzettel, und da gehts vor allem über
die Hallischen Theologen her, von denen allein Knapp glimpflich davonkömmt.
Ausführlich rechnet er hier mit Semler ab, an dem neuerdings, seit seinem
Austreten gegen Bahrdt, die ganze Welt irre geworden sei. Mit Unbarm-
herzigkeit sehe man ihn auf einen Mann losschlagen, der ihn nie beleidigt habe,
sehe ihn mit den alten Waffen der Ketzermacher fechten, die er sonst so sehr
verabscheut habe, und man stehe vor diesem Wandel wie vor einem Rätsel, das
auch er (Bahrdt) nicht zu lösen imstande sei. Nur das könne er behaupten,




*) Lebensbeschreibung IV, S, 126 ff.
**) Geschichte der deutschen Literatur im achtzehnten Jahrhundert II, 3. S. 306.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/83>, abgerufen am 04.07.2024.