Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.Rarl Friedrich Bahrdt. Stellung nicht nur wissenschaftlich zu begründen, sondern auch in seiner eignen Von seinen Vorlesungen konnte Bahrdt nicht leben, und seitdem der Mi¬ Rarl Friedrich Bahrdt. Stellung nicht nur wissenschaftlich zu begründen, sondern auch in seiner eignen Von seinen Vorlesungen konnte Bahrdt nicht leben, und seitdem der Mi¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0082" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201511"/> <fw type="header" place="top"> Rarl Friedrich Bahrdt.</fw><lb/> <p xml:id="ID_162" prev="#ID_161"> Stellung nicht nur wissenschaftlich zu begründen, sondern auch in seiner eignen<lb/> Person als Möglichkeit zu erweisen; er hatte den Versuch gemacht, zwischen den<lb/> Vorstellungen und dem Kern der Sache zu unterscheiden, ohne auch nur ein<lb/> Stück seines persönlich erlebten Christenglaubens preiszugeben. Nun sah er hier<lb/> seine Gedanken ihrer wissenschaftlichen Form entkleidet und in rohester Gestalt<lb/> auf den offnen Markt gezerrt, und zwar in einer so wüsten und leichtfertigen<lb/> Weise, daß schon sein sittliches Gewissen sich dagegen aufbäumte. Auch ihm<lb/> blieb die leidige Erfahrung nicht erspart, daß ein großer Teil derer, die sich<lb/> seine Anhänger und Gesinnungsgenossen nannten, nur ein Interesse hatten für<lb/> die negative Seite seiner gesamten wissenschaftlichen Arbeit, aber nicht das min¬<lb/> deste Verständnis für das Bleibende und Ewige, das der Kritik für immer ent¬<lb/> rückt ist; sie hatten immer und überall nur das Nein gehört und schrieen nun<lb/> über Verrat, als er plötzlich durch Betonen des Positiven die Grenze zwischen<lb/> sich und den Nurneinsagern aufrichtete. Es ist hente nicht schwer, die wissen¬<lb/> schaftliche Schwäche, die Unklarheit und Halbheit jener Semlerschen „Antwort"<lb/> zu erkennen; aber sie war für ihn die Erfüllung der unabweisbaren sittlichen<lb/> Pflicht, einen Mann von seinen Rockschößen abzuschütteln, der den Namen der<lb/> Aufklärung und Gewissensfreiheit mißbrauchte, um gegen die Religion „Sottisen"<lb/> zu sagen und das Christentum an sich zu verunglimpfen. Eben um der Ge¬<lb/> wissensfreiheit willen nahm er den Schein der Unduldsamkeit auf sich; er scheute<lb/> vor dem innern tragischen Konflikte nicht zurück, in den er dadurch gedrängt<lb/> wurde, da es ihm nnn klar werden mußte, daß jene von ihm aufgestellte Unter¬<lb/> scheidung auf die Dauer vor seinem Gewissen nicht bestehen könne — einem Kon¬<lb/> flikte, der ihm jedenfalls schmerzlicher ans Herz griff, als das ärgerliche Ge¬<lb/> schwätz der Allgemeinen deutschen Bibliothek (49. Band, 1. Stück) und Basedows<lb/> Vorwurf der Zweizüngigkeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_163" next="#ID_164"> Von seinen Vorlesungen konnte Bahrdt nicht leben, und seitdem der Mi¬<lb/> nister von Zedlitz seine Hand von ihm abgezogen hatte, war ihm jede Hoffnung<lb/> auf eine Anstellung abgeschnitten. So war er denn ans den Ertrag seiner<lb/> Feder angewiesen, und da ihn kein gelehrter Ballast beschwerte und er immer<lb/> flott darauf losschrieb, so schwoll die Flut seiner Bücher immer riesiger an,<lb/> und er konnte schließlich selbst als seiner Hände Werk 126 Bände bezeichnen.<lb/> „Mit der Ausdauer der Allgemeinen Bibliothek und der Schreiblustigkeit eines<lb/> deutschen Büchcrmachers" — wie Gervinus treffend sagt — füllte er Bogen ans<lb/> Bogen: er übersetzte Taeitus und Juvenal, schrieb eine Logik und Metaphysik,<lb/> gab Gedichte eines Naturalisten, eine Rhetorik für geistliche Redner und ein<lb/> Sittcnbuch fürs Gesinde heraus, verfaßte zwischendurch Pasquille und Pam¬<lb/> phlete und verkündigte in immer neuen Büchern sein aufgeklärtes Christentum,<lb/> dessen Christus schließlich nichts andres mehr war als ein Aufklärer von dem<lb/> Schlage des Herrn Doktor Bahrdt selber. Er selbst betrachtete die zehn<lb/> Bände „Ausführung des Planes und Zwecks Jesu in Briefen an Wahrheit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0082]
Rarl Friedrich Bahrdt.
Stellung nicht nur wissenschaftlich zu begründen, sondern auch in seiner eignen
Person als Möglichkeit zu erweisen; er hatte den Versuch gemacht, zwischen den
Vorstellungen und dem Kern der Sache zu unterscheiden, ohne auch nur ein
Stück seines persönlich erlebten Christenglaubens preiszugeben. Nun sah er hier
seine Gedanken ihrer wissenschaftlichen Form entkleidet und in rohester Gestalt
auf den offnen Markt gezerrt, und zwar in einer so wüsten und leichtfertigen
Weise, daß schon sein sittliches Gewissen sich dagegen aufbäumte. Auch ihm
blieb die leidige Erfahrung nicht erspart, daß ein großer Teil derer, die sich
seine Anhänger und Gesinnungsgenossen nannten, nur ein Interesse hatten für
die negative Seite seiner gesamten wissenschaftlichen Arbeit, aber nicht das min¬
deste Verständnis für das Bleibende und Ewige, das der Kritik für immer ent¬
rückt ist; sie hatten immer und überall nur das Nein gehört und schrieen nun
über Verrat, als er plötzlich durch Betonen des Positiven die Grenze zwischen
sich und den Nurneinsagern aufrichtete. Es ist hente nicht schwer, die wissen¬
schaftliche Schwäche, die Unklarheit und Halbheit jener Semlerschen „Antwort"
zu erkennen; aber sie war für ihn die Erfüllung der unabweisbaren sittlichen
Pflicht, einen Mann von seinen Rockschößen abzuschütteln, der den Namen der
Aufklärung und Gewissensfreiheit mißbrauchte, um gegen die Religion „Sottisen"
zu sagen und das Christentum an sich zu verunglimpfen. Eben um der Ge¬
wissensfreiheit willen nahm er den Schein der Unduldsamkeit auf sich; er scheute
vor dem innern tragischen Konflikte nicht zurück, in den er dadurch gedrängt
wurde, da es ihm nnn klar werden mußte, daß jene von ihm aufgestellte Unter¬
scheidung auf die Dauer vor seinem Gewissen nicht bestehen könne — einem Kon¬
flikte, der ihm jedenfalls schmerzlicher ans Herz griff, als das ärgerliche Ge¬
schwätz der Allgemeinen deutschen Bibliothek (49. Band, 1. Stück) und Basedows
Vorwurf der Zweizüngigkeit.
Von seinen Vorlesungen konnte Bahrdt nicht leben, und seitdem der Mi¬
nister von Zedlitz seine Hand von ihm abgezogen hatte, war ihm jede Hoffnung
auf eine Anstellung abgeschnitten. So war er denn ans den Ertrag seiner
Feder angewiesen, und da ihn kein gelehrter Ballast beschwerte und er immer
flott darauf losschrieb, so schwoll die Flut seiner Bücher immer riesiger an,
und er konnte schließlich selbst als seiner Hände Werk 126 Bände bezeichnen.
„Mit der Ausdauer der Allgemeinen Bibliothek und der Schreiblustigkeit eines
deutschen Büchcrmachers" — wie Gervinus treffend sagt — füllte er Bogen ans
Bogen: er übersetzte Taeitus und Juvenal, schrieb eine Logik und Metaphysik,
gab Gedichte eines Naturalisten, eine Rhetorik für geistliche Redner und ein
Sittcnbuch fürs Gesinde heraus, verfaßte zwischendurch Pasquille und Pam¬
phlete und verkündigte in immer neuen Büchern sein aufgeklärtes Christentum,
dessen Christus schließlich nichts andres mehr war als ein Aufklärer von dem
Schlage des Herrn Doktor Bahrdt selber. Er selbst betrachtete die zehn
Bände „Ausführung des Planes und Zwecks Jesu in Briefen an Wahrheit
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