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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Arsenios hat sich in zelotischer Frömmigkeit geschworen, sein junges Eheweib
drei Jahre lang nach dem kirchlichen Trauungsakte nicht zu berühren. Kann
er solch einen Schwur halten? Er vermag es nur durch fortwährende Kasteiung
und durch seine dämonische Willensstärke. Sein jungfräuliches Weib aber ahnt
das Unrecht, welches ihr Mann durch seinen Zelotismus an ihr begeht. Sie
weiß allerdings nichts weiter davon; aber sie entdeckt an sich selbst die holde
Leibesschönheit und begreift nicht, wie ihr Mann sie verachten kann. Da tritt
in ihr Dasein ein schöner Jüngling. Seine glühenden Blicke verfolgen sie
überallhin. Sie fühlt es, dieser Mensch schaut sie ganz anders an als ihr Mann,
dieser Arsenios erkennt ihre Schönheit, wie sie selbst sich in unbelauschter
Nachteinsamkeit beim Scheine des Mondlichtes im stillen Wasserspiegel gesehen
hat. Sie fühlt ihre Ohnmacht jenen verlangenden Blicken gegenüber, und in
der Not ihres einfältigen Herzens beichtet sie dem Gatten ihre Bedrängnis.
Nun erwacht freilich in diesem Priester die Liebe zu seinem Weibe, aber mäch¬
tiger noch in ihm ist der Dämon der Rachsucht. In seinem Fanatismus hält
er sich an das Bibelwort: "Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat
schon die Ehe gebrochen." In teuflischer Weise rächt er sich, indem er das
schöne Weib und ihren doch nur intellektuellen Verführer ans Kreuz schlägt.
Dann geht er hin, übergiebt sich dem Gerichte, das ihn als Lästerer des ster¬
benden Heilands auf dem Scheiterhaufen enden läßt. Vom Standpunkte des
sittlichen Empfindens kann man gegen diese düster herbe Geschichte gewiß keine
Bedenken erheben. Allein trotz aller Kunst in der Zeichnung des jungen, seine
eigne Schönheit zufällig entdeckenden Weibes, welches dann instinktiv die Macht
ihres schönen Körpers spielen läßt und sich so unselig das Schicksal bereitet,
kann man sich nicht für die Erzählung erwärmen. Sie will uns nur als eine
abstrakte Gedankendichtung erscheinen, sie beruht auf unwahrscheinlichen Voraus¬
setzungen, der Ausgang ist peinigend, Alexandra ist nicht tragisch, denn die
Moral des Priesters ist nicht die unsrige.

Aber das bisher verfolgte Grundmotiv der Schönheit erschöpft den dich¬
terischen Originalcharakter Hans Hoffmanns noch nicht. Es ist noch ein zweites,
nicht minder tief in seiner Persönlichkeit begründetes zu beobachten, das, mit
dem ersteren vereinigt, ganz eigenartige poetische Schöpfungen hervorgerufen
hat. Auch diesmal greifen wir auf die erste Novellensammlung Hoffmanns:
"Unter blauem Himmel" vom Jahre 1881 zurück. Dort ist eine rührende Ge¬
schichte: "Der blinde Checco" erzählt. Für uns ist an dieser Geschichte von
Bedeutung, daß Hoffmann mit ergreifender Kraft die Heilung des Knaben von
seiner Blindheit schildert, und unvergeßlich sind uns die wenigen Seiten, auf
welchen der Übergang Checcos aus der Nacht der Blindheit in die helle Er¬
kenntnis dargestellt wird. Dieses Motiv ist typisch für viele Erfindungen Hoff¬
manns geworden, nur daß an Stelle körperlicher Blindheit ein dunkler geistiger
Zustand tritt, der dann einer plötzlichen Helle weicht. Dieser Gegensatz


Grenzboten IV. 1837. 80

Arsenios hat sich in zelotischer Frömmigkeit geschworen, sein junges Eheweib
drei Jahre lang nach dem kirchlichen Trauungsakte nicht zu berühren. Kann
er solch einen Schwur halten? Er vermag es nur durch fortwährende Kasteiung
und durch seine dämonische Willensstärke. Sein jungfräuliches Weib aber ahnt
das Unrecht, welches ihr Mann durch seinen Zelotismus an ihr begeht. Sie
weiß allerdings nichts weiter davon; aber sie entdeckt an sich selbst die holde
Leibesschönheit und begreift nicht, wie ihr Mann sie verachten kann. Da tritt
in ihr Dasein ein schöner Jüngling. Seine glühenden Blicke verfolgen sie
überallhin. Sie fühlt es, dieser Mensch schaut sie ganz anders an als ihr Mann,
dieser Arsenios erkennt ihre Schönheit, wie sie selbst sich in unbelauschter
Nachteinsamkeit beim Scheine des Mondlichtes im stillen Wasserspiegel gesehen
hat. Sie fühlt ihre Ohnmacht jenen verlangenden Blicken gegenüber, und in
der Not ihres einfältigen Herzens beichtet sie dem Gatten ihre Bedrängnis.
Nun erwacht freilich in diesem Priester die Liebe zu seinem Weibe, aber mäch¬
tiger noch in ihm ist der Dämon der Rachsucht. In seinem Fanatismus hält
er sich an das Bibelwort: „Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat
schon die Ehe gebrochen." In teuflischer Weise rächt er sich, indem er das
schöne Weib und ihren doch nur intellektuellen Verführer ans Kreuz schlägt.
Dann geht er hin, übergiebt sich dem Gerichte, das ihn als Lästerer des ster¬
benden Heilands auf dem Scheiterhaufen enden läßt. Vom Standpunkte des
sittlichen Empfindens kann man gegen diese düster herbe Geschichte gewiß keine
Bedenken erheben. Allein trotz aller Kunst in der Zeichnung des jungen, seine
eigne Schönheit zufällig entdeckenden Weibes, welches dann instinktiv die Macht
ihres schönen Körpers spielen läßt und sich so unselig das Schicksal bereitet,
kann man sich nicht für die Erzählung erwärmen. Sie will uns nur als eine
abstrakte Gedankendichtung erscheinen, sie beruht auf unwahrscheinlichen Voraus¬
setzungen, der Ausgang ist peinigend, Alexandra ist nicht tragisch, denn die
Moral des Priesters ist nicht die unsrige.

Aber das bisher verfolgte Grundmotiv der Schönheit erschöpft den dich¬
terischen Originalcharakter Hans Hoffmanns noch nicht. Es ist noch ein zweites,
nicht minder tief in seiner Persönlichkeit begründetes zu beobachten, das, mit
dem ersteren vereinigt, ganz eigenartige poetische Schöpfungen hervorgerufen
hat. Auch diesmal greifen wir auf die erste Novellensammlung Hoffmanns:
„Unter blauem Himmel" vom Jahre 1881 zurück. Dort ist eine rührende Ge¬
schichte: „Der blinde Checco" erzählt. Für uns ist an dieser Geschichte von
Bedeutung, daß Hoffmann mit ergreifender Kraft die Heilung des Knaben von
seiner Blindheit schildert, und unvergeßlich sind uns die wenigen Seiten, auf
welchen der Übergang Checcos aus der Nacht der Blindheit in die helle Er¬
kenntnis dargestellt wird. Dieses Motiv ist typisch für viele Erfindungen Hoff¬
manns geworden, nur daß an Stelle körperlicher Blindheit ein dunkler geistiger
Zustand tritt, der dann einer plötzlichen Helle weicht. Dieser Gegensatz


Grenzboten IV. 1837. 80
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/641>, abgerufen am 02.10.2024.