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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Der Rheinbund.

aus vierunddreißig Mitgliedern. Manche Staatsrechtslehrer zählen nur drei¬
unddreißig, doch würde es zu weit führen, auf solche Streitfragen einzugehen.
Im allgemeinen soll hier nur bemerkt werden, daß der große Länderschacher,
mit dem die Stiftung des Rheinbundes begann, während des ganzen Bestehens
desselben mit ziemlich ungeschwächten Kräften fortgesetzt wurde. "Mediatisirt"
wurde zwar nicht mehr, dafür nahm man jetzt "Rektifikationen" oder "Korrek¬
tionen" der Grenzen vor, man "organisirte," und wie die schönen Ausdrücke alle
hießen. In so großartigem Maßstabe, wie der erhabene Protektor, der mit
einem Federzuge, nach der gewöhnlichen Überlieferung durch eine Strich an einem
Liniale auf der Karte, alles Land nordwestlich von der Linie von Wesel bis
Lübeck an sich riß, konnten es freilich die kleinen Herren nicht treiben. Aber
besonders Baiern, Württemberg und Baden leisteten das mögliche in dieser Be¬
ziehung; namentlich unter diesen drei Staaten gingen Land und Leute hin und
her, so wie Rittergüter oder Bauernhöfe mit totem und "lebendem" Inventar
von Hand zu Hand gehen. Einige Proben davon sollen später gegeben werden.

Von den in den Stürmen der Zeit souverän gebliebenen Fürsten und
Staaten des ehemaligen deutschen Reiches sind es allein die folgenden, die
niemals dem Rheinbünde angehört haben: Österreich und Preußen, so weit
sie ihre Provinzen, die zum Reiche gehört hatten, noch besaßen, Dänemark
wegen Holstein und Schweden wegen schwedisch-Pommern. Wunderliche Ge¬
lehrte haben daher für sie den wunderlichen Namen "Die Bundesfreien" erfunden.

Der wirkliche und zwar ziemlich unbeschränkte Beherrscher dieses Bundes
führte den bescheidnen Namen Protektor. Art. 12 der Rheinbundsakte sagt:
Lg, Nirjösto 1'Lruxereur Ass ^rany^is ""zrg. xrovlanuz ?rotöotsur as 1s, OorM-
ÄsrMou. Daß der schlaue Despot diesen so unverfänglich erscheinenden Namen
wählte, ist nicht auffällig. Hatte er doch hierfür Anhalt genug in der Ge¬
schichte früherer Jahrhunderte: Richelieu und Mazarin, Ludwig XIV. und sogar
Ludwig XV. mit dem Heere, das nach Roßbach zog, hatten ja immer nur "die
deutsche Libertüt schützen" wollen. Daß es aber zu der Zeit, ebenso wie in
frühern Jahrhunderten, Millionen von Deutschen gab, die naiv genug waren,
zu glauben, daß jener ausgeprägteste Egoist, von dem die Geschichte meldet,
wirklich nur ihre Freiheiten (heutzutage würde man sagen "berechtigten Eigen¬
tümlichkeiten") schützen wollte, ist für einen politischen Kopf der Gegenwart schier
unbegreiflich. Für diese trotzdem nicht hinwegzuleugnende Thatsache giebt es
allerdings einen Grund, dem man nicht alle Berechtigung absprechen kann. In
den kleinfürstlichen, gräflichen und ritterschaftlichen Gebieten waren die "Unter¬
thanen" so herunterregiert worden, waren die Zustände so über alle Maßen un¬
erträglich und erbärmlich, daß jeder Auschluß an ein größeres Ganze, an ein
Gemeinwesen, das man wenigstens mit einigem Rechte als einen Staat be¬
zeichnen konnte, schon an und für sich als eine Besserung, als ein politischer
Fortschritt erschien. Die beiden Hauptgründe für diese Erscheinung sind jedoch


Der Rheinbund.

aus vierunddreißig Mitgliedern. Manche Staatsrechtslehrer zählen nur drei¬
unddreißig, doch würde es zu weit führen, auf solche Streitfragen einzugehen.
Im allgemeinen soll hier nur bemerkt werden, daß der große Länderschacher,
mit dem die Stiftung des Rheinbundes begann, während des ganzen Bestehens
desselben mit ziemlich ungeschwächten Kräften fortgesetzt wurde. „Mediatisirt"
wurde zwar nicht mehr, dafür nahm man jetzt „Rektifikationen" oder „Korrek¬
tionen" der Grenzen vor, man „organisirte," und wie die schönen Ausdrücke alle
hießen. In so großartigem Maßstabe, wie der erhabene Protektor, der mit
einem Federzuge, nach der gewöhnlichen Überlieferung durch eine Strich an einem
Liniale auf der Karte, alles Land nordwestlich von der Linie von Wesel bis
Lübeck an sich riß, konnten es freilich die kleinen Herren nicht treiben. Aber
besonders Baiern, Württemberg und Baden leisteten das mögliche in dieser Be¬
ziehung; namentlich unter diesen drei Staaten gingen Land und Leute hin und
her, so wie Rittergüter oder Bauernhöfe mit totem und „lebendem" Inventar
von Hand zu Hand gehen. Einige Proben davon sollen später gegeben werden.

Von den in den Stürmen der Zeit souverän gebliebenen Fürsten und
Staaten des ehemaligen deutschen Reiches sind es allein die folgenden, die
niemals dem Rheinbünde angehört haben: Österreich und Preußen, so weit
sie ihre Provinzen, die zum Reiche gehört hatten, noch besaßen, Dänemark
wegen Holstein und Schweden wegen schwedisch-Pommern. Wunderliche Ge¬
lehrte haben daher für sie den wunderlichen Namen „Die Bundesfreien" erfunden.

Der wirkliche und zwar ziemlich unbeschränkte Beherrscher dieses Bundes
führte den bescheidnen Namen Protektor. Art. 12 der Rheinbundsakte sagt:
Lg, Nirjösto 1'Lruxereur Ass ^rany^is »«zrg. xrovlanuz ?rotöotsur as 1s, OorM-
ÄsrMou. Daß der schlaue Despot diesen so unverfänglich erscheinenden Namen
wählte, ist nicht auffällig. Hatte er doch hierfür Anhalt genug in der Ge¬
schichte früherer Jahrhunderte: Richelieu und Mazarin, Ludwig XIV. und sogar
Ludwig XV. mit dem Heere, das nach Roßbach zog, hatten ja immer nur „die
deutsche Libertüt schützen" wollen. Daß es aber zu der Zeit, ebenso wie in
frühern Jahrhunderten, Millionen von Deutschen gab, die naiv genug waren,
zu glauben, daß jener ausgeprägteste Egoist, von dem die Geschichte meldet,
wirklich nur ihre Freiheiten (heutzutage würde man sagen „berechtigten Eigen¬
tümlichkeiten") schützen wollte, ist für einen politischen Kopf der Gegenwart schier
unbegreiflich. Für diese trotzdem nicht hinwegzuleugnende Thatsache giebt es
allerdings einen Grund, dem man nicht alle Berechtigung absprechen kann. In
den kleinfürstlichen, gräflichen und ritterschaftlichen Gebieten waren die „Unter¬
thanen" so herunterregiert worden, waren die Zustände so über alle Maßen un¬
erträglich und erbärmlich, daß jeder Auschluß an ein größeres Ganze, an ein
Gemeinwesen, das man wenigstens mit einigem Rechte als einen Staat be¬
zeichnen konnte, schon an und für sich als eine Besserung, als ein politischer
Fortschritt erschien. Die beiden Hauptgründe für diese Erscheinung sind jedoch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/628>, abgerufen am 23.07.2024.