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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Gevatter Tod.

Der Mensch denkt, und Gott lenkt! sagte das Lächeln zu den klugen Leuten
im Dorfe, wenn der eine oder der andre sich berufen fühlte, einen prüfenden
Blick auf das Bild zu werfen und zu erwägen, wie viel wohl da heraus zu
bringen sei, wenn es erst zu Geld gemacht würde. Aber die klugen Leute ver¬
standen das Lächeln nicht.

Bei mir ist eitel Friede und Freude! fagte das Lächeln zu dem alten Jens,
wenn seine Augen rastlos umherschweiften, als suchten sie Hilfe und Beistand.
Und auch der alte Jens verstand das Lächeln nicht.

Aber auf Tippe sah der Gevatter Tod nur schweigend und lächelnd herab,
denn Tippe bedürfte weder des Rates noch des Trostes. Ihm gehörte das
Leben und das Glück, und das Glück ward immer strahlender, denn er kannte
das Geheimnis, welches das Dunkel des Todes zerteilt.

Und nun kam der Weihnachtsabend.

Ist es schon so weit! sagten die Leute und waren ganz erstaunt, daß er
wirklich schon da war, denn der Weihnachtsabend kommt immer zu früh, wie
lange man sich auch vorher nach ihm gesehnt hat. Alle die, welche noch vor
wenigen Tagen meinten, es sei noch Zeit genug, hatten jetzt alle Hände voll
zu thun und wußten gar nicht, wie sie nur fertig werden sollten. Aber fertig
wurden sie doch, und als die Dämmerung hereinbrach, wartete das ganze Dorf
nur, daß die Glocke das Weihnachtsfest einläuten solle, um mit der Feier zu
beginnen. Aber heute Abend ließ die Glocke auf sich warten, und das hatte
seine guten Gründe.

Was mag nur dem alten Jens zugestoßen sein, daß er nicht läutet? fragte
der Schulmeister. Nun vergißt er sich am Ende bald selber, denn das ist doch
noch niemals geschehen, daß er seine Glocke vergessen hätte!

Du kannst glauben, vor lauter Freude vergißt er heute Abend sich selber,
die Glocke wie alles andre, den kleinen Tippe ausgenommen! sagte die Frau
des Schulmeisters lächelnd. Und das ist auch nicht zu verwundern, denn so
viel Wesens hat man wohl noch an keinem Weihnachtsabend mit dem armen,
alten Burschen gemacht. Ich komme eben daher und habe gerade die Lichter
angezündet!

Dann wollen wir ihn sein Glück in Gottes Namen genießen lassen! Ich
gönne ihm das ebenso sehr wie du, sagte der Schulmeister. Aber geläutet
muß werden; da will ich nur gleich selber hingehen und es besorgen. Das soll
mein Weihnachtsgeschenk für Tippe und den alten Jens sein.

Und so läutete die Glocke den Weihnachtsabend ein.

Tippe und der alte Jens wollten natürlich den Weihnachtsabend zusammen
feiern.

Das wird ein trauriges Fest, das die beiden zusammen feiern, hatten die
Leute im Dorfe gesagt; aber darin irrten sie sich denn doch.

Es gab weit und breit kein Kind, das sich so nach dem Weihnachtsabend


Gevatter Tod.

Der Mensch denkt, und Gott lenkt! sagte das Lächeln zu den klugen Leuten
im Dorfe, wenn der eine oder der andre sich berufen fühlte, einen prüfenden
Blick auf das Bild zu werfen und zu erwägen, wie viel wohl da heraus zu
bringen sei, wenn es erst zu Geld gemacht würde. Aber die klugen Leute ver¬
standen das Lächeln nicht.

Bei mir ist eitel Friede und Freude! fagte das Lächeln zu dem alten Jens,
wenn seine Augen rastlos umherschweiften, als suchten sie Hilfe und Beistand.
Und auch der alte Jens verstand das Lächeln nicht.

Aber auf Tippe sah der Gevatter Tod nur schweigend und lächelnd herab,
denn Tippe bedürfte weder des Rates noch des Trostes. Ihm gehörte das
Leben und das Glück, und das Glück ward immer strahlender, denn er kannte
das Geheimnis, welches das Dunkel des Todes zerteilt.

Und nun kam der Weihnachtsabend.

Ist es schon so weit! sagten die Leute und waren ganz erstaunt, daß er
wirklich schon da war, denn der Weihnachtsabend kommt immer zu früh, wie
lange man sich auch vorher nach ihm gesehnt hat. Alle die, welche noch vor
wenigen Tagen meinten, es sei noch Zeit genug, hatten jetzt alle Hände voll
zu thun und wußten gar nicht, wie sie nur fertig werden sollten. Aber fertig
wurden sie doch, und als die Dämmerung hereinbrach, wartete das ganze Dorf
nur, daß die Glocke das Weihnachtsfest einläuten solle, um mit der Feier zu
beginnen. Aber heute Abend ließ die Glocke auf sich warten, und das hatte
seine guten Gründe.

Was mag nur dem alten Jens zugestoßen sein, daß er nicht läutet? fragte
der Schulmeister. Nun vergißt er sich am Ende bald selber, denn das ist doch
noch niemals geschehen, daß er seine Glocke vergessen hätte!

Du kannst glauben, vor lauter Freude vergißt er heute Abend sich selber,
die Glocke wie alles andre, den kleinen Tippe ausgenommen! sagte die Frau
des Schulmeisters lächelnd. Und das ist auch nicht zu verwundern, denn so
viel Wesens hat man wohl noch an keinem Weihnachtsabend mit dem armen,
alten Burschen gemacht. Ich komme eben daher und habe gerade die Lichter
angezündet!

Dann wollen wir ihn sein Glück in Gottes Namen genießen lassen! Ich
gönne ihm das ebenso sehr wie du, sagte der Schulmeister. Aber geläutet
muß werden; da will ich nur gleich selber hingehen und es besorgen. Das soll
mein Weihnachtsgeschenk für Tippe und den alten Jens sein.

Und so läutete die Glocke den Weihnachtsabend ein.

Tippe und der alte Jens wollten natürlich den Weihnachtsabend zusammen
feiern.

Das wird ein trauriges Fest, das die beiden zusammen feiern, hatten die
Leute im Dorfe gesagt; aber darin irrten sie sich denn doch.

Es gab weit und breit kein Kind, das sich so nach dem Weihnachtsabend


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[0604] Gevatter Tod. Der Mensch denkt, und Gott lenkt! sagte das Lächeln zu den klugen Leuten im Dorfe, wenn der eine oder der andre sich berufen fühlte, einen prüfenden Blick auf das Bild zu werfen und zu erwägen, wie viel wohl da heraus zu bringen sei, wenn es erst zu Geld gemacht würde. Aber die klugen Leute ver¬ standen das Lächeln nicht. Bei mir ist eitel Friede und Freude! fagte das Lächeln zu dem alten Jens, wenn seine Augen rastlos umherschweiften, als suchten sie Hilfe und Beistand. Und auch der alte Jens verstand das Lächeln nicht. Aber auf Tippe sah der Gevatter Tod nur schweigend und lächelnd herab, denn Tippe bedürfte weder des Rates noch des Trostes. Ihm gehörte das Leben und das Glück, und das Glück ward immer strahlender, denn er kannte das Geheimnis, welches das Dunkel des Todes zerteilt. Und nun kam der Weihnachtsabend. Ist es schon so weit! sagten die Leute und waren ganz erstaunt, daß er wirklich schon da war, denn der Weihnachtsabend kommt immer zu früh, wie lange man sich auch vorher nach ihm gesehnt hat. Alle die, welche noch vor wenigen Tagen meinten, es sei noch Zeit genug, hatten jetzt alle Hände voll zu thun und wußten gar nicht, wie sie nur fertig werden sollten. Aber fertig wurden sie doch, und als die Dämmerung hereinbrach, wartete das ganze Dorf nur, daß die Glocke das Weihnachtsfest einläuten solle, um mit der Feier zu beginnen. Aber heute Abend ließ die Glocke auf sich warten, und das hatte seine guten Gründe. Was mag nur dem alten Jens zugestoßen sein, daß er nicht läutet? fragte der Schulmeister. Nun vergißt er sich am Ende bald selber, denn das ist doch noch niemals geschehen, daß er seine Glocke vergessen hätte! Du kannst glauben, vor lauter Freude vergißt er heute Abend sich selber, die Glocke wie alles andre, den kleinen Tippe ausgenommen! sagte die Frau des Schulmeisters lächelnd. Und das ist auch nicht zu verwundern, denn so viel Wesens hat man wohl noch an keinem Weihnachtsabend mit dem armen, alten Burschen gemacht. Ich komme eben daher und habe gerade die Lichter angezündet! Dann wollen wir ihn sein Glück in Gottes Namen genießen lassen! Ich gönne ihm das ebenso sehr wie du, sagte der Schulmeister. Aber geläutet muß werden; da will ich nur gleich selber hingehen und es besorgen. Das soll mein Weihnachtsgeschenk für Tippe und den alten Jens sein. Und so läutete die Glocke den Weihnachtsabend ein. Tippe und der alte Jens wollten natürlich den Weihnachtsabend zusammen feiern. Das wird ein trauriges Fest, das die beiden zusammen feiern, hatten die Leute im Dorfe gesagt; aber darin irrten sie sich denn doch. Es gab weit und breit kein Kind, das sich so nach dem Weihnachtsabend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/604>, abgerufen am 22.07.2024.