Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Auflösung des alten Reiches.

Diese "Verkoppelung" in erweitertem Maßstabe war allerdings eine ge¬
schichtliche Notwendigkeit, und insofern braucht man darüber gerade nicht betrübt
zu sein. Ja man hat oft gesagt, wenn auch mit etwas Ironie, aber doch auch
mit viel Wahrheit: Wenn wir Deutschen dem Kaiser Napoleon überhaupt für
irgend etwas zu danken haben, so ist es dafür, daß er uns wenigstens von
den allerschlimmsten Auswüchsen einer über alle Maßen erbärmlichen Klein¬
staaterei befreit hat, daß er wenigstens viele Hunderte von halb oder ganz er-
storbenen Staatswesen, die am Mark der Nation zehrten, mit eiserner Hand
von der Karte Deutschlands weggewischt hat. Das muß jedenfalls zugegeben
werden: Wie es einer weniger rücksichtslosen Hand möglich gewesen wäre, jene
ocmkuÄo cliviniw8 orclinata der deutschen Zersplitterung zu beseitigen, wenn
nicht der unbeugsame Wille jenes Despoten erbarmungslos durchgegriffen hätte,
ist gar nicht abzusehen.

Wenn mau aber auf die Einzelheiten jenes Ländcrschachers eingeht, wenn
man bedenkt, wie in jener Zeit die meisten Fürsten des Reiches, der hohe Adel
deutscher Nation, nebst ihren betitelten und besternten Dienern in Paris nicht
nur vor Ministern, sondern auch vor Kammerdienern sich demütigem, krochen,
schmeichelten, leckten, bestachen, wie sie z. B. vor der Maitresse des Fürsten
von Tallcymnd "platt ans dem Bauche" lagen, um den Lieblingsausdruck eines
"berühmten" Volksmannes der Neuzeit anzuwenden, kurz, wie sie sich "eu-
canaillirten" (ein deutsches Wort giebt es hierfür nicht), so kann das einem
patriotischen und ehrliebenden Deutschen noch heute die Schamröte ins Gesicht
treiben. Viel Schmach und Schande, Schimpf und Hohn ist zwar in jenem
traurigen Zeitalter auf bas duldende Haupt der Mutter Germania gehäuft
worden, aber die bodenlose Schamlosigkeit und Gemeinheit, welche bei diesem
an sich schon nicht sehr saubern Geschäfte zum großen Teile diejenigen bewiesen,
welche beanspruchten, ihre edelsten Söhne zu sein, übertrifft alles.

Am 12. Juli 1806 legte Napoleon zu Paris den Gesandten einer Anzahl
deutscher Staaten, mit denen vorher eine geheime Abmachung getroffen worden
war, die Nheinbundsakte, die völlig fertig war, einfach zur Unterschrift vor,
ohne sich auf weitere Verhandlungen einzulassen. Sechzehn deutsche Staaten
unterzeichneten die Urkunde, und damit war die Stiftung des Rheinbundes voll¬
zogen. Am 1. August desselben Jahres überreichten die Gesandten jener sechzehn
Staaten dem Reichstage zu Regensburg eine gemeinsame Note, worin sie ihr
Verfahren unter allerlei Vorwänden zu rechtfertigen suchten; namentlich wiesen
sie darauf hin, daß das Reich schon lange kein einheitliches Ganze mehr ge¬
wesen, daß besonders seit 1795 Nord- und Süddeutschland fast ganz von ein¬
ander getrennt gewesen seien. Kurz, es war der alte Vorwurf: Preußen hat
durch den Sonderfrieden von Basel die Auflösung des Reiches, schließlich auch
mittelbar die Gründung des Rheinbundes verschuldet. An demselben Tage über¬
reichte der französische Gesandte ebenfalls eine diplomatische Note, in der ge-


Die Auflösung des alten Reiches.

Diese „Verkoppelung" in erweitertem Maßstabe war allerdings eine ge¬
schichtliche Notwendigkeit, und insofern braucht man darüber gerade nicht betrübt
zu sein. Ja man hat oft gesagt, wenn auch mit etwas Ironie, aber doch auch
mit viel Wahrheit: Wenn wir Deutschen dem Kaiser Napoleon überhaupt für
irgend etwas zu danken haben, so ist es dafür, daß er uns wenigstens von
den allerschlimmsten Auswüchsen einer über alle Maßen erbärmlichen Klein¬
staaterei befreit hat, daß er wenigstens viele Hunderte von halb oder ganz er-
storbenen Staatswesen, die am Mark der Nation zehrten, mit eiserner Hand
von der Karte Deutschlands weggewischt hat. Das muß jedenfalls zugegeben
werden: Wie es einer weniger rücksichtslosen Hand möglich gewesen wäre, jene
ocmkuÄo cliviniw8 orclinata der deutschen Zersplitterung zu beseitigen, wenn
nicht der unbeugsame Wille jenes Despoten erbarmungslos durchgegriffen hätte,
ist gar nicht abzusehen.

Wenn mau aber auf die Einzelheiten jenes Ländcrschachers eingeht, wenn
man bedenkt, wie in jener Zeit die meisten Fürsten des Reiches, der hohe Adel
deutscher Nation, nebst ihren betitelten und besternten Dienern in Paris nicht
nur vor Ministern, sondern auch vor Kammerdienern sich demütigem, krochen,
schmeichelten, leckten, bestachen, wie sie z. B. vor der Maitresse des Fürsten
von Tallcymnd „platt ans dem Bauche" lagen, um den Lieblingsausdruck eines
„berühmten" Volksmannes der Neuzeit anzuwenden, kurz, wie sie sich „eu-
canaillirten" (ein deutsches Wort giebt es hierfür nicht), so kann das einem
patriotischen und ehrliebenden Deutschen noch heute die Schamröte ins Gesicht
treiben. Viel Schmach und Schande, Schimpf und Hohn ist zwar in jenem
traurigen Zeitalter auf bas duldende Haupt der Mutter Germania gehäuft
worden, aber die bodenlose Schamlosigkeit und Gemeinheit, welche bei diesem
an sich schon nicht sehr saubern Geschäfte zum großen Teile diejenigen bewiesen,
welche beanspruchten, ihre edelsten Söhne zu sein, übertrifft alles.

Am 12. Juli 1806 legte Napoleon zu Paris den Gesandten einer Anzahl
deutscher Staaten, mit denen vorher eine geheime Abmachung getroffen worden
war, die Nheinbundsakte, die völlig fertig war, einfach zur Unterschrift vor,
ohne sich auf weitere Verhandlungen einzulassen. Sechzehn deutsche Staaten
unterzeichneten die Urkunde, und damit war die Stiftung des Rheinbundes voll¬
zogen. Am 1. August desselben Jahres überreichten die Gesandten jener sechzehn
Staaten dem Reichstage zu Regensburg eine gemeinsame Note, worin sie ihr
Verfahren unter allerlei Vorwänden zu rechtfertigen suchten; namentlich wiesen
sie darauf hin, daß das Reich schon lange kein einheitliches Ganze mehr ge¬
wesen, daß besonders seit 1795 Nord- und Süddeutschland fast ganz von ein¬
ander getrennt gewesen seien. Kurz, es war der alte Vorwurf: Preußen hat
durch den Sonderfrieden von Basel die Auflösung des Reiches, schließlich auch
mittelbar die Gründung des Rheinbundes verschuldet. An demselben Tage über¬
reichte der französische Gesandte ebenfalls eine diplomatische Note, in der ge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0587" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202016"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Auflösung des alten Reiches.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1655"> Diese &#x201E;Verkoppelung" in erweitertem Maßstabe war allerdings eine ge¬<lb/>
schichtliche Notwendigkeit, und insofern braucht man darüber gerade nicht betrübt<lb/>
zu sein. Ja man hat oft gesagt, wenn auch mit etwas Ironie, aber doch auch<lb/>
mit viel Wahrheit: Wenn wir Deutschen dem Kaiser Napoleon überhaupt für<lb/>
irgend etwas zu danken haben, so ist es dafür, daß er uns wenigstens von<lb/>
den allerschlimmsten Auswüchsen einer über alle Maßen erbärmlichen Klein¬<lb/>
staaterei befreit hat, daß er wenigstens viele Hunderte von halb oder ganz er-<lb/>
storbenen Staatswesen, die am Mark der Nation zehrten, mit eiserner Hand<lb/>
von der Karte Deutschlands weggewischt hat. Das muß jedenfalls zugegeben<lb/>
werden: Wie es einer weniger rücksichtslosen Hand möglich gewesen wäre, jene<lb/>
ocmkuÄo cliviniw8 orclinata der deutschen Zersplitterung zu beseitigen, wenn<lb/>
nicht der unbeugsame Wille jenes Despoten erbarmungslos durchgegriffen hätte,<lb/>
ist gar nicht abzusehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1656"> Wenn mau aber auf die Einzelheiten jenes Ländcrschachers eingeht, wenn<lb/>
man bedenkt, wie in jener Zeit die meisten Fürsten des Reiches, der hohe Adel<lb/>
deutscher Nation, nebst ihren betitelten und besternten Dienern in Paris nicht<lb/>
nur vor Ministern, sondern auch vor Kammerdienern sich demütigem, krochen,<lb/>
schmeichelten, leckten, bestachen, wie sie z. B. vor der Maitresse des Fürsten<lb/>
von Tallcymnd &#x201E;platt ans dem Bauche" lagen, um den Lieblingsausdruck eines<lb/>
&#x201E;berühmten" Volksmannes der Neuzeit anzuwenden, kurz, wie sie sich &#x201E;eu-<lb/>
canaillirten" (ein deutsches Wort giebt es hierfür nicht), so kann das einem<lb/>
patriotischen und ehrliebenden Deutschen noch heute die Schamröte ins Gesicht<lb/>
treiben. Viel Schmach und Schande, Schimpf und Hohn ist zwar in jenem<lb/>
traurigen Zeitalter auf bas duldende Haupt der Mutter Germania gehäuft<lb/>
worden, aber die bodenlose Schamlosigkeit und Gemeinheit, welche bei diesem<lb/>
an sich schon nicht sehr saubern Geschäfte zum großen Teile diejenigen bewiesen,<lb/>
welche beanspruchten, ihre edelsten Söhne zu sein, übertrifft alles.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1657" next="#ID_1658"> Am 12. Juli 1806 legte Napoleon zu Paris den Gesandten einer Anzahl<lb/>
deutscher Staaten, mit denen vorher eine geheime Abmachung getroffen worden<lb/>
war, die Nheinbundsakte, die völlig fertig war, einfach zur Unterschrift vor,<lb/>
ohne sich auf weitere Verhandlungen einzulassen. Sechzehn deutsche Staaten<lb/>
unterzeichneten die Urkunde, und damit war die Stiftung des Rheinbundes voll¬<lb/>
zogen. Am 1. August desselben Jahres überreichten die Gesandten jener sechzehn<lb/>
Staaten dem Reichstage zu Regensburg eine gemeinsame Note, worin sie ihr<lb/>
Verfahren unter allerlei Vorwänden zu rechtfertigen suchten; namentlich wiesen<lb/>
sie darauf hin, daß das Reich schon lange kein einheitliches Ganze mehr ge¬<lb/>
wesen, daß besonders seit 1795 Nord- und Süddeutschland fast ganz von ein¬<lb/>
ander getrennt gewesen seien. Kurz, es war der alte Vorwurf: Preußen hat<lb/>
durch den Sonderfrieden von Basel die Auflösung des Reiches, schließlich auch<lb/>
mittelbar die Gründung des Rheinbundes verschuldet. An demselben Tage über¬<lb/>
reichte der französische Gesandte ebenfalls eine diplomatische Note, in der ge-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0587] Die Auflösung des alten Reiches. Diese „Verkoppelung" in erweitertem Maßstabe war allerdings eine ge¬ schichtliche Notwendigkeit, und insofern braucht man darüber gerade nicht betrübt zu sein. Ja man hat oft gesagt, wenn auch mit etwas Ironie, aber doch auch mit viel Wahrheit: Wenn wir Deutschen dem Kaiser Napoleon überhaupt für irgend etwas zu danken haben, so ist es dafür, daß er uns wenigstens von den allerschlimmsten Auswüchsen einer über alle Maßen erbärmlichen Klein¬ staaterei befreit hat, daß er wenigstens viele Hunderte von halb oder ganz er- storbenen Staatswesen, die am Mark der Nation zehrten, mit eiserner Hand von der Karte Deutschlands weggewischt hat. Das muß jedenfalls zugegeben werden: Wie es einer weniger rücksichtslosen Hand möglich gewesen wäre, jene ocmkuÄo cliviniw8 orclinata der deutschen Zersplitterung zu beseitigen, wenn nicht der unbeugsame Wille jenes Despoten erbarmungslos durchgegriffen hätte, ist gar nicht abzusehen. Wenn mau aber auf die Einzelheiten jenes Ländcrschachers eingeht, wenn man bedenkt, wie in jener Zeit die meisten Fürsten des Reiches, der hohe Adel deutscher Nation, nebst ihren betitelten und besternten Dienern in Paris nicht nur vor Ministern, sondern auch vor Kammerdienern sich demütigem, krochen, schmeichelten, leckten, bestachen, wie sie z. B. vor der Maitresse des Fürsten von Tallcymnd „platt ans dem Bauche" lagen, um den Lieblingsausdruck eines „berühmten" Volksmannes der Neuzeit anzuwenden, kurz, wie sie sich „eu- canaillirten" (ein deutsches Wort giebt es hierfür nicht), so kann das einem patriotischen und ehrliebenden Deutschen noch heute die Schamröte ins Gesicht treiben. Viel Schmach und Schande, Schimpf und Hohn ist zwar in jenem traurigen Zeitalter auf bas duldende Haupt der Mutter Germania gehäuft worden, aber die bodenlose Schamlosigkeit und Gemeinheit, welche bei diesem an sich schon nicht sehr saubern Geschäfte zum großen Teile diejenigen bewiesen, welche beanspruchten, ihre edelsten Söhne zu sein, übertrifft alles. Am 12. Juli 1806 legte Napoleon zu Paris den Gesandten einer Anzahl deutscher Staaten, mit denen vorher eine geheime Abmachung getroffen worden war, die Nheinbundsakte, die völlig fertig war, einfach zur Unterschrift vor, ohne sich auf weitere Verhandlungen einzulassen. Sechzehn deutsche Staaten unterzeichneten die Urkunde, und damit war die Stiftung des Rheinbundes voll¬ zogen. Am 1. August desselben Jahres überreichten die Gesandten jener sechzehn Staaten dem Reichstage zu Regensburg eine gemeinsame Note, worin sie ihr Verfahren unter allerlei Vorwänden zu rechtfertigen suchten; namentlich wiesen sie darauf hin, daß das Reich schon lange kein einheitliches Ganze mehr ge¬ wesen, daß besonders seit 1795 Nord- und Süddeutschland fast ganz von ein¬ ander getrennt gewesen seien. Kurz, es war der alte Vorwurf: Preußen hat durch den Sonderfrieden von Basel die Auflösung des Reiches, schließlich auch mittelbar die Gründung des Rheinbundes verschuldet. An demselben Tage über¬ reichte der französische Gesandte ebenfalls eine diplomatische Note, in der ge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/587
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/587>, abgerufen am 22.07.2024.