Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Nach der Entscheidung in Paris.

seiner Rolle zu verbleiben weiß und sich weder in die Rechte des Landes, noch
in die Willensäußerungen der Volksvertretung Eingriffe erlaubt." Der L.aäic-g.1
endlich stellt Carnot folgendes Zeugnis aus: "Ein gemäßigter Republikaner
wie Grevy, hat Carnot vor diesem den Vorzug der politischen Redlichkeit,
die über jeden Verdacht erhaben ist. Er wird nicht nur den Buchstaben, sondern
auch den Geist der Verfassung achten, er wird stets den Willen des Parlaments
zur Richtschnur nehmen, wenn es gilt, die Minister zu ernennen, welche diesen
Willen auszuführen bestimmt sind."

Wir sagen dazu: Diese augenblickliche Übereinstimmung aller Gruppen der
republikanischen Partei ist zu einstimmig, um an lange Dauer glauben zu lassen,
sie war eine notgedrungene für die Radikalen und Extremen, und Art läßt
nicht von Art. Die Radikalen werden nicht abrüsten, und die jetzige Eintracht
unter den Republikanern wird sofort in die Brüche gehen, wenn der Präsident
sich mit einen, Ministerium umgiebt; denn selbst das beste wird es nicht allen
recht zu machen imstande sein, schon weil alle am liebsten selber im Ministerium
säßen. Dann aber wird sich das alte Spiel wiederholen, nur mit dem Unter¬
schiede, daß jetzt ein Präzedenzfall vorliegt, nach welchem der parlamentarische
Moloch befugt ist, nicht bloß Kabinette, sondern auch Präsidenten zu ver¬
schlingen. Carnot mag ein sehr tugendhafter Herr sein, aber mit der Tugend
allein ist es hier nicht gethan. Es wäre besser für Frankreich, wenn man ihm
ungewöhnliche Umsicht und Energie nachrühmen dürfte. Da man dies nicht
kann, ist für ihn keine so lange Dauer als Staatsoberhaupt, wie Grevy sie
aufzuweisen hatte, und für die Republik keine so stetige und erfolgreiche Po¬
litik zu erwarten, wie dieser sein Amtsvorgänger sie treiben konnte. Entspricht
er den Hoffnungen der radikalen Blätter, so werden die wechselnden Mehrheiten
der Kammer regieren, und schlecht regieren. Entspricht er ihnen nicht, so wird
er gehen müssen. Die Republik ist mit der Krisis nicht stärker, sondern schwächer
geworden, und das ist gut für den Weltfrieden. Das Kaisertum von 1852
wollte der Friede sein und war der Krieg, bis es in ihm unterging. Die Republik,
wie sie sich in den letzten Wochen gestaltet hat und weiter gestalten wird, wird
wirklich der Friede sein, der Friede aus innerer Schwäche, aus Uneinigkeit,
aus Unstetheit, aus zu viel Parteileben und zu wenig Staatsleben. Wenn
der Zar, dessen Besuch in Berlin mit der Krisis in Paris zusammenfiel, je¬
mals im Ernste an ein Bündnis mit Frankreich gedacht hat, so müssen die
letzten Wochen dem Traume ein gründliches Ende bereitet haben. Er wußte
bereits, daß dort Ministerium auf Ministerium wie Butter an der Hitze der
Parteileidenschaften, der Sucht nach Wechsel, des Strebertums hinwegschmolz,
aber er mag sich vorgestellt haben, daß in der siebenjährigen Dauer eines
festgesinnten und begabten Präsidenten wenigstens einige Sicherheit im Taumel
und einiger Grund zu Vertrauen gegeben sei. Hiermit ists jetzt, wenn nicht
alles täuscht, zu Ende. Die Republik wird jetzt vermutlich ganz werden, was


Grenzboten IV. 1887. 72
Nach der Entscheidung in Paris.

seiner Rolle zu verbleiben weiß und sich weder in die Rechte des Landes, noch
in die Willensäußerungen der Volksvertretung Eingriffe erlaubt." Der L.aäic-g.1
endlich stellt Carnot folgendes Zeugnis aus: „Ein gemäßigter Republikaner
wie Grevy, hat Carnot vor diesem den Vorzug der politischen Redlichkeit,
die über jeden Verdacht erhaben ist. Er wird nicht nur den Buchstaben, sondern
auch den Geist der Verfassung achten, er wird stets den Willen des Parlaments
zur Richtschnur nehmen, wenn es gilt, die Minister zu ernennen, welche diesen
Willen auszuführen bestimmt sind."

Wir sagen dazu: Diese augenblickliche Übereinstimmung aller Gruppen der
republikanischen Partei ist zu einstimmig, um an lange Dauer glauben zu lassen,
sie war eine notgedrungene für die Radikalen und Extremen, und Art läßt
nicht von Art. Die Radikalen werden nicht abrüsten, und die jetzige Eintracht
unter den Republikanern wird sofort in die Brüche gehen, wenn der Präsident
sich mit einen, Ministerium umgiebt; denn selbst das beste wird es nicht allen
recht zu machen imstande sein, schon weil alle am liebsten selber im Ministerium
säßen. Dann aber wird sich das alte Spiel wiederholen, nur mit dem Unter¬
schiede, daß jetzt ein Präzedenzfall vorliegt, nach welchem der parlamentarische
Moloch befugt ist, nicht bloß Kabinette, sondern auch Präsidenten zu ver¬
schlingen. Carnot mag ein sehr tugendhafter Herr sein, aber mit der Tugend
allein ist es hier nicht gethan. Es wäre besser für Frankreich, wenn man ihm
ungewöhnliche Umsicht und Energie nachrühmen dürfte. Da man dies nicht
kann, ist für ihn keine so lange Dauer als Staatsoberhaupt, wie Grevy sie
aufzuweisen hatte, und für die Republik keine so stetige und erfolgreiche Po¬
litik zu erwarten, wie dieser sein Amtsvorgänger sie treiben konnte. Entspricht
er den Hoffnungen der radikalen Blätter, so werden die wechselnden Mehrheiten
der Kammer regieren, und schlecht regieren. Entspricht er ihnen nicht, so wird
er gehen müssen. Die Republik ist mit der Krisis nicht stärker, sondern schwächer
geworden, und das ist gut für den Weltfrieden. Das Kaisertum von 1852
wollte der Friede sein und war der Krieg, bis es in ihm unterging. Die Republik,
wie sie sich in den letzten Wochen gestaltet hat und weiter gestalten wird, wird
wirklich der Friede sein, der Friede aus innerer Schwäche, aus Uneinigkeit,
aus Unstetheit, aus zu viel Parteileben und zu wenig Staatsleben. Wenn
der Zar, dessen Besuch in Berlin mit der Krisis in Paris zusammenfiel, je¬
mals im Ernste an ein Bündnis mit Frankreich gedacht hat, so müssen die
letzten Wochen dem Traume ein gründliches Ende bereitet haben. Er wußte
bereits, daß dort Ministerium auf Ministerium wie Butter an der Hitze der
Parteileidenschaften, der Sucht nach Wechsel, des Strebertums hinwegschmolz,
aber er mag sich vorgestellt haben, daß in der siebenjährigen Dauer eines
festgesinnten und begabten Präsidenten wenigstens einige Sicherheit im Taumel
und einiger Grund zu Vertrauen gegeben sei. Hiermit ists jetzt, wenn nicht
alles täuscht, zu Ende. Die Republik wird jetzt vermutlich ganz werden, was


Grenzboten IV. 1887. 72
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0577" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202006"/>
          <fw type="header" place="top"> Nach der Entscheidung in Paris.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1620" prev="#ID_1619"> seiner Rolle zu verbleiben weiß und sich weder in die Rechte des Landes, noch<lb/>
in die Willensäußerungen der Volksvertretung Eingriffe erlaubt." Der L.aäic-g.1<lb/>
endlich stellt Carnot folgendes Zeugnis aus: &#x201E;Ein gemäßigter Republikaner<lb/>
wie Grevy, hat Carnot vor diesem den Vorzug der politischen Redlichkeit,<lb/>
die über jeden Verdacht erhaben ist. Er wird nicht nur den Buchstaben, sondern<lb/>
auch den Geist der Verfassung achten, er wird stets den Willen des Parlaments<lb/>
zur Richtschnur nehmen, wenn es gilt, die Minister zu ernennen, welche diesen<lb/>
Willen auszuführen bestimmt sind."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1621" next="#ID_1622"> Wir sagen dazu: Diese augenblickliche Übereinstimmung aller Gruppen der<lb/>
republikanischen Partei ist zu einstimmig, um an lange Dauer glauben zu lassen,<lb/>
sie war eine notgedrungene für die Radikalen und Extremen, und Art läßt<lb/>
nicht von Art. Die Radikalen werden nicht abrüsten, und die jetzige Eintracht<lb/>
unter den Republikanern wird sofort in die Brüche gehen, wenn der Präsident<lb/>
sich mit einen, Ministerium umgiebt; denn selbst das beste wird es nicht allen<lb/>
recht zu machen imstande sein, schon weil alle am liebsten selber im Ministerium<lb/>
säßen. Dann aber wird sich das alte Spiel wiederholen, nur mit dem Unter¬<lb/>
schiede, daß jetzt ein Präzedenzfall vorliegt, nach welchem der parlamentarische<lb/>
Moloch befugt ist, nicht bloß Kabinette, sondern auch Präsidenten zu ver¬<lb/>
schlingen. Carnot mag ein sehr tugendhafter Herr sein, aber mit der Tugend<lb/>
allein ist es hier nicht gethan. Es wäre besser für Frankreich, wenn man ihm<lb/>
ungewöhnliche Umsicht und Energie nachrühmen dürfte. Da man dies nicht<lb/>
kann, ist für ihn keine so lange Dauer als Staatsoberhaupt, wie Grevy sie<lb/>
aufzuweisen hatte, und für die Republik keine so stetige und erfolgreiche Po¬<lb/>
litik zu erwarten, wie dieser sein Amtsvorgänger sie treiben konnte. Entspricht<lb/>
er den Hoffnungen der radikalen Blätter, so werden die wechselnden Mehrheiten<lb/>
der Kammer regieren, und schlecht regieren. Entspricht er ihnen nicht, so wird<lb/>
er gehen müssen. Die Republik ist mit der Krisis nicht stärker, sondern schwächer<lb/>
geworden, und das ist gut für den Weltfrieden. Das Kaisertum von 1852<lb/>
wollte der Friede sein und war der Krieg, bis es in ihm unterging. Die Republik,<lb/>
wie sie sich in den letzten Wochen gestaltet hat und weiter gestalten wird, wird<lb/>
wirklich der Friede sein, der Friede aus innerer Schwäche, aus Uneinigkeit,<lb/>
aus Unstetheit, aus zu viel Parteileben und zu wenig Staatsleben. Wenn<lb/>
der Zar, dessen Besuch in Berlin mit der Krisis in Paris zusammenfiel, je¬<lb/>
mals im Ernste an ein Bündnis mit Frankreich gedacht hat, so müssen die<lb/>
letzten Wochen dem Traume ein gründliches Ende bereitet haben. Er wußte<lb/>
bereits, daß dort Ministerium auf Ministerium wie Butter an der Hitze der<lb/>
Parteileidenschaften, der Sucht nach Wechsel, des Strebertums hinwegschmolz,<lb/>
aber er mag sich vorgestellt haben, daß in der siebenjährigen Dauer eines<lb/>
festgesinnten und begabten Präsidenten wenigstens einige Sicherheit im Taumel<lb/>
und einiger Grund zu Vertrauen gegeben sei. Hiermit ists jetzt, wenn nicht<lb/>
alles täuscht, zu Ende. Die Republik wird jetzt vermutlich ganz werden, was</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1887. 72</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0577] Nach der Entscheidung in Paris. seiner Rolle zu verbleiben weiß und sich weder in die Rechte des Landes, noch in die Willensäußerungen der Volksvertretung Eingriffe erlaubt." Der L.aäic-g.1 endlich stellt Carnot folgendes Zeugnis aus: „Ein gemäßigter Republikaner wie Grevy, hat Carnot vor diesem den Vorzug der politischen Redlichkeit, die über jeden Verdacht erhaben ist. Er wird nicht nur den Buchstaben, sondern auch den Geist der Verfassung achten, er wird stets den Willen des Parlaments zur Richtschnur nehmen, wenn es gilt, die Minister zu ernennen, welche diesen Willen auszuführen bestimmt sind." Wir sagen dazu: Diese augenblickliche Übereinstimmung aller Gruppen der republikanischen Partei ist zu einstimmig, um an lange Dauer glauben zu lassen, sie war eine notgedrungene für die Radikalen und Extremen, und Art läßt nicht von Art. Die Radikalen werden nicht abrüsten, und die jetzige Eintracht unter den Republikanern wird sofort in die Brüche gehen, wenn der Präsident sich mit einen, Ministerium umgiebt; denn selbst das beste wird es nicht allen recht zu machen imstande sein, schon weil alle am liebsten selber im Ministerium säßen. Dann aber wird sich das alte Spiel wiederholen, nur mit dem Unter¬ schiede, daß jetzt ein Präzedenzfall vorliegt, nach welchem der parlamentarische Moloch befugt ist, nicht bloß Kabinette, sondern auch Präsidenten zu ver¬ schlingen. Carnot mag ein sehr tugendhafter Herr sein, aber mit der Tugend allein ist es hier nicht gethan. Es wäre besser für Frankreich, wenn man ihm ungewöhnliche Umsicht und Energie nachrühmen dürfte. Da man dies nicht kann, ist für ihn keine so lange Dauer als Staatsoberhaupt, wie Grevy sie aufzuweisen hatte, und für die Republik keine so stetige und erfolgreiche Po¬ litik zu erwarten, wie dieser sein Amtsvorgänger sie treiben konnte. Entspricht er den Hoffnungen der radikalen Blätter, so werden die wechselnden Mehrheiten der Kammer regieren, und schlecht regieren. Entspricht er ihnen nicht, so wird er gehen müssen. Die Republik ist mit der Krisis nicht stärker, sondern schwächer geworden, und das ist gut für den Weltfrieden. Das Kaisertum von 1852 wollte der Friede sein und war der Krieg, bis es in ihm unterging. Die Republik, wie sie sich in den letzten Wochen gestaltet hat und weiter gestalten wird, wird wirklich der Friede sein, der Friede aus innerer Schwäche, aus Uneinigkeit, aus Unstetheit, aus zu viel Parteileben und zu wenig Staatsleben. Wenn der Zar, dessen Besuch in Berlin mit der Krisis in Paris zusammenfiel, je¬ mals im Ernste an ein Bündnis mit Frankreich gedacht hat, so müssen die letzten Wochen dem Traume ein gründliches Ende bereitet haben. Er wußte bereits, daß dort Ministerium auf Ministerium wie Butter an der Hitze der Parteileidenschaften, der Sucht nach Wechsel, des Strebertums hinwegschmolz, aber er mag sich vorgestellt haben, daß in der siebenjährigen Dauer eines festgesinnten und begabten Präsidenten wenigstens einige Sicherheit im Taumel und einiger Grund zu Vertrauen gegeben sei. Hiermit ists jetzt, wenn nicht alles täuscht, zu Ende. Die Republik wird jetzt vermutlich ganz werden, was Grenzboten IV. 1887. 72

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/577
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/577>, abgerufen am 25.08.2024.