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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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darstellt für die Überlebenden, sondern von innen, ja tief innerlich, als freie
That, fast wie dort bei dem Sterbcnmögcn im Augenblick höchsten Lebens-
gefühls, das von allem Schmerz und Verlustgefühl der gerade Gegensatz ist.
"Stirb und werde," es ist eigentlich der Gedanke des Stoffwechsels, der ja
genau besehen im Kleinen ein fortgesetztes Sterben und Werden darstellt, die
einander getreulich in die Hand arbeiten, hier nur ins Größte gefaßt und auf
seine höchste Spitze getrieben, die ins Innerste unsers Lebens hineinreicht. Auch
das Werden ist dabei mit der Spitze seines Begriffes genommen (die er auch
im gemeinen Sprachgebrauch schon hat), wie in Mignons Worten "So laßt
mich scheinen, bis ich werde," d.h. von der Stelle'einer suchenden Bewegungs¬
linie, wo "sie in ihr Ziel einschlägt, wie im gemeinen Leben z. B. in dem frohen
Ausrufe "jetzt wirds!", wenn man sich mit einer Schwierigkeit lange abgemüht
hat. Dies Ziel ist das Sein, in seinem vollsten und ganzen Sinne, wie in
Klopstocks tiefen Worten von Liebenden, die "ganz fühlen, wie sehr sie sind"
(Ode an Cidli vom Jahre 1752).

Was aber an dem allen die Hauptsache ist, namentlich für den Gedanken¬
gang hier, das spricht der letzte Spruch klarer aus: mitten in dem Zerstäuben
des alten Menschen (es ist an Stäubchen sür Atom gedacht) erwacht der neue,
aus dem vergehenden alten Leben erwächst von selbst das neue. Da steht einmal
wieder der Stoffwechsel dahinter, klar gedacht oder nicht, das ist einerlei, zu¬
gleich aber: das Diesseits und das Jenseits, um die alten guten Begriffe auch
endlich zu brauchen, sind gar nicht so getrennt, gleichsam aus einander geschnitten,
wie man sich das gewöhnlich denkt, sondern das eine reicht in das andre un¬
trennbar hinein, eins aufs andre wirkend, eins dem andern dienend. Das ist
denn eine nützliche Vorstellung, die näher besehen zur Erklärung der Erschei¬
nungen des Lebens und der Menschenwelt überhaupt von weitest reichender
Tragweite ist, und auch dem hier Vorgetragenen liegt sie still zu Grunde als
Erklärungsgrund, auch den vorgetragenen Geschichtchen vom Stcrbenmögen im
Glück, wo jene Vorstellung sich in der dunkeln Seele geahnt von selber geltend
machte, am deutlichsten aber erscheint es doch wohl in den Gesichtszügen eines
eben Verschiedenen. Ist das nicht etwas Helles vom Sterben?




darstellt für die Überlebenden, sondern von innen, ja tief innerlich, als freie
That, fast wie dort bei dem Sterbcnmögcn im Augenblick höchsten Lebens-
gefühls, das von allem Schmerz und Verlustgefühl der gerade Gegensatz ist.
„Stirb und werde," es ist eigentlich der Gedanke des Stoffwechsels, der ja
genau besehen im Kleinen ein fortgesetztes Sterben und Werden darstellt, die
einander getreulich in die Hand arbeiten, hier nur ins Größte gefaßt und auf
seine höchste Spitze getrieben, die ins Innerste unsers Lebens hineinreicht. Auch
das Werden ist dabei mit der Spitze seines Begriffes genommen (die er auch
im gemeinen Sprachgebrauch schon hat), wie in Mignons Worten „So laßt
mich scheinen, bis ich werde," d.h. von der Stelle'einer suchenden Bewegungs¬
linie, wo "sie in ihr Ziel einschlägt, wie im gemeinen Leben z. B. in dem frohen
Ausrufe „jetzt wirds!", wenn man sich mit einer Schwierigkeit lange abgemüht
hat. Dies Ziel ist das Sein, in seinem vollsten und ganzen Sinne, wie in
Klopstocks tiefen Worten von Liebenden, die „ganz fühlen, wie sehr sie sind"
(Ode an Cidli vom Jahre 1752).

Was aber an dem allen die Hauptsache ist, namentlich für den Gedanken¬
gang hier, das spricht der letzte Spruch klarer aus: mitten in dem Zerstäuben
des alten Menschen (es ist an Stäubchen sür Atom gedacht) erwacht der neue,
aus dem vergehenden alten Leben erwächst von selbst das neue. Da steht einmal
wieder der Stoffwechsel dahinter, klar gedacht oder nicht, das ist einerlei, zu¬
gleich aber: das Diesseits und das Jenseits, um die alten guten Begriffe auch
endlich zu brauchen, sind gar nicht so getrennt, gleichsam aus einander geschnitten,
wie man sich das gewöhnlich denkt, sondern das eine reicht in das andre un¬
trennbar hinein, eins aufs andre wirkend, eins dem andern dienend. Das ist
denn eine nützliche Vorstellung, die näher besehen zur Erklärung der Erschei¬
nungen des Lebens und der Menschenwelt überhaupt von weitest reichender
Tragweite ist, und auch dem hier Vorgetragenen liegt sie still zu Grunde als
Erklärungsgrund, auch den vorgetragenen Geschichtchen vom Stcrbenmögen im
Glück, wo jene Vorstellung sich in der dunkeln Seele geahnt von selber geltend
machte, am deutlichsten aber erscheint es doch wohl in den Gesichtszügen eines
eben Verschiedenen. Ist das nicht etwas Helles vom Sterben?




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/56>, abgerufen am 29.06.2024.