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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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-- die Wielcmdsche Philosophie in rmos -- im dritten Buch der "Musarion"
gefunden:


Die Liebe lehrte ihn. Wer lehrt so gut wie sie?
Auch lernt' er gern und schnell und sonder Müh
Die reizende Philosophie,
Die, was Natur und Schicksal uns gewährt,
Vergnügt genießt und gern den Rest entbehrt;
Die Dinge dieser Welt gern von der schönen Seite
Betrachtet, dem Geschick sich unterwürfig macht;
Nicht wissen will, was alles das bedeute,
Was Zeus aus Huld in rätselhafter Nacht
Vor uns verbarg; und auf die guten Leute
Der untern Welt, so sehr sie Thoren sind,
Nie böse wird, nur lächerlich sie find't
Und sich dazu; sie drum nicht minder liebet,
Den Irrenden detail're und nur den Gleißner flieht;
Nicht stets von Tugend spricht, noch, von ihr sprechend, glüht,
Doch, ohne Sold und aus Geschmack, sie übet;
Und, glücklich oder nicht, die Welt
Mir kein Elysium, für keine Hölle halt;
Nie so verderbt, als sie der Sittenrichter
Von seinem Thron -- im sechsten Stockwerk -- sieht,
So lustig nie, als jugendliche Dichter
Sie malen, wenn ihr Hirn von Wein und Phyllis glüht.

Die beste Lehrerin dieser Philosophie soll die Liebe sein. Im Wortlaut trifft
Wieland hier wiederum zusammen mit einem Philosophen, der sonst durchaus
als sein Gegenfüßler zu betrachte" ist, mit Plato. In jener herrlichsten aller
platonischen Schriften, im "Gastmahl," wird ebenfalls der Eros gefeiert, der
von der Liebe zu schönen Körpern durch eine Stufenfolge von Vergeistigungen
hinaufführt zur Liebe der Idee, des ewig und an und für sich Schönen. Es
ist aber eben nichts als ein Zusammentreffen im Wort. Wieland kommt niemals
los von der Auffassung der Liebe als eines vorwiegend sinnlichen Triebes, einer
Hingebung an weibliche Reize. Fremd ist ihn" auch die Liebe in jenem edlern
Sinne, wie sie besonders tief vom deutschen Gemüte empfunden wird, als my¬
stische Vereinigung des Sinnlichen mit dem Geistigen in uns. Fremd ist seinem
Herzen jenes ahnungsvolle Gefühl, wodurch Faust gedrängt wird, in dem Augen¬
blick reinster Liebcsbeseligung sein tiefstes religiöses Empfinden und Anschauen
der Geliebten zu enthüllen. Wo Wielands Phantasie sich gedrungen fühlt, die
Wirkung weiblicher Reize zu schildern, da bewegt sie sich stets unter Feen,
Nymphen und Haremsbewohnerinnen, lauter seelenlosen Wesen. Die Schön¬
heiten der Oberfläche werden schou von dem Neunzehnjährigen mit einer Vir¬
tuosität analysirt, welche den vollgiltigen Beweis dafür liefert, daß sein Ange,
wenigstens sein dichterisches, eben nur für die Oberfläche geschaffen war.

Um eine Anknüpfung an die metaphysische Welt der ewigen und unendlichen


— die Wielcmdsche Philosophie in rmos — im dritten Buch der „Musarion"
gefunden:


Die Liebe lehrte ihn. Wer lehrt so gut wie sie?
Auch lernt' er gern und schnell und sonder Müh
Die reizende Philosophie,
Die, was Natur und Schicksal uns gewährt,
Vergnügt genießt und gern den Rest entbehrt;
Die Dinge dieser Welt gern von der schönen Seite
Betrachtet, dem Geschick sich unterwürfig macht;
Nicht wissen will, was alles das bedeute,
Was Zeus aus Huld in rätselhafter Nacht
Vor uns verbarg; und auf die guten Leute
Der untern Welt, so sehr sie Thoren sind,
Nie böse wird, nur lächerlich sie find't
Und sich dazu; sie drum nicht minder liebet,
Den Irrenden detail're und nur den Gleißner flieht;
Nicht stets von Tugend spricht, noch, von ihr sprechend, glüht,
Doch, ohne Sold und aus Geschmack, sie übet;
Und, glücklich oder nicht, die Welt
Mir kein Elysium, für keine Hölle halt;
Nie so verderbt, als sie der Sittenrichter
Von seinem Thron — im sechsten Stockwerk — sieht,
So lustig nie, als jugendliche Dichter
Sie malen, wenn ihr Hirn von Wein und Phyllis glüht.

Die beste Lehrerin dieser Philosophie soll die Liebe sein. Im Wortlaut trifft
Wieland hier wiederum zusammen mit einem Philosophen, der sonst durchaus
als sein Gegenfüßler zu betrachte» ist, mit Plato. In jener herrlichsten aller
platonischen Schriften, im „Gastmahl," wird ebenfalls der Eros gefeiert, der
von der Liebe zu schönen Körpern durch eine Stufenfolge von Vergeistigungen
hinaufführt zur Liebe der Idee, des ewig und an und für sich Schönen. Es
ist aber eben nichts als ein Zusammentreffen im Wort. Wieland kommt niemals
los von der Auffassung der Liebe als eines vorwiegend sinnlichen Triebes, einer
Hingebung an weibliche Reize. Fremd ist ihn« auch die Liebe in jenem edlern
Sinne, wie sie besonders tief vom deutschen Gemüte empfunden wird, als my¬
stische Vereinigung des Sinnlichen mit dem Geistigen in uns. Fremd ist seinem
Herzen jenes ahnungsvolle Gefühl, wodurch Faust gedrängt wird, in dem Augen¬
blick reinster Liebcsbeseligung sein tiefstes religiöses Empfinden und Anschauen
der Geliebten zu enthüllen. Wo Wielands Phantasie sich gedrungen fühlt, die
Wirkung weiblicher Reize zu schildern, da bewegt sie sich stets unter Feen,
Nymphen und Haremsbewohnerinnen, lauter seelenlosen Wesen. Die Schön¬
heiten der Oberfläche werden schou von dem Neunzehnjährigen mit einer Vir¬
tuosität analysirt, welche den vollgiltigen Beweis dafür liefert, daß sein Ange,
wenigstens sein dichterisches, eben nur für die Oberfläche geschaffen war.

Um eine Anknüpfung an die metaphysische Welt der ewigen und unendlichen


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[0532] — die Wielcmdsche Philosophie in rmos — im dritten Buch der „Musarion" gefunden: Die Liebe lehrte ihn. Wer lehrt so gut wie sie? Auch lernt' er gern und schnell und sonder Müh Die reizende Philosophie, Die, was Natur und Schicksal uns gewährt, Vergnügt genießt und gern den Rest entbehrt; Die Dinge dieser Welt gern von der schönen Seite Betrachtet, dem Geschick sich unterwürfig macht; Nicht wissen will, was alles das bedeute, Was Zeus aus Huld in rätselhafter Nacht Vor uns verbarg; und auf die guten Leute Der untern Welt, so sehr sie Thoren sind, Nie böse wird, nur lächerlich sie find't Und sich dazu; sie drum nicht minder liebet, Den Irrenden detail're und nur den Gleißner flieht; Nicht stets von Tugend spricht, noch, von ihr sprechend, glüht, Doch, ohne Sold und aus Geschmack, sie übet; Und, glücklich oder nicht, die Welt Mir kein Elysium, für keine Hölle halt; Nie so verderbt, als sie der Sittenrichter Von seinem Thron — im sechsten Stockwerk — sieht, So lustig nie, als jugendliche Dichter Sie malen, wenn ihr Hirn von Wein und Phyllis glüht. Die beste Lehrerin dieser Philosophie soll die Liebe sein. Im Wortlaut trifft Wieland hier wiederum zusammen mit einem Philosophen, der sonst durchaus als sein Gegenfüßler zu betrachte» ist, mit Plato. In jener herrlichsten aller platonischen Schriften, im „Gastmahl," wird ebenfalls der Eros gefeiert, der von der Liebe zu schönen Körpern durch eine Stufenfolge von Vergeistigungen hinaufführt zur Liebe der Idee, des ewig und an und für sich Schönen. Es ist aber eben nichts als ein Zusammentreffen im Wort. Wieland kommt niemals los von der Auffassung der Liebe als eines vorwiegend sinnlichen Triebes, einer Hingebung an weibliche Reize. Fremd ist ihn« auch die Liebe in jenem edlern Sinne, wie sie besonders tief vom deutschen Gemüte empfunden wird, als my¬ stische Vereinigung des Sinnlichen mit dem Geistigen in uns. Fremd ist seinem Herzen jenes ahnungsvolle Gefühl, wodurch Faust gedrängt wird, in dem Augen¬ blick reinster Liebcsbeseligung sein tiefstes religiöses Empfinden und Anschauen der Geliebten zu enthüllen. Wo Wielands Phantasie sich gedrungen fühlt, die Wirkung weiblicher Reize zu schildern, da bewegt sie sich stets unter Feen, Nymphen und Haremsbewohnerinnen, lauter seelenlosen Wesen. Die Schön¬ heiten der Oberfläche werden schou von dem Neunzehnjährigen mit einer Vir¬ tuosität analysirt, welche den vollgiltigen Beweis dafür liefert, daß sein Ange, wenigstens sein dichterisches, eben nur für die Oberfläche geschaffen war. Um eine Anknüpfung an die metaphysische Welt der ewigen und unendlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/532>, abgerufen am 22.07.2024.