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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Zur Land- und Bodenfrage.

Auch in niederländisch-Jndien beginnt man zu empfinden, daß es mit der
Freiheit des Erwerbes von Grundeigentum doch, wenn auch in andrer Richtung,
ernstliche Bedenken hat. Man hat nach der Handelszeitung von Soerabaya
die Entdeckung gemacht, daß die gefürchteten Chinesen einen Grundbesitz von
120 Millionen Gulden an sich gerissen haben, und nur für 35 Millionen noch
in den Händen von Europäern geblieben ist. Die Landfrage drängt, wie man
sieht, auch hier einer Lösung entgegen.

In Irland gehen die Dinge ihren Weg unaufhaltsam weiter. Man kann
dort nur noch von einer agrarischen Revolution und von einem Vernichtungs¬
kampf zwischen Gutsherren und Pächtern sprechen. Oder was wäre es anders,
wenn beispielsweise folgendes berichtet wird: "In einer öden Gegend liegen die
Mimischen Güter, welche Londoner Geldwucherern in die Hände gefallen sind,
nachdem der Besitzer keine Pachtzinsen hatte erhalten können. Seit den letzten
fünf Jahren waren alle möglichen Maßregeln gegen die Pächter ergriffen worden,
um sie zur Zahlung zu zwingen. Das Kreisgericht von Kcrry hatte vergeblich
versucht, eine Verständigung zu erziele"; der Besitzer wollte nichts davon wissen.
Kürzlich wurden dem Agenten siebzig Ausweisungsbefehle eingehändigt, und nun
begann er die Exekutionen in einer Weise, welche jeder Menschlichkeit spottet.
Er setzte die Häuser der Pächter vermittels Petroleum in Brand und stand
ruhig dabei, bis sie der Erde gleich waren. Die Pächter sind ganz arme Leute
und haben durchschnittlich jeder nur drei Kühe." Ein andrer Bericht lautet:
"Nachdem die Verhandlungen mit den Pächtern am Donnerstag erfolglos ge¬
blieben waren, wurde am 28. Mai mit den Ausweisungen auf den O'Calla-
ghanschen Gütern in Bodyke Ernst gemacht. Fünfhundert Soldaten und Poli¬
zisten rückten fast gefechtsmäßig, mit Plänklcrn und Vortruppen, gegen die Orte
vor. Zuerst sollte die Witwe Mensor ausgewiesen werden. Fenster und Thüren
ihres Hauses waren mit Baumstämmen verbarrikadirt. Als sich die Polizisten
daran machten, die Hindernisse unter dem Höhnen der Bevölkerung wegzuräumen,
bekam der Sheriff plötzlich einen epileptischen Anfall. Dieses hielt die Menge
für ein Zeichen der Vorsehung und begann sich noch wütender zu geberden.
Der Anfall wiederholte sich noch mehrmals, und schließlich mußte die Ausweisung
aufgegeben werden. Unter den Wutausbrüchen des Volkes marschirte die Ex¬
pedition wieder zurück nach Fortane."

Von einer eigentlichen Bodenrenke kann in diesem englischen Lande kaum
mehr die Rede sein. Die Grundherren wären froh, wenn das Gesetz von 1882
eine Wahrheit würde, nach welchem die Pachtsumme schiedsrichterlich festzustellen,
dem Pächter bei seinem Abzüge Entschädigung für Meliorationen zu leisten und
das Kttndigungsrecht des Grundherrn wesentlich beschränkt ist. Allein dies
Gesetz ist ein toter Buchstabe geblieben, die Pächter zahlen auch die ermäßigten
Pachtsummen nicht, die Exekutionen bleiben fruchtlos oder gestalten sich zu ver¬
zweifelten Kämpfen, bei welchen die Exekutoren, trotz Unterstützung durch zahl-


Zur Land- und Bodenfrage.

Auch in niederländisch-Jndien beginnt man zu empfinden, daß es mit der
Freiheit des Erwerbes von Grundeigentum doch, wenn auch in andrer Richtung,
ernstliche Bedenken hat. Man hat nach der Handelszeitung von Soerabaya
die Entdeckung gemacht, daß die gefürchteten Chinesen einen Grundbesitz von
120 Millionen Gulden an sich gerissen haben, und nur für 35 Millionen noch
in den Händen von Europäern geblieben ist. Die Landfrage drängt, wie man
sieht, auch hier einer Lösung entgegen.

In Irland gehen die Dinge ihren Weg unaufhaltsam weiter. Man kann
dort nur noch von einer agrarischen Revolution und von einem Vernichtungs¬
kampf zwischen Gutsherren und Pächtern sprechen. Oder was wäre es anders,
wenn beispielsweise folgendes berichtet wird: „In einer öden Gegend liegen die
Mimischen Güter, welche Londoner Geldwucherern in die Hände gefallen sind,
nachdem der Besitzer keine Pachtzinsen hatte erhalten können. Seit den letzten
fünf Jahren waren alle möglichen Maßregeln gegen die Pächter ergriffen worden,
um sie zur Zahlung zu zwingen. Das Kreisgericht von Kcrry hatte vergeblich
versucht, eine Verständigung zu erziele»; der Besitzer wollte nichts davon wissen.
Kürzlich wurden dem Agenten siebzig Ausweisungsbefehle eingehändigt, und nun
begann er die Exekutionen in einer Weise, welche jeder Menschlichkeit spottet.
Er setzte die Häuser der Pächter vermittels Petroleum in Brand und stand
ruhig dabei, bis sie der Erde gleich waren. Die Pächter sind ganz arme Leute
und haben durchschnittlich jeder nur drei Kühe." Ein andrer Bericht lautet:
„Nachdem die Verhandlungen mit den Pächtern am Donnerstag erfolglos ge¬
blieben waren, wurde am 28. Mai mit den Ausweisungen auf den O'Calla-
ghanschen Gütern in Bodyke Ernst gemacht. Fünfhundert Soldaten und Poli¬
zisten rückten fast gefechtsmäßig, mit Plänklcrn und Vortruppen, gegen die Orte
vor. Zuerst sollte die Witwe Mensor ausgewiesen werden. Fenster und Thüren
ihres Hauses waren mit Baumstämmen verbarrikadirt. Als sich die Polizisten
daran machten, die Hindernisse unter dem Höhnen der Bevölkerung wegzuräumen,
bekam der Sheriff plötzlich einen epileptischen Anfall. Dieses hielt die Menge
für ein Zeichen der Vorsehung und begann sich noch wütender zu geberden.
Der Anfall wiederholte sich noch mehrmals, und schließlich mußte die Ausweisung
aufgegeben werden. Unter den Wutausbrüchen des Volkes marschirte die Ex¬
pedition wieder zurück nach Fortane."

Von einer eigentlichen Bodenrenke kann in diesem englischen Lande kaum
mehr die Rede sein. Die Grundherren wären froh, wenn das Gesetz von 1882
eine Wahrheit würde, nach welchem die Pachtsumme schiedsrichterlich festzustellen,
dem Pächter bei seinem Abzüge Entschädigung für Meliorationen zu leisten und
das Kttndigungsrecht des Grundherrn wesentlich beschränkt ist. Allein dies
Gesetz ist ein toter Buchstabe geblieben, die Pächter zahlen auch die ermäßigten
Pachtsummen nicht, die Exekutionen bleiben fruchtlos oder gestalten sich zu ver¬
zweifelten Kämpfen, bei welchen die Exekutoren, trotz Unterstützung durch zahl-


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[0525] Zur Land- und Bodenfrage. Auch in niederländisch-Jndien beginnt man zu empfinden, daß es mit der Freiheit des Erwerbes von Grundeigentum doch, wenn auch in andrer Richtung, ernstliche Bedenken hat. Man hat nach der Handelszeitung von Soerabaya die Entdeckung gemacht, daß die gefürchteten Chinesen einen Grundbesitz von 120 Millionen Gulden an sich gerissen haben, und nur für 35 Millionen noch in den Händen von Europäern geblieben ist. Die Landfrage drängt, wie man sieht, auch hier einer Lösung entgegen. In Irland gehen die Dinge ihren Weg unaufhaltsam weiter. Man kann dort nur noch von einer agrarischen Revolution und von einem Vernichtungs¬ kampf zwischen Gutsherren und Pächtern sprechen. Oder was wäre es anders, wenn beispielsweise folgendes berichtet wird: „In einer öden Gegend liegen die Mimischen Güter, welche Londoner Geldwucherern in die Hände gefallen sind, nachdem der Besitzer keine Pachtzinsen hatte erhalten können. Seit den letzten fünf Jahren waren alle möglichen Maßregeln gegen die Pächter ergriffen worden, um sie zur Zahlung zu zwingen. Das Kreisgericht von Kcrry hatte vergeblich versucht, eine Verständigung zu erziele»; der Besitzer wollte nichts davon wissen. Kürzlich wurden dem Agenten siebzig Ausweisungsbefehle eingehändigt, und nun begann er die Exekutionen in einer Weise, welche jeder Menschlichkeit spottet. Er setzte die Häuser der Pächter vermittels Petroleum in Brand und stand ruhig dabei, bis sie der Erde gleich waren. Die Pächter sind ganz arme Leute und haben durchschnittlich jeder nur drei Kühe." Ein andrer Bericht lautet: „Nachdem die Verhandlungen mit den Pächtern am Donnerstag erfolglos ge¬ blieben waren, wurde am 28. Mai mit den Ausweisungen auf den O'Calla- ghanschen Gütern in Bodyke Ernst gemacht. Fünfhundert Soldaten und Poli¬ zisten rückten fast gefechtsmäßig, mit Plänklcrn und Vortruppen, gegen die Orte vor. Zuerst sollte die Witwe Mensor ausgewiesen werden. Fenster und Thüren ihres Hauses waren mit Baumstämmen verbarrikadirt. Als sich die Polizisten daran machten, die Hindernisse unter dem Höhnen der Bevölkerung wegzuräumen, bekam der Sheriff plötzlich einen epileptischen Anfall. Dieses hielt die Menge für ein Zeichen der Vorsehung und begann sich noch wütender zu geberden. Der Anfall wiederholte sich noch mehrmals, und schließlich mußte die Ausweisung aufgegeben werden. Unter den Wutausbrüchen des Volkes marschirte die Ex¬ pedition wieder zurück nach Fortane." Von einer eigentlichen Bodenrenke kann in diesem englischen Lande kaum mehr die Rede sein. Die Grundherren wären froh, wenn das Gesetz von 1882 eine Wahrheit würde, nach welchem die Pachtsumme schiedsrichterlich festzustellen, dem Pächter bei seinem Abzüge Entschädigung für Meliorationen zu leisten und das Kttndigungsrecht des Grundherrn wesentlich beschränkt ist. Allein dies Gesetz ist ein toter Buchstabe geblieben, die Pächter zahlen auch die ermäßigten Pachtsummen nicht, die Exekutionen bleiben fruchtlos oder gestalten sich zu ver¬ zweifelten Kämpfen, bei welchen die Exekutoren, trotz Unterstützung durch zahl-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/525>, abgerufen am 22.07.2024.