Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Land- und Bodenfrage.

sind, aber mit raschen Schritten höherer Kultur entgegengehen, zeigen sich bereits
die verderblichen Monopolwirkungen des Privatgrundeigentums. Nach Freiherr
von Hübners Buch "Durch das britische Reich" ist in Neuseeland die Landfrage
die brennende Frage des Tages, in diesem jugendlichen und gesunde" Lande
ganz ähnlich wie in dem alten, zu Tode erkrankten Irland, nur mit dem Unter¬
schiede, daß in Neuseeland die Demokratie, welche den Großgrundbesitz enteignen
will, bald im unbeschränkten Besitz der Macht sein und die Frage voraussichtlich
in ihrem Sinne lösen wird.

In der Zeit der Besitzergreifung eines großen Teiles der Inseln durch eine
englische Kompagnie (1839) sind große Abschnitte des Landes in die Hand
weniger Besitzer gekommen; andre Latifundien sind dadurch entstanden, daß
einzelne Unternehmer mit englischen Kapitalien weite Flächen der Staats-
ländereien ankauften. Diese großen Grundbesitzer, welche das Oberhaus und
angeblich bis vor kurzem auch die Regierung beherrschten, verwenden das Land
als Weidegrund, da es ihnen so größeres Erträgnis giebt. Ihr ganzes Be¬
streben geht darauf hin, die Erwerbung kleiner Grundstücke durch Kleinbauern
zu vereiteln, außerdem sollen sehr schlimme Spekulationen bei Anlage der Eisen¬
bahnen u. dergl. vorgekommen sein. Daher ist der Unwille der kleinen Leute,
welche täglich an Zahl und Macht wachsen, sehr rege, und man geht sowohl
mit der Einführung einer progressiven -- mit der Größe des Besitzes auch
relativ steigenden -- hohen Grundsteuer, als sogar mit dem Gedanke" um, alle
alten Grunderwerbungcn für uugiltig zu erklären, und als einzige Besitzform
den Pacht vou Staatsläudereien, und zwar im Maximum auf 21 Jahre, ein¬
zuführen. Man zweifelt in Neuseeland nicht, daß diese Vorschläge binnen
kurzem in Kraft treten werden, da selbst die Minister bereits dafür sein sollen.
Es wird auch für Europa von großem Interesse sein, den Ablauf dieses sozia¬
listischen Experiments zu verfolgen, und es mag hier abermals das Bedauern
wiederholt werden, daß die europäischen Zeitungen ihre Leser über so interessante
und für uns lehrreiche Bewegungen so unvollkommen unterrichten.

Eine ähnliche Landfrage besteht auch in Australien. Hier ist aller Boden
Eigentum des Staates, d. h. der Kolonien selbst; er ist an die Squatters, die
Aristokratie der Kolonien, in großen Partien verpachtet. Die populäre Be¬
wegung geht nun ebenfalls dahin, die Zerschlagung dieser großen Lcindcreien
zu Gunsten kleiner Besitzer zu bewirken. Schon jetzt steht es im Belieben des
tres Lölvotors, wo er will, innerhalb des Pachtlandes des Squatters sich ein
Stück Grund anzukaufen und sich da festzusetzen, zum höchsten Verdruß und
zur größten Unbequemlichkeit des letztern. Es scheint nicht zweifelhaft, daß
auch in Australien die Gesetzgebung im radikalen Sinne fortschreiten wird, denn
bei den ganz demokratischen, fast republikanischen Verfassungen der Kolonien ist
der Einfluß der Massen bereits überwiegend geworden, und die konservativen,
mehr aristokratischen Schichten sind in den Hintergrund gedrängt.


Zur Land- und Bodenfrage.

sind, aber mit raschen Schritten höherer Kultur entgegengehen, zeigen sich bereits
die verderblichen Monopolwirkungen des Privatgrundeigentums. Nach Freiherr
von Hübners Buch „Durch das britische Reich" ist in Neuseeland die Landfrage
die brennende Frage des Tages, in diesem jugendlichen und gesunde» Lande
ganz ähnlich wie in dem alten, zu Tode erkrankten Irland, nur mit dem Unter¬
schiede, daß in Neuseeland die Demokratie, welche den Großgrundbesitz enteignen
will, bald im unbeschränkten Besitz der Macht sein und die Frage voraussichtlich
in ihrem Sinne lösen wird.

In der Zeit der Besitzergreifung eines großen Teiles der Inseln durch eine
englische Kompagnie (1839) sind große Abschnitte des Landes in die Hand
weniger Besitzer gekommen; andre Latifundien sind dadurch entstanden, daß
einzelne Unternehmer mit englischen Kapitalien weite Flächen der Staats-
ländereien ankauften. Diese großen Grundbesitzer, welche das Oberhaus und
angeblich bis vor kurzem auch die Regierung beherrschten, verwenden das Land
als Weidegrund, da es ihnen so größeres Erträgnis giebt. Ihr ganzes Be¬
streben geht darauf hin, die Erwerbung kleiner Grundstücke durch Kleinbauern
zu vereiteln, außerdem sollen sehr schlimme Spekulationen bei Anlage der Eisen¬
bahnen u. dergl. vorgekommen sein. Daher ist der Unwille der kleinen Leute,
welche täglich an Zahl und Macht wachsen, sehr rege, und man geht sowohl
mit der Einführung einer progressiven — mit der Größe des Besitzes auch
relativ steigenden — hohen Grundsteuer, als sogar mit dem Gedanke» um, alle
alten Grunderwerbungcn für uugiltig zu erklären, und als einzige Besitzform
den Pacht vou Staatsläudereien, und zwar im Maximum auf 21 Jahre, ein¬
zuführen. Man zweifelt in Neuseeland nicht, daß diese Vorschläge binnen
kurzem in Kraft treten werden, da selbst die Minister bereits dafür sein sollen.
Es wird auch für Europa von großem Interesse sein, den Ablauf dieses sozia¬
listischen Experiments zu verfolgen, und es mag hier abermals das Bedauern
wiederholt werden, daß die europäischen Zeitungen ihre Leser über so interessante
und für uns lehrreiche Bewegungen so unvollkommen unterrichten.

Eine ähnliche Landfrage besteht auch in Australien. Hier ist aller Boden
Eigentum des Staates, d. h. der Kolonien selbst; er ist an die Squatters, die
Aristokratie der Kolonien, in großen Partien verpachtet. Die populäre Be¬
wegung geht nun ebenfalls dahin, die Zerschlagung dieser großen Lcindcreien
zu Gunsten kleiner Besitzer zu bewirken. Schon jetzt steht es im Belieben des
tres Lölvotors, wo er will, innerhalb des Pachtlandes des Squatters sich ein
Stück Grund anzukaufen und sich da festzusetzen, zum höchsten Verdruß und
zur größten Unbequemlichkeit des letztern. Es scheint nicht zweifelhaft, daß
auch in Australien die Gesetzgebung im radikalen Sinne fortschreiten wird, denn
bei den ganz demokratischen, fast republikanischen Verfassungen der Kolonien ist
der Einfluß der Massen bereits überwiegend geworden, und die konservativen,
mehr aristokratischen Schichten sind in den Hintergrund gedrängt.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0524" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201953"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Land- und Bodenfrage.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1368" prev="#ID_1367"> sind, aber mit raschen Schritten höherer Kultur entgegengehen, zeigen sich bereits<lb/>
die verderblichen Monopolwirkungen des Privatgrundeigentums. Nach Freiherr<lb/>
von Hübners Buch &#x201E;Durch das britische Reich" ist in Neuseeland die Landfrage<lb/>
die brennende Frage des Tages, in diesem jugendlichen und gesunde» Lande<lb/>
ganz ähnlich wie in dem alten, zu Tode erkrankten Irland, nur mit dem Unter¬<lb/>
schiede, daß in Neuseeland die Demokratie, welche den Großgrundbesitz enteignen<lb/>
will, bald im unbeschränkten Besitz der Macht sein und die Frage voraussichtlich<lb/>
in ihrem Sinne lösen wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1369"> In der Zeit der Besitzergreifung eines großen Teiles der Inseln durch eine<lb/>
englische Kompagnie (1839) sind große Abschnitte des Landes in die Hand<lb/>
weniger Besitzer gekommen; andre Latifundien sind dadurch entstanden, daß<lb/>
einzelne Unternehmer mit englischen Kapitalien weite Flächen der Staats-<lb/>
ländereien ankauften. Diese großen Grundbesitzer, welche das Oberhaus und<lb/>
angeblich bis vor kurzem auch die Regierung beherrschten, verwenden das Land<lb/>
als Weidegrund, da es ihnen so größeres Erträgnis giebt. Ihr ganzes Be¬<lb/>
streben geht darauf hin, die Erwerbung kleiner Grundstücke durch Kleinbauern<lb/>
zu vereiteln, außerdem sollen sehr schlimme Spekulationen bei Anlage der Eisen¬<lb/>
bahnen u. dergl. vorgekommen sein. Daher ist der Unwille der kleinen Leute,<lb/>
welche täglich an Zahl und Macht wachsen, sehr rege, und man geht sowohl<lb/>
mit der Einführung einer progressiven &#x2014; mit der Größe des Besitzes auch<lb/>
relativ steigenden &#x2014; hohen Grundsteuer, als sogar mit dem Gedanke» um, alle<lb/>
alten Grunderwerbungcn für uugiltig zu erklären, und als einzige Besitzform<lb/>
den Pacht vou Staatsläudereien, und zwar im Maximum auf 21 Jahre, ein¬<lb/>
zuführen. Man zweifelt in Neuseeland nicht, daß diese Vorschläge binnen<lb/>
kurzem in Kraft treten werden, da selbst die Minister bereits dafür sein sollen.<lb/>
Es wird auch für Europa von großem Interesse sein, den Ablauf dieses sozia¬<lb/>
listischen Experiments zu verfolgen, und es mag hier abermals das Bedauern<lb/>
wiederholt werden, daß die europäischen Zeitungen ihre Leser über so interessante<lb/>
und für uns lehrreiche Bewegungen so unvollkommen unterrichten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1370"> Eine ähnliche Landfrage besteht auch in Australien. Hier ist aller Boden<lb/>
Eigentum des Staates, d. h. der Kolonien selbst; er ist an die Squatters, die<lb/>
Aristokratie der Kolonien, in großen Partien verpachtet. Die populäre Be¬<lb/>
wegung geht nun ebenfalls dahin, die Zerschlagung dieser großen Lcindcreien<lb/>
zu Gunsten kleiner Besitzer zu bewirken. Schon jetzt steht es im Belieben des<lb/>
tres Lölvotors, wo er will, innerhalb des Pachtlandes des Squatters sich ein<lb/>
Stück Grund anzukaufen und sich da festzusetzen, zum höchsten Verdruß und<lb/>
zur größten Unbequemlichkeit des letztern. Es scheint nicht zweifelhaft, daß<lb/>
auch in Australien die Gesetzgebung im radikalen Sinne fortschreiten wird, denn<lb/>
bei den ganz demokratischen, fast republikanischen Verfassungen der Kolonien ist<lb/>
der Einfluß der Massen bereits überwiegend geworden, und die konservativen,<lb/>
mehr aristokratischen Schichten sind in den Hintergrund gedrängt.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0524] Zur Land- und Bodenfrage. sind, aber mit raschen Schritten höherer Kultur entgegengehen, zeigen sich bereits die verderblichen Monopolwirkungen des Privatgrundeigentums. Nach Freiherr von Hübners Buch „Durch das britische Reich" ist in Neuseeland die Landfrage die brennende Frage des Tages, in diesem jugendlichen und gesunde» Lande ganz ähnlich wie in dem alten, zu Tode erkrankten Irland, nur mit dem Unter¬ schiede, daß in Neuseeland die Demokratie, welche den Großgrundbesitz enteignen will, bald im unbeschränkten Besitz der Macht sein und die Frage voraussichtlich in ihrem Sinne lösen wird. In der Zeit der Besitzergreifung eines großen Teiles der Inseln durch eine englische Kompagnie (1839) sind große Abschnitte des Landes in die Hand weniger Besitzer gekommen; andre Latifundien sind dadurch entstanden, daß einzelne Unternehmer mit englischen Kapitalien weite Flächen der Staats- ländereien ankauften. Diese großen Grundbesitzer, welche das Oberhaus und angeblich bis vor kurzem auch die Regierung beherrschten, verwenden das Land als Weidegrund, da es ihnen so größeres Erträgnis giebt. Ihr ganzes Be¬ streben geht darauf hin, die Erwerbung kleiner Grundstücke durch Kleinbauern zu vereiteln, außerdem sollen sehr schlimme Spekulationen bei Anlage der Eisen¬ bahnen u. dergl. vorgekommen sein. Daher ist der Unwille der kleinen Leute, welche täglich an Zahl und Macht wachsen, sehr rege, und man geht sowohl mit der Einführung einer progressiven — mit der Größe des Besitzes auch relativ steigenden — hohen Grundsteuer, als sogar mit dem Gedanke» um, alle alten Grunderwerbungcn für uugiltig zu erklären, und als einzige Besitzform den Pacht vou Staatsläudereien, und zwar im Maximum auf 21 Jahre, ein¬ zuführen. Man zweifelt in Neuseeland nicht, daß diese Vorschläge binnen kurzem in Kraft treten werden, da selbst die Minister bereits dafür sein sollen. Es wird auch für Europa von großem Interesse sein, den Ablauf dieses sozia¬ listischen Experiments zu verfolgen, und es mag hier abermals das Bedauern wiederholt werden, daß die europäischen Zeitungen ihre Leser über so interessante und für uns lehrreiche Bewegungen so unvollkommen unterrichten. Eine ähnliche Landfrage besteht auch in Australien. Hier ist aller Boden Eigentum des Staates, d. h. der Kolonien selbst; er ist an die Squatters, die Aristokratie der Kolonien, in großen Partien verpachtet. Die populäre Be¬ wegung geht nun ebenfalls dahin, die Zerschlagung dieser großen Lcindcreien zu Gunsten kleiner Besitzer zu bewirken. Schon jetzt steht es im Belieben des tres Lölvotors, wo er will, innerhalb des Pachtlandes des Squatters sich ein Stück Grund anzukaufen und sich da festzusetzen, zum höchsten Verdruß und zur größten Unbequemlichkeit des letztern. Es scheint nicht zweifelhaft, daß auch in Australien die Gesetzgebung im radikalen Sinne fortschreiten wird, denn bei den ganz demokratischen, fast republikanischen Verfassungen der Kolonien ist der Einfluß der Massen bereits überwiegend geworden, und die konservativen, mehr aristokratischen Schichten sind in den Hintergrund gedrängt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/524
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/524>, abgerufen am 21.06.2024.