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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Auflösung des alten Reiches.

Störung," "ein Eingriff in das oberhauptliche, kaiserliche, oberstrichterliche Amt,"
und daß er alle Reichsfürsten von solchen "reichssatzungswidrigen Verbindungen
gegen das Oberhaupt" ernstlich abmahnte.

Daß die Spitze dieses Bundes thatsächlich gegen das Neichsoberhaupt ge¬
richtet war, läßt sich nicht leugnen; ob eine derartige Verbindung daher mit
dem strengen, abstrakten Rechte vereinbar war und sich mit der bestehenden
Reichsverfassung vertrug, ist allerdings zweifelhaft. Doch verlohnt es sich nicht
der Mühe, die vielen dafür und dagegen angeführten Beweisgründe noch einmal
hervorzuheben und zu prüfen. Denn nennenswerte politische Erfolge hat der
Fürstenbund jedenfalls nicht gehabt, und zwar namentlich wegen des baldigen
Todes des großen Königs. Die Bemühungen Karl Augusts von Weimar und
Dalbergs konnten nicht verhindern, daß er sanft entschlief, ohne daß eigentlich
jemals eine förmliche Auflösung desselben erfolgte.

Was aus den: Fürstenbunde geworden wäre, wenn seinem großen Gründer
eine längere Lebenszeit beschieden gewesen wäre, läßt sich gar nicht absehen,
und es ist nicht der Mühe wert, darüber nachzugrübeln; denn wenn Konjektural-
politik für die Gegenwart schon sehr wenig Wert hat, so ist sie für die Ver¬
gangenheit jedenfalls völlig zwecklos. So viel steht fest: bei der Gründung
jenes Bundes beabsichtigte Friedrich nicht eine Sprengung des Reiches, son¬
dern nur eine Einschränkung der Übergriffe Österreichs. Er beabsichtigte nicht,
die Kaiserwürde oder die Kaisermacht an sich und sein Haus zu bringen.
Denn einem so klaren Kopfe, einem so scharfsinnigen Staatsmanne konnte es
nicht, wie etwa den Doktrinären und Phrasenhelden unsers Jahrhunderts, die
durch schöne Reden und glatte Depeschen ein einiges Deutschland auf den Platz
schwatzen wollten, verborgen sein, daß damals Würde oder Macht eines Kaisers
ebensowenig ohne blutige Auseinandersetzung mit Österreich und mindestens
auch noch mit Frankreich errungen und behauptet werden konnte, wie es in
unsern Tagen möglich oder denkbar war, die deutsche Frage ohne Blut und
Eisen zu einem gedeihlichen Ausgange zu führen.

Daß der Fürstenbund die Auflösung des Reiches herbeigeführt habe, ist
sicher unrichtig; es ist sogar höchst fraglich, ob er sie auch nur beschleunigt
hat. Dennoch mußte diesem Bunde hier, wo es sich darum handelt, die Um¬
gestaltung der Verfassung Deutschlands zu schildern, ein etwas größerer Raum
gewidmet werden. Denn es war das erste mal, wo der Gedanke, einen engern
Bund der Staaten Deutschlands, mit Ausschluß Österreichs, unter der Führung
Preußens zu bilden, in greifbarer Form auftauchte, der erste Versuch, das zu
verwirklichen, was Kaiser Wilhelm und sein eiserner Kanzler später so ruhmreich
durchgeführt haben.

Bezeichnend für diesen Bund ist noch der Umstand, daß, ungleich allen
frühern Verbindungen ähnlicher Art in Deutschland, namentlich ungleich dem
Schmalkaldischen Bunde, nach dessen Muster er doch entworfen sein sollte, dabei


Die Auflösung des alten Reiches.

Störung," „ein Eingriff in das oberhauptliche, kaiserliche, oberstrichterliche Amt,"
und daß er alle Reichsfürsten von solchen „reichssatzungswidrigen Verbindungen
gegen das Oberhaupt" ernstlich abmahnte.

Daß die Spitze dieses Bundes thatsächlich gegen das Neichsoberhaupt ge¬
richtet war, läßt sich nicht leugnen; ob eine derartige Verbindung daher mit
dem strengen, abstrakten Rechte vereinbar war und sich mit der bestehenden
Reichsverfassung vertrug, ist allerdings zweifelhaft. Doch verlohnt es sich nicht
der Mühe, die vielen dafür und dagegen angeführten Beweisgründe noch einmal
hervorzuheben und zu prüfen. Denn nennenswerte politische Erfolge hat der
Fürstenbund jedenfalls nicht gehabt, und zwar namentlich wegen des baldigen
Todes des großen Königs. Die Bemühungen Karl Augusts von Weimar und
Dalbergs konnten nicht verhindern, daß er sanft entschlief, ohne daß eigentlich
jemals eine förmliche Auflösung desselben erfolgte.

Was aus den: Fürstenbunde geworden wäre, wenn seinem großen Gründer
eine längere Lebenszeit beschieden gewesen wäre, läßt sich gar nicht absehen,
und es ist nicht der Mühe wert, darüber nachzugrübeln; denn wenn Konjektural-
politik für die Gegenwart schon sehr wenig Wert hat, so ist sie für die Ver¬
gangenheit jedenfalls völlig zwecklos. So viel steht fest: bei der Gründung
jenes Bundes beabsichtigte Friedrich nicht eine Sprengung des Reiches, son¬
dern nur eine Einschränkung der Übergriffe Österreichs. Er beabsichtigte nicht,
die Kaiserwürde oder die Kaisermacht an sich und sein Haus zu bringen.
Denn einem so klaren Kopfe, einem so scharfsinnigen Staatsmanne konnte es
nicht, wie etwa den Doktrinären und Phrasenhelden unsers Jahrhunderts, die
durch schöne Reden und glatte Depeschen ein einiges Deutschland auf den Platz
schwatzen wollten, verborgen sein, daß damals Würde oder Macht eines Kaisers
ebensowenig ohne blutige Auseinandersetzung mit Österreich und mindestens
auch noch mit Frankreich errungen und behauptet werden konnte, wie es in
unsern Tagen möglich oder denkbar war, die deutsche Frage ohne Blut und
Eisen zu einem gedeihlichen Ausgange zu führen.

Daß der Fürstenbund die Auflösung des Reiches herbeigeführt habe, ist
sicher unrichtig; es ist sogar höchst fraglich, ob er sie auch nur beschleunigt
hat. Dennoch mußte diesem Bunde hier, wo es sich darum handelt, die Um¬
gestaltung der Verfassung Deutschlands zu schildern, ein etwas größerer Raum
gewidmet werden. Denn es war das erste mal, wo der Gedanke, einen engern
Bund der Staaten Deutschlands, mit Ausschluß Österreichs, unter der Führung
Preußens zu bilden, in greifbarer Form auftauchte, der erste Versuch, das zu
verwirklichen, was Kaiser Wilhelm und sein eiserner Kanzler später so ruhmreich
durchgeführt haben.

Bezeichnend für diesen Bund ist noch der Umstand, daß, ungleich allen
frühern Verbindungen ähnlicher Art in Deutschland, namentlich ungleich dem
Schmalkaldischen Bunde, nach dessen Muster er doch entworfen sein sollte, dabei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/516>, abgerufen am 22.07.2024.