Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.Die Auflösung des alten Reiches. war es, daß auch jegliches Gefühl für diesen erbärmlichen und schmachvollen Deutscher Genius. Ringe, Deutscher, nach römischer Kraft, nach griechischer Schönheit!Beides gelang dir; doch nie glückte der gallische Sprung. Der beste Staat. Woran erkenn' ich den besten Staat? Woran du die besteFrau kennst! Daran, mein Freund, daß man von beiden nicht spricht. Und der "Kunstgreis" Goethe behauptet in vollem Ernste, daß die deutsche Noch weniger freilich ist es zu verwundern, wenn diese demütigen Deutschen, Nicht anders wurden die Deutschen aus dem "Reich" in Österreich an¬ Ja, es war eine geschichtliche Notwendigkeit, daß das alte Reich unterging; Die Auflösung des alten Reiches. war es, daß auch jegliches Gefühl für diesen erbärmlichen und schmachvollen Deutscher Genius. Ringe, Deutscher, nach römischer Kraft, nach griechischer Schönheit!Beides gelang dir; doch nie glückte der gallische Sprung. Der beste Staat. Woran erkenn' ich den besten Staat? Woran du die besteFrau kennst! Daran, mein Freund, daß man von beiden nicht spricht. Und der „Kunstgreis" Goethe behauptet in vollem Ernste, daß die deutsche Noch weniger freilich ist es zu verwundern, wenn diese demütigen Deutschen, Nicht anders wurden die Deutschen aus dem „Reich" in Österreich an¬ Ja, es war eine geschichtliche Notwendigkeit, daß das alte Reich unterging; <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0514" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201943"/> <fw type="header" place="top"> Die Auflösung des alten Reiches.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1324" prev="#ID_1323"> war es, daß auch jegliches Gefühl für diesen erbärmlichen und schmachvollen<lb/> Zustand geschwunden war. Jenes Geschlecht der Deutschen in der zweiten<lb/> Hälfte des vorigen Jahrhunderts schämte sich nicht nur nicht des politischen<lb/> Heruntergekommenseins, fondern fand die jammervolle Zersplitterung, Zerrissenheit<lb/> und Hilflosigkeit unsrer einst so mächtigen, stolzen und selbstbewußten Nation<lb/> ganz naturgemäß und selbstverständlich, ja es war sogar imstande, stolz darauf<lb/> zu sein und dieses Wirrsal und diese Ohnmacht zu preisen. Wieder mögen zum<lb/> Beweise Schiller und Goethe reden:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_111" type="poem"> <head> Deutscher Genius.</head> <l> Ringe, Deutscher, nach römischer Kraft, nach griechischer Schönheit!<lb/> Beides gelang dir; doch nie glückte der gallische Sprung. </l> </lg><lb/> <lg xml:id="POEMID_112" type="poem"> <head> Der beste Staat.</head> <l> Woran erkenn' ich den besten Staat? Woran du die beste<lb/> Frau kennst! Daran, mein Freund, daß man von beiden nicht spricht. </l> </lg><lb/> <p xml:id="ID_1325"> Und der „Kunstgreis" Goethe behauptet in vollem Ernste, daß die deutsche<lb/> Kleinstaaterei zur Verbreitung der Bildung beigetragen habe, eine Behauptung,<lb/> die Tausende und Abertausende, sogar in diesem Jahrhundert noch, gläubig<lb/> und kritiklos dem „Altmeister" nachgesprochen haben. Wenn die hervorragendsten<lb/> Geister jener und jeglicher Zeit solche politische Ansichten mit solcher Naivität<lb/> aussprechen, so kann man sich nicht wundern, wenn der biedere deutsche Bil-<lb/> dungsphilistcr von damals, stolz auf die glänzenden Namen seiner Dichter,<lb/> Philosophen und Gelehrten, den politischen Jammer, in dem er steckte, und dnrch<lb/> den in kurzer Zeit die ganze Nation ihrem völligen Untergange nahe gebracht<lb/> wurde, gar nicht fühlte, sondern sich in dem erhebenden Bewußtsein sonnte, der<lb/> „Nation der Dichter und der Denker" anzugehören.</p><lb/> <p xml:id="ID_1326"> Noch weniger freilich ist es zu verwundern, wenn diese demütigen Deutschen,<lb/> die von ihren Winkelherrschern daran gewöhnt worden waren, noch den Stiefel<lb/> ihres durchlauchtigsten Herrn zu küssen, der ihnen eben einen Fußtritt gegeben<lb/> hatte, im Auslande verhöhnt und verachtet wurden, natürlich immer unter halb<lb/> mitleidiger, halb spöttischer Anerkennung der deutschen Gelehrsamkeit. Uf xrsnW-<lb/> V0U8 xour uns does? war noch nicht viel; aber: No xronW-vous xour un ^Ils-<lb/> M,M«Z? das war ein Kraftausdruck der Franzosen. Der englische Schriftsteller<lb/> Swift kann es durchaus nicht begreifen, daß die meisten Erfindungen von „dem<lb/> stupidesten Volke," nämlich den Deutschen, gemacht worden seien.</p><lb/> <p xml:id="ID_1327"> Nicht anders wurden die Deutschen aus dem „Reich" in Österreich an¬<lb/> gesehen; nicht anders urteilte man in Preußen. Und dem Beispiele der beiden<lb/> Großmächte folgten alle übrigen Staaten Deutschlands, sofern sie auch nur<lb/> einigermaßen Kraft und Selbständigkeit besaßen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1328" next="#ID_1329"> Ja, es war eine geschichtliche Notwendigkeit, daß das alte Reich unterging;<lb/> es war notwendig, daß jenes unpolitische Geschlecht eine harte Schule durch¬<lb/> machte, um sich selbst wiederzufinden, um wieder politisch denken zu lernen. Es</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0514]
Die Auflösung des alten Reiches.
war es, daß auch jegliches Gefühl für diesen erbärmlichen und schmachvollen
Zustand geschwunden war. Jenes Geschlecht der Deutschen in der zweiten
Hälfte des vorigen Jahrhunderts schämte sich nicht nur nicht des politischen
Heruntergekommenseins, fondern fand die jammervolle Zersplitterung, Zerrissenheit
und Hilflosigkeit unsrer einst so mächtigen, stolzen und selbstbewußten Nation
ganz naturgemäß und selbstverständlich, ja es war sogar imstande, stolz darauf
zu sein und dieses Wirrsal und diese Ohnmacht zu preisen. Wieder mögen zum
Beweise Schiller und Goethe reden:
Deutscher Genius. Ringe, Deutscher, nach römischer Kraft, nach griechischer Schönheit!
Beides gelang dir; doch nie glückte der gallische Sprung.
Der beste Staat. Woran erkenn' ich den besten Staat? Woran du die beste
Frau kennst! Daran, mein Freund, daß man von beiden nicht spricht.
Und der „Kunstgreis" Goethe behauptet in vollem Ernste, daß die deutsche
Kleinstaaterei zur Verbreitung der Bildung beigetragen habe, eine Behauptung,
die Tausende und Abertausende, sogar in diesem Jahrhundert noch, gläubig
und kritiklos dem „Altmeister" nachgesprochen haben. Wenn die hervorragendsten
Geister jener und jeglicher Zeit solche politische Ansichten mit solcher Naivität
aussprechen, so kann man sich nicht wundern, wenn der biedere deutsche Bil-
dungsphilistcr von damals, stolz auf die glänzenden Namen seiner Dichter,
Philosophen und Gelehrten, den politischen Jammer, in dem er steckte, und dnrch
den in kurzer Zeit die ganze Nation ihrem völligen Untergange nahe gebracht
wurde, gar nicht fühlte, sondern sich in dem erhebenden Bewußtsein sonnte, der
„Nation der Dichter und der Denker" anzugehören.
Noch weniger freilich ist es zu verwundern, wenn diese demütigen Deutschen,
die von ihren Winkelherrschern daran gewöhnt worden waren, noch den Stiefel
ihres durchlauchtigsten Herrn zu küssen, der ihnen eben einen Fußtritt gegeben
hatte, im Auslande verhöhnt und verachtet wurden, natürlich immer unter halb
mitleidiger, halb spöttischer Anerkennung der deutschen Gelehrsamkeit. Uf xrsnW-
V0U8 xour uns does? war noch nicht viel; aber: No xronW-vous xour un ^Ils-
M,M«Z? das war ein Kraftausdruck der Franzosen. Der englische Schriftsteller
Swift kann es durchaus nicht begreifen, daß die meisten Erfindungen von „dem
stupidesten Volke," nämlich den Deutschen, gemacht worden seien.
Nicht anders wurden die Deutschen aus dem „Reich" in Österreich an¬
gesehen; nicht anders urteilte man in Preußen. Und dem Beispiele der beiden
Großmächte folgten alle übrigen Staaten Deutschlands, sofern sie auch nur
einigermaßen Kraft und Selbständigkeit besaßen.
Ja, es war eine geschichtliche Notwendigkeit, daß das alte Reich unterging;
es war notwendig, daß jenes unpolitische Geschlecht eine harte Schule durch¬
machte, um sich selbst wiederzufinden, um wieder politisch denken zu lernen. Es
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |