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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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viel zu unreif, um durch Vorträge seine Genossen zu fördern und zu begeistern.
Es steht in den "Statuten," daß solche Vorträge gehalten werden sollen, und des¬
halb geschieht es. Da wird aus irgend einer Broschüre etwas vorgelesen
-- denn meistens hat sich der Redner nicht einmal die Mühe gegeben, die
Sache abzuschreiben --, die Zuhörer langweilen sich und wünschen sehnlichst das
Ende herbei, um zum Kartenspiel oder zur Unterhaltung beim Glase Bier über¬
gehen zu können. Wenn also so schöne Sachen den "Keilfüchsen" auf der
Kneipe erzählt werden, so ist das nicht weiter zu verwundern, wenn sie aber
in der Presse aufgetischt werden, so ist das geradezu lächerlich, und es ist
nur anzunehmen, daß man Eltern und Vormündern blauen Dunst vor¬
machen will.

Auch das Kneipenleben ist bei den katholischen Verbindungen nicht anders
als bei andern Vereinigungen. Unser Gewährsmann sagt, es sei "geregelt."
Darunter ist aber doch nichts anders zu verstehen als "offizieller" und "nicht
offizieller" Frühschoppen, "offizielle" und "nicht offizielle" Abendkneipe. Das
ist bei andern Korporationen genau so, und Bier -- nun Bier wird gerade so
viel getrunken, wie anderswo auch.

In der katholischen Verbindung, heißt es weiter, erwirbt man sich
"Manieren," eignet sich ein entsprechendes Auftreten an u. s. w. Da muß
man doch wieder annehmen, daß dieses nur von katholischen Verbindungen gelte.
Das ist aber durchaus unwahr, denn auch andre studentische Körperschaften,
namentlich die Burschenschafter und die Corps, halten aufs strengste darauf,
daß ihre neu aufgenommenen Mitglieder sich feine Umgangsformen aneignen.*)
Eine genauere Untersuchung würde Wohl das Ergebnis haben, daß die Mit¬
glieder dieser sich ausdrücklich katholisch nennenden Verbindungen häufig aus
Gesellschaftskreisen hervorgehen, in welchen feinere Umgangsformen durchaus
nicht heimisch sind. So erklären sich Thatsachen, die ein keineswegs günstiges
Licht auf das Benehmen der katholischen Verbindungen fallen lassen. Es wäre
ungerecht, von dem Betragen einer einzelnen katholischen Verbindung auf alle, oder
von dem Betragen eines einzelnen Mitgliedes auf alle Mitglieder zu schließen.
Wenn aber in öffentlichen Blättern das Benehmen der katholischen Verbin¬
dungsstudenten als ein ganz ideales dargestellt wird, so wird es wohl erlaubt
sein, dem Thatsachen gegenüberzustellen. Ein Mitglied einer solchen Verbindung



5) Gehört dazu vielleicht auch der von früh bis abends aus Studcntcnmund zu hörende
Gruß: "Mahlzeit!" und die wie bei Betrunkenen auf dem Hinterkopfe sitzende Mütze? Viel¬
leicht auch das feierliche Abnehmen der Kopfbedeckung und die ehrfurchtsvollen Verbeugungen,
die die jungen Leute jetzt beim Grüßen auf der Straße vor einander machen und die ältere
Leute, welche vor zwanzig, dreißig Jahren studirt haben, nie ohne Lachen mit ansehen können?
Ein Trost, daß alle diese Geschmacksverirrungen bereits bis in die Tertianerkrcise des Gym¬
nasiums hinab um sich gegriffen haben; darnach darf man wohl hoffen, daß sie in Studenten-
D. Red. kreisen am längsten gedauert haben.

viel zu unreif, um durch Vorträge seine Genossen zu fördern und zu begeistern.
Es steht in den „Statuten," daß solche Vorträge gehalten werden sollen, und des¬
halb geschieht es. Da wird aus irgend einer Broschüre etwas vorgelesen
— denn meistens hat sich der Redner nicht einmal die Mühe gegeben, die
Sache abzuschreiben —, die Zuhörer langweilen sich und wünschen sehnlichst das
Ende herbei, um zum Kartenspiel oder zur Unterhaltung beim Glase Bier über¬
gehen zu können. Wenn also so schöne Sachen den „Keilfüchsen" auf der
Kneipe erzählt werden, so ist das nicht weiter zu verwundern, wenn sie aber
in der Presse aufgetischt werden, so ist das geradezu lächerlich, und es ist
nur anzunehmen, daß man Eltern und Vormündern blauen Dunst vor¬
machen will.

Auch das Kneipenleben ist bei den katholischen Verbindungen nicht anders
als bei andern Vereinigungen. Unser Gewährsmann sagt, es sei „geregelt."
Darunter ist aber doch nichts anders zu verstehen als „offizieller" und „nicht
offizieller" Frühschoppen, „offizielle" und „nicht offizielle" Abendkneipe. Das
ist bei andern Korporationen genau so, und Bier — nun Bier wird gerade so
viel getrunken, wie anderswo auch.

In der katholischen Verbindung, heißt es weiter, erwirbt man sich
„Manieren," eignet sich ein entsprechendes Auftreten an u. s. w. Da muß
man doch wieder annehmen, daß dieses nur von katholischen Verbindungen gelte.
Das ist aber durchaus unwahr, denn auch andre studentische Körperschaften,
namentlich die Burschenschafter und die Corps, halten aufs strengste darauf,
daß ihre neu aufgenommenen Mitglieder sich feine Umgangsformen aneignen.*)
Eine genauere Untersuchung würde Wohl das Ergebnis haben, daß die Mit¬
glieder dieser sich ausdrücklich katholisch nennenden Verbindungen häufig aus
Gesellschaftskreisen hervorgehen, in welchen feinere Umgangsformen durchaus
nicht heimisch sind. So erklären sich Thatsachen, die ein keineswegs günstiges
Licht auf das Benehmen der katholischen Verbindungen fallen lassen. Es wäre
ungerecht, von dem Betragen einer einzelnen katholischen Verbindung auf alle, oder
von dem Betragen eines einzelnen Mitgliedes auf alle Mitglieder zu schließen.
Wenn aber in öffentlichen Blättern das Benehmen der katholischen Verbin¬
dungsstudenten als ein ganz ideales dargestellt wird, so wird es wohl erlaubt
sein, dem Thatsachen gegenüberzustellen. Ein Mitglied einer solchen Verbindung



5) Gehört dazu vielleicht auch der von früh bis abends aus Studcntcnmund zu hörende
Gruß: „Mahlzeit!" und die wie bei Betrunkenen auf dem Hinterkopfe sitzende Mütze? Viel¬
leicht auch das feierliche Abnehmen der Kopfbedeckung und die ehrfurchtsvollen Verbeugungen,
die die jungen Leute jetzt beim Grüßen auf der Straße vor einander machen und die ältere
Leute, welche vor zwanzig, dreißig Jahren studirt haben, nie ohne Lachen mit ansehen können?
Ein Trost, daß alle diese Geschmacksverirrungen bereits bis in die Tertianerkrcise des Gym¬
nasiums hinab um sich gegriffen haben; darnach darf man wohl hoffen, daß sie in Studenten-
D. Red. kreisen am längsten gedauert haben.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/474>, abgerufen am 22.06.2024.