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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Gevatter Tod.

Vergnügen, die Mutter auf den Friedhof zu begleiten, und den Tod und den
Vater zu besuchen.

Jeden Abend, wenn der alte Jens oben im Kirchturm war und die
Glocken klangen:

Kling klang!
Der Tag ist "erglommen.
Kling klang!
Der Tod wird kommen

-- denn so hatte der alte Jens sie klingen gelehrt -- dann pflegte Tippe da¬
zusitzen auf einem Grabe und mit den Beinchen zu malen und zu sehen, wie
sich die Finsternis über den Friedhof lagerte, und wie schattenhafte Gestalten
zwischen den Gräbern hin und her huschten, bis sein Herz doppelt so schnell
pochte wie gewöhnlich. Und in diesem Herzklopfen lag ein Geheimnis, das ge¬
hörte zu Tippes größten Schätzen, und für nichts in der Welt hätte er es
missen mögen. Und wenn sie dann auf dem Heimwege andern Kindern be¬
gegneten, dann fühlte er mit dankbarer Freude, wie viel er vor ihnen voraus
hatte, denn sie wagten sich weder ins Dunkel hinaus, noch in die Nähe des
Todes oder des alten Jens, sie liefen fort vor den dreien, so schnell sie konnten,
und schlössen am liebsten ihre Augen, wenn sie ihnen einmal begegneten.

Und das ist vernünftig, sagten die klugen Leute, der Tod ist nicht dazu
da, daß man ihn anstarren und wirr im Kopfe davon werden soll, das ist schon
nichts für große Leute, geschweige denn für Kinder.

Er wird ganz wie sein Vater! sagten sie von Tippe und schüttelten be¬
denklich die Köpfe. Er ist ein hübscher, kleiner Junge, aber er hat zu viel mit
dem Tode zu schaffen. Ihr werdet sehen, das geht nimmer gut, und es währt
nicht lange, so liegt er auch da. Wir haben es längst gesagt!

Vorläufig schien es nun freilich, als ob Leben in dem kleinen Burschen sei
und Mut, es mit der Welt aufzunehmen. Aber im übrigen ähnelte er seinem
Vater sehr, besonders in seiner Art und Weise, zu sprechen, und der Schul¬
meister steckte schon in ihm, als er noch in der Wiege lag.

Der Totengräber Jens konnte das merken. So alt er mich war, mußte
er doch wieder in die Schule und ganz von vorn anfangen, und Tippe fühlte
sich in feiner Stellung als Lehrer keinen Augenblick unsicher.

(Fortsetzung folgt.)






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnvw in Leipzig.
Verlag van Fr. Will,. Grnnvw in Leipzig. -- Druck on>n Carl Marquart in Leipzig.
Gevatter Tod.

Vergnügen, die Mutter auf den Friedhof zu begleiten, und den Tod und den
Vater zu besuchen.

Jeden Abend, wenn der alte Jens oben im Kirchturm war und die
Glocken klangen:

Kling klang!
Der Tag ist »erglommen.
Kling klang!
Der Tod wird kommen

— denn so hatte der alte Jens sie klingen gelehrt — dann pflegte Tippe da¬
zusitzen auf einem Grabe und mit den Beinchen zu malen und zu sehen, wie
sich die Finsternis über den Friedhof lagerte, und wie schattenhafte Gestalten
zwischen den Gräbern hin und her huschten, bis sein Herz doppelt so schnell
pochte wie gewöhnlich. Und in diesem Herzklopfen lag ein Geheimnis, das ge¬
hörte zu Tippes größten Schätzen, und für nichts in der Welt hätte er es
missen mögen. Und wenn sie dann auf dem Heimwege andern Kindern be¬
gegneten, dann fühlte er mit dankbarer Freude, wie viel er vor ihnen voraus
hatte, denn sie wagten sich weder ins Dunkel hinaus, noch in die Nähe des
Todes oder des alten Jens, sie liefen fort vor den dreien, so schnell sie konnten,
und schlössen am liebsten ihre Augen, wenn sie ihnen einmal begegneten.

Und das ist vernünftig, sagten die klugen Leute, der Tod ist nicht dazu
da, daß man ihn anstarren und wirr im Kopfe davon werden soll, das ist schon
nichts für große Leute, geschweige denn für Kinder.

Er wird ganz wie sein Vater! sagten sie von Tippe und schüttelten be¬
denklich die Köpfe. Er ist ein hübscher, kleiner Junge, aber er hat zu viel mit
dem Tode zu schaffen. Ihr werdet sehen, das geht nimmer gut, und es währt
nicht lange, so liegt er auch da. Wir haben es längst gesagt!

Vorläufig schien es nun freilich, als ob Leben in dem kleinen Burschen sei
und Mut, es mit der Welt aufzunehmen. Aber im übrigen ähnelte er seinem
Vater sehr, besonders in seiner Art und Weise, zu sprechen, und der Schul¬
meister steckte schon in ihm, als er noch in der Wiege lag.

Der Totengräber Jens konnte das merken. So alt er mich war, mußte
er doch wieder in die Schule und ganz von vorn anfangen, und Tippe fühlte
sich in feiner Stellung als Lehrer keinen Augenblick unsicher.

(Fortsetzung folgt.)






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnvw in Leipzig.
Verlag van Fr. Will,. Grnnvw in Leipzig. — Druck on>n Carl Marquart in Leipzig.
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[0464] Gevatter Tod. Vergnügen, die Mutter auf den Friedhof zu begleiten, und den Tod und den Vater zu besuchen. Jeden Abend, wenn der alte Jens oben im Kirchturm war und die Glocken klangen: Kling klang! Der Tag ist »erglommen. Kling klang! Der Tod wird kommen — denn so hatte der alte Jens sie klingen gelehrt — dann pflegte Tippe da¬ zusitzen auf einem Grabe und mit den Beinchen zu malen und zu sehen, wie sich die Finsternis über den Friedhof lagerte, und wie schattenhafte Gestalten zwischen den Gräbern hin und her huschten, bis sein Herz doppelt so schnell pochte wie gewöhnlich. Und in diesem Herzklopfen lag ein Geheimnis, das ge¬ hörte zu Tippes größten Schätzen, und für nichts in der Welt hätte er es missen mögen. Und wenn sie dann auf dem Heimwege andern Kindern be¬ gegneten, dann fühlte er mit dankbarer Freude, wie viel er vor ihnen voraus hatte, denn sie wagten sich weder ins Dunkel hinaus, noch in die Nähe des Todes oder des alten Jens, sie liefen fort vor den dreien, so schnell sie konnten, und schlössen am liebsten ihre Augen, wenn sie ihnen einmal begegneten. Und das ist vernünftig, sagten die klugen Leute, der Tod ist nicht dazu da, daß man ihn anstarren und wirr im Kopfe davon werden soll, das ist schon nichts für große Leute, geschweige denn für Kinder. Er wird ganz wie sein Vater! sagten sie von Tippe und schüttelten be¬ denklich die Köpfe. Er ist ein hübscher, kleiner Junge, aber er hat zu viel mit dem Tode zu schaffen. Ihr werdet sehen, das geht nimmer gut, und es währt nicht lange, so liegt er auch da. Wir haben es längst gesagt! Vorläufig schien es nun freilich, als ob Leben in dem kleinen Burschen sei und Mut, es mit der Welt aufzunehmen. Aber im übrigen ähnelte er seinem Vater sehr, besonders in seiner Art und Weise, zu sprechen, und der Schul¬ meister steckte schon in ihm, als er noch in der Wiege lag. Der Totengräber Jens konnte das merken. So alt er mich war, mußte er doch wieder in die Schule und ganz von vorn anfangen, und Tippe fühlte sich in feiner Stellung als Lehrer keinen Augenblick unsicher. (Fortsetzung folgt.) Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnvw in Leipzig. Verlag van Fr. Will,. Grnnvw in Leipzig. — Druck on>n Carl Marquart in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/464>, abgerufen am 29.06.2024.