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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Eine Fahrt in den Grient.

mit der von tun Schlosse des Tiberius auf Capri oder von dem Epomeo in
Ischia zuläßt. Es war die Zeit des Sonnenunterganges, und wir langten gerade
zur rechten Zeit an, um das Sinken der goldenen Kugel in das Meer an¬
zuschauen. Bald hatte sich der Himmel mit glänzenden Farben bedeckt. Die
Insel erstreckt sich hier mit einer langen Zunge in das Meer, welches sie gleichsam
in zwei Hälften teilt; während um die eine im vollen Abendglanze strahlte,
verdunkelte sich allmählich die andre, indem sie nur die hellen Strahlen und
Farben der ersteren in schwachem Abbild wiedergab. Die Berge mit ihren eigen¬
tümlichen Formen traten plastischer hervor und nahmen Färbungen an, welche
bald alle Schattirnngen von Blau und Lila zeigten, bis sich endlich nach wenigen
Minuten der ganze Horizont in einen duftigen Schleier hüllte, der sich bald
zu voller Dunkelheit entwickelte.

Doch für uus hätte es noch keine Rast gegeben, wenn wir nicht die Gastfreund¬
schaft des halb verfallenen Klosters in Anspruch genommen hätten. Unser Freund
aber wollte durchaus die Kirche besuchen; hatte er doch von der Tochter der Sclmsf-
nerin, die uns feurigen Jnselwcin und Eselswurst spendete, von einem wunder¬
thätigen Bilde erfahren, welches den Ledigen das Heiraten prophezeit, wenn es ein
Geldstück nicht fallen läßt, das man ihm auf das Antlitz drückt. Er ließ sich hinein¬
führen, wollte aber durchaus nicht erzählen, welches Orakel ihm geworden war.
Der Herabritt war trotz der völligen Dunkelheit erquickend, denn die Luft war
mild, und wir freuten uns, daß wir noch am ersten Oktober unsre Mahlzeit unter
freiem Himmel einnehmen konnten.

Am andern Morgen waren wir schon früh auf, um auch den Aufgang der
Sonne zu genießen, allein kaum waren wir zum Aufstieg gerüstet, als plötzlich
ein orkanartiges Gewitter losbrach, wie es nur in diesen Gegenden sein kann,
wo alle Naturerscheinungen im Guten und im Bösen mit Macht auftreten. So
waren wir um unsre Erwartungen getäuscht, und damit wir es nicht ganz ver¬
gäßen, daß wir im Orient wären, hatten sich auch bei einzelnen Genossen während
der Nacht jene unangenehmen Geister eingestellt, deren Hilfe Mephistopheles,
um sich aus Fausts Zimmer zurückzuziehen, mit so vielem Erfolg anruft. Unter
diesen Umständen fanden wir es am geratensten, das nächste Schiff zu besteigen
und nach Pera zurückzufahren.

Der Himmel war uns zwar wieder günstiger, als wir den Boden Galatas
betraten, allein für einen größern Ausflug tränken wir dem Wolkensammler
Zeus nicht mehr, sondern benutzten die Gelegenheit, statt in die Ferne zu
schweifen, uns in der Nähe umzusehen. Wir schlenderten durch die dichtbelebten,
engen und schmutzigen Straßen Galatas, wo Laden an Laden stößt, und noch
zum Überfluß auf der Straße Verkäufer von allerlei Eß- und Trinkwaaren
ihre herumziehenden Magazine aufgeschlagen hatten. Wir gerieten aber auch
in eine Gegend, welche der Schlupfwinkel des Abschaums der Erde ist und
nicht nur in den Spelunken, sondern auch auf der Straße felbst in voller


Eine Fahrt in den Grient.

mit der von tun Schlosse des Tiberius auf Capri oder von dem Epomeo in
Ischia zuläßt. Es war die Zeit des Sonnenunterganges, und wir langten gerade
zur rechten Zeit an, um das Sinken der goldenen Kugel in das Meer an¬
zuschauen. Bald hatte sich der Himmel mit glänzenden Farben bedeckt. Die
Insel erstreckt sich hier mit einer langen Zunge in das Meer, welches sie gleichsam
in zwei Hälften teilt; während um die eine im vollen Abendglanze strahlte,
verdunkelte sich allmählich die andre, indem sie nur die hellen Strahlen und
Farben der ersteren in schwachem Abbild wiedergab. Die Berge mit ihren eigen¬
tümlichen Formen traten plastischer hervor und nahmen Färbungen an, welche
bald alle Schattirnngen von Blau und Lila zeigten, bis sich endlich nach wenigen
Minuten der ganze Horizont in einen duftigen Schleier hüllte, der sich bald
zu voller Dunkelheit entwickelte.

Doch für uus hätte es noch keine Rast gegeben, wenn wir nicht die Gastfreund¬
schaft des halb verfallenen Klosters in Anspruch genommen hätten. Unser Freund
aber wollte durchaus die Kirche besuchen; hatte er doch von der Tochter der Sclmsf-
nerin, die uns feurigen Jnselwcin und Eselswurst spendete, von einem wunder¬
thätigen Bilde erfahren, welches den Ledigen das Heiraten prophezeit, wenn es ein
Geldstück nicht fallen läßt, das man ihm auf das Antlitz drückt. Er ließ sich hinein¬
führen, wollte aber durchaus nicht erzählen, welches Orakel ihm geworden war.
Der Herabritt war trotz der völligen Dunkelheit erquickend, denn die Luft war
mild, und wir freuten uns, daß wir noch am ersten Oktober unsre Mahlzeit unter
freiem Himmel einnehmen konnten.

Am andern Morgen waren wir schon früh auf, um auch den Aufgang der
Sonne zu genießen, allein kaum waren wir zum Aufstieg gerüstet, als plötzlich
ein orkanartiges Gewitter losbrach, wie es nur in diesen Gegenden sein kann,
wo alle Naturerscheinungen im Guten und im Bösen mit Macht auftreten. So
waren wir um unsre Erwartungen getäuscht, und damit wir es nicht ganz ver¬
gäßen, daß wir im Orient wären, hatten sich auch bei einzelnen Genossen während
der Nacht jene unangenehmen Geister eingestellt, deren Hilfe Mephistopheles,
um sich aus Fausts Zimmer zurückzuziehen, mit so vielem Erfolg anruft. Unter
diesen Umständen fanden wir es am geratensten, das nächste Schiff zu besteigen
und nach Pera zurückzufahren.

Der Himmel war uns zwar wieder günstiger, als wir den Boden Galatas
betraten, allein für einen größern Ausflug tränken wir dem Wolkensammler
Zeus nicht mehr, sondern benutzten die Gelegenheit, statt in die Ferne zu
schweifen, uns in der Nähe umzusehen. Wir schlenderten durch die dichtbelebten,
engen und schmutzigen Straßen Galatas, wo Laden an Laden stößt, und noch
zum Überfluß auf der Straße Verkäufer von allerlei Eß- und Trinkwaaren
ihre herumziehenden Magazine aufgeschlagen hatten. Wir gerieten aber auch
in eine Gegend, welche der Schlupfwinkel des Abschaums der Erde ist und
nicht nur in den Spelunken, sondern auch auf der Straße felbst in voller


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[0444] Eine Fahrt in den Grient. mit der von tun Schlosse des Tiberius auf Capri oder von dem Epomeo in Ischia zuläßt. Es war die Zeit des Sonnenunterganges, und wir langten gerade zur rechten Zeit an, um das Sinken der goldenen Kugel in das Meer an¬ zuschauen. Bald hatte sich der Himmel mit glänzenden Farben bedeckt. Die Insel erstreckt sich hier mit einer langen Zunge in das Meer, welches sie gleichsam in zwei Hälften teilt; während um die eine im vollen Abendglanze strahlte, verdunkelte sich allmählich die andre, indem sie nur die hellen Strahlen und Farben der ersteren in schwachem Abbild wiedergab. Die Berge mit ihren eigen¬ tümlichen Formen traten plastischer hervor und nahmen Färbungen an, welche bald alle Schattirnngen von Blau und Lila zeigten, bis sich endlich nach wenigen Minuten der ganze Horizont in einen duftigen Schleier hüllte, der sich bald zu voller Dunkelheit entwickelte. Doch für uus hätte es noch keine Rast gegeben, wenn wir nicht die Gastfreund¬ schaft des halb verfallenen Klosters in Anspruch genommen hätten. Unser Freund aber wollte durchaus die Kirche besuchen; hatte er doch von der Tochter der Sclmsf- nerin, die uns feurigen Jnselwcin und Eselswurst spendete, von einem wunder¬ thätigen Bilde erfahren, welches den Ledigen das Heiraten prophezeit, wenn es ein Geldstück nicht fallen läßt, das man ihm auf das Antlitz drückt. Er ließ sich hinein¬ führen, wollte aber durchaus nicht erzählen, welches Orakel ihm geworden war. Der Herabritt war trotz der völligen Dunkelheit erquickend, denn die Luft war mild, und wir freuten uns, daß wir noch am ersten Oktober unsre Mahlzeit unter freiem Himmel einnehmen konnten. Am andern Morgen waren wir schon früh auf, um auch den Aufgang der Sonne zu genießen, allein kaum waren wir zum Aufstieg gerüstet, als plötzlich ein orkanartiges Gewitter losbrach, wie es nur in diesen Gegenden sein kann, wo alle Naturerscheinungen im Guten und im Bösen mit Macht auftreten. So waren wir um unsre Erwartungen getäuscht, und damit wir es nicht ganz ver¬ gäßen, daß wir im Orient wären, hatten sich auch bei einzelnen Genossen während der Nacht jene unangenehmen Geister eingestellt, deren Hilfe Mephistopheles, um sich aus Fausts Zimmer zurückzuziehen, mit so vielem Erfolg anruft. Unter diesen Umständen fanden wir es am geratensten, das nächste Schiff zu besteigen und nach Pera zurückzufahren. Der Himmel war uns zwar wieder günstiger, als wir den Boden Galatas betraten, allein für einen größern Ausflug tränken wir dem Wolkensammler Zeus nicht mehr, sondern benutzten die Gelegenheit, statt in die Ferne zu schweifen, uns in der Nähe umzusehen. Wir schlenderten durch die dichtbelebten, engen und schmutzigen Straßen Galatas, wo Laden an Laden stößt, und noch zum Überfluß auf der Straße Verkäufer von allerlei Eß- und Trinkwaaren ihre herumziehenden Magazine aufgeschlagen hatten. Wir gerieten aber auch in eine Gegend, welche der Schlupfwinkel des Abschaums der Erde ist und nicht nur in den Spelunken, sondern auch auf der Straße felbst in voller

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/444>, abgerufen am 01.07.2024.