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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Eine Fahrt in den Grient.

Sultanstochter mit diesem Turm verknüpft, der deshalb bei ihnen der "Mädchen¬
turm" (Kyskullessi) heißt. Eine Prinzessin war hier von ihrem Vater, um sie
gegen einen frühzeitigen, dnrch Schlangenbiß prophezeiten Tod zu schützen, ab¬
gesperrt worden, aber die Liebe wie die Schlange hatten auch über das Meer
ihren Weg gefunden, und das türkische Märchen schließt versöhnlicher mit der
Vereinigung der Liebenden ab. Bei diesem Turme ging es vorüber in das
Marmarameer, dessen hellblaue Wellen von den dunkleren Wogen des Bosporus
sich glänzend abheben. Das Meer war bewegt und die Luft kühl, aber die Götter
waren uns günstig, waren es doch Griecheninseln, auf die wir zusteuerten. Welch
wechselvolles Leben sich auf ihnen im Altertume abspielte, an das noch die
Namen zweier von ihnen, Chalki und Antigoni, erinnern, das mag der glücklichern
Forschung desjenigen überlassen bleiben, dem es beschieden ist, einst, wie Lord
Bulwer es gethan, auf einer dieser Inseln sich ganz in die Vergangenheit zu
versenken. Aber auch wer nur bei der byzantinischen Geschichte Halt macht,
wird hier reichen Stoff für geschichtliche Forschung und romantische Dichtung
finden; führen doch einige den Namen der Inseln auf die griechischen Prin¬
zessinnen hin, welche hier nur allzuoft ihre Einmischung in Staatsgeschüfte
mit Verbannung zu büßen hatten, und gerade Prinkipo, das Ziel unsrer Fahrt,
war durch einen so erzwungenen Aufenthalt besonders ausgezeichnet. Hierher
war die kraftvolle, an Lastern wie an Vorzügen des Geistes und Körpers gleich
hervorragende Kaiserin Irene, die Zeitgenossin von Harun al Raschid und Karl
dem Großen, die sogar daran dachte, durch eine Verbindung mit letzterem das
morgenländische Reich mit dem Abendlande wieder zu vereinigen, von ihrem sieg¬
reichen Gegner Nikephoros verbannt worden. Sie hatte, um sich selbst die
Herrschaft zu sichern, ihren Sohn Konstantin einkerkern und blenden lassen, wird
aber demungeachtet von der orthodoxen Kirche als Heilige verehrt, weil auf
ihr Anstiften ein Konzil von Nicüa den lange unterdrückten Bilderdienst in der
Kirche wieder herstellen ließ. Glücklicher als sie war eine spätere Kaiserin, Zoe,
welche die Verbannung wieder mit dem Throne vertauschen konnte. Die Byzan¬
tiner hatten die Inseln, welche im Altertum Volksinseln hießen, Pfaffcninseln
(Papadonissi) genannt, und hatten genügenden Anlaß hierzu, denn allein auf
Prinkipo, wo auch Se. Seligkeit (Beatitudo) der griechische Patriarch die Sommer¬
residenz besitzt, befinden sich drei Klöster, von denen das dem heiligen Georg
geweihte und auf der höchsten Felsspitze der Insel gelegene das Ziel unsrer
profanen Wallfahrt war. Diese ging nun keineswegs nach Büßerart zu Fuß
vor sich, vielmehr bestiegen wir gleich nach der Landung Pferde, und so zogen
wir durch Olivenpflanzungen und Gärten die steile Straße hinauf. Zur Linken
behielt der Blick stets das Meer mit seinen Inseln.

Die Mönche des Agios Georgios haben sich einen herrlichen Platz für ihre
Ansiedelung auserwählt; die Spitze gewährt eine Aussicht, die vielleicht als die
schönste am Bosporus bezeichnet werden kann und höchstens einen Vergleich


Eine Fahrt in den Grient.

Sultanstochter mit diesem Turm verknüpft, der deshalb bei ihnen der „Mädchen¬
turm" (Kyskullessi) heißt. Eine Prinzessin war hier von ihrem Vater, um sie
gegen einen frühzeitigen, dnrch Schlangenbiß prophezeiten Tod zu schützen, ab¬
gesperrt worden, aber die Liebe wie die Schlange hatten auch über das Meer
ihren Weg gefunden, und das türkische Märchen schließt versöhnlicher mit der
Vereinigung der Liebenden ab. Bei diesem Turme ging es vorüber in das
Marmarameer, dessen hellblaue Wellen von den dunkleren Wogen des Bosporus
sich glänzend abheben. Das Meer war bewegt und die Luft kühl, aber die Götter
waren uns günstig, waren es doch Griecheninseln, auf die wir zusteuerten. Welch
wechselvolles Leben sich auf ihnen im Altertume abspielte, an das noch die
Namen zweier von ihnen, Chalki und Antigoni, erinnern, das mag der glücklichern
Forschung desjenigen überlassen bleiben, dem es beschieden ist, einst, wie Lord
Bulwer es gethan, auf einer dieser Inseln sich ganz in die Vergangenheit zu
versenken. Aber auch wer nur bei der byzantinischen Geschichte Halt macht,
wird hier reichen Stoff für geschichtliche Forschung und romantische Dichtung
finden; führen doch einige den Namen der Inseln auf die griechischen Prin¬
zessinnen hin, welche hier nur allzuoft ihre Einmischung in Staatsgeschüfte
mit Verbannung zu büßen hatten, und gerade Prinkipo, das Ziel unsrer Fahrt,
war durch einen so erzwungenen Aufenthalt besonders ausgezeichnet. Hierher
war die kraftvolle, an Lastern wie an Vorzügen des Geistes und Körpers gleich
hervorragende Kaiserin Irene, die Zeitgenossin von Harun al Raschid und Karl
dem Großen, die sogar daran dachte, durch eine Verbindung mit letzterem das
morgenländische Reich mit dem Abendlande wieder zu vereinigen, von ihrem sieg¬
reichen Gegner Nikephoros verbannt worden. Sie hatte, um sich selbst die
Herrschaft zu sichern, ihren Sohn Konstantin einkerkern und blenden lassen, wird
aber demungeachtet von der orthodoxen Kirche als Heilige verehrt, weil auf
ihr Anstiften ein Konzil von Nicüa den lange unterdrückten Bilderdienst in der
Kirche wieder herstellen ließ. Glücklicher als sie war eine spätere Kaiserin, Zoe,
welche die Verbannung wieder mit dem Throne vertauschen konnte. Die Byzan¬
tiner hatten die Inseln, welche im Altertum Volksinseln hießen, Pfaffcninseln
(Papadonissi) genannt, und hatten genügenden Anlaß hierzu, denn allein auf
Prinkipo, wo auch Se. Seligkeit (Beatitudo) der griechische Patriarch die Sommer¬
residenz besitzt, befinden sich drei Klöster, von denen das dem heiligen Georg
geweihte und auf der höchsten Felsspitze der Insel gelegene das Ziel unsrer
profanen Wallfahrt war. Diese ging nun keineswegs nach Büßerart zu Fuß
vor sich, vielmehr bestiegen wir gleich nach der Landung Pferde, und so zogen
wir durch Olivenpflanzungen und Gärten die steile Straße hinauf. Zur Linken
behielt der Blick stets das Meer mit seinen Inseln.

Die Mönche des Agios Georgios haben sich einen herrlichen Platz für ihre
Ansiedelung auserwählt; die Spitze gewährt eine Aussicht, die vielleicht als die
schönste am Bosporus bezeichnet werden kann und höchstens einen Vergleich


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[0443] Eine Fahrt in den Grient. Sultanstochter mit diesem Turm verknüpft, der deshalb bei ihnen der „Mädchen¬ turm" (Kyskullessi) heißt. Eine Prinzessin war hier von ihrem Vater, um sie gegen einen frühzeitigen, dnrch Schlangenbiß prophezeiten Tod zu schützen, ab¬ gesperrt worden, aber die Liebe wie die Schlange hatten auch über das Meer ihren Weg gefunden, und das türkische Märchen schließt versöhnlicher mit der Vereinigung der Liebenden ab. Bei diesem Turme ging es vorüber in das Marmarameer, dessen hellblaue Wellen von den dunkleren Wogen des Bosporus sich glänzend abheben. Das Meer war bewegt und die Luft kühl, aber die Götter waren uns günstig, waren es doch Griecheninseln, auf die wir zusteuerten. Welch wechselvolles Leben sich auf ihnen im Altertume abspielte, an das noch die Namen zweier von ihnen, Chalki und Antigoni, erinnern, das mag der glücklichern Forschung desjenigen überlassen bleiben, dem es beschieden ist, einst, wie Lord Bulwer es gethan, auf einer dieser Inseln sich ganz in die Vergangenheit zu versenken. Aber auch wer nur bei der byzantinischen Geschichte Halt macht, wird hier reichen Stoff für geschichtliche Forschung und romantische Dichtung finden; führen doch einige den Namen der Inseln auf die griechischen Prin¬ zessinnen hin, welche hier nur allzuoft ihre Einmischung in Staatsgeschüfte mit Verbannung zu büßen hatten, und gerade Prinkipo, das Ziel unsrer Fahrt, war durch einen so erzwungenen Aufenthalt besonders ausgezeichnet. Hierher war die kraftvolle, an Lastern wie an Vorzügen des Geistes und Körpers gleich hervorragende Kaiserin Irene, die Zeitgenossin von Harun al Raschid und Karl dem Großen, die sogar daran dachte, durch eine Verbindung mit letzterem das morgenländische Reich mit dem Abendlande wieder zu vereinigen, von ihrem sieg¬ reichen Gegner Nikephoros verbannt worden. Sie hatte, um sich selbst die Herrschaft zu sichern, ihren Sohn Konstantin einkerkern und blenden lassen, wird aber demungeachtet von der orthodoxen Kirche als Heilige verehrt, weil auf ihr Anstiften ein Konzil von Nicüa den lange unterdrückten Bilderdienst in der Kirche wieder herstellen ließ. Glücklicher als sie war eine spätere Kaiserin, Zoe, welche die Verbannung wieder mit dem Throne vertauschen konnte. Die Byzan¬ tiner hatten die Inseln, welche im Altertum Volksinseln hießen, Pfaffcninseln (Papadonissi) genannt, und hatten genügenden Anlaß hierzu, denn allein auf Prinkipo, wo auch Se. Seligkeit (Beatitudo) der griechische Patriarch die Sommer¬ residenz besitzt, befinden sich drei Klöster, von denen das dem heiligen Georg geweihte und auf der höchsten Felsspitze der Insel gelegene das Ziel unsrer profanen Wallfahrt war. Diese ging nun keineswegs nach Büßerart zu Fuß vor sich, vielmehr bestiegen wir gleich nach der Landung Pferde, und so zogen wir durch Olivenpflanzungen und Gärten die steile Straße hinauf. Zur Linken behielt der Blick stets das Meer mit seinen Inseln. Die Mönche des Agios Georgios haben sich einen herrlichen Platz für ihre Ansiedelung auserwählt; die Spitze gewährt eine Aussicht, die vielleicht als die schönste am Bosporus bezeichnet werden kann und höchstens einen Vergleich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/443>, abgerufen am 29.06.2024.