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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Hegel in seinen Briefen.

nur komisch zu nehmen habe, in Verruf zu bringen. Allein Schelling wußte
sehr wohl, was es mit dem Wcichselzopfe auf sich hatte, und die freilich von
dieser Seite am leichtesten "anzugreifende" Lehre des Philosophen, den (nach
der bekannten Anekdote von seinein Sterbebette) "nur einer seiner Schüler ver¬
standen hat -- und auch der nicht richtig," war seinem gerade in dieser Hinsicht
so genialen, durchdringenden Blicke wohl am wenigsten schwer zu deuten. Wie
er in jenem Absagebriefe an Hegel gleichsam im philosophischen Hausrock, in
dem man unter sich ist und die Dinge bei ihrem rechten Namen nennt, ihm
gleich so treffend das Wort, worauf es ankommt, an den Kopf schleudert, das
wohlgemerkt in jenem ersten Werke, der "Phänomenologie," äußerlich noch
durchaus nicht die spätere Rolle spielt und an dem doch schon damals die ganze
Hegelsche Philosophie hängt: nämlich das Wort "Begriff" -- das ist in so
hervorragender Weise, man darf zugleich sagen so entzückend Schellingisch, daß
man ihm ob dieser letzten Offenbarung beider Seiten seiner eigentümlichen gött¬
lichen Deutlichkeit fast nachsehen möchte, wie ihm von nun an die eine, die
hauptsächliche, nämlich die wissenschaftliche, so ganz abhanden kommt und nur
die andre, die persönliche, sich immer gewaltiger entwickelt. Einen ganzen Band
philosophischer Geschichte enthält dieser Brief. Es scheint eigentlich viel zu wenig
beachtet, wie die ganze Weiterentwicklung der Schellingschcn Philosophie nun
auf Schritt und Tritt den Gegensatz gegen Hegel an der Stirn trägt. Es
kann dies auch nirgends so scharf hervortreten, als hier in dem für den letzten
Teil der Hegelschen Briefe so charakteristischen Kampfe um Cousin, um den für
die Wcltwirkuug einer Philosophie damals so wichtigen Franzosen. Die beiden
philosophischen Messiasse wußten sehr wohl, was sie an diesem Apostel besaßen,
und der Apostel wußte es vor allem selbst. Den aufsässigen Schelling läßt er
es damals recht deutlich fühlen, daß Paris die Welt sei. Hegel siegte auch
hier, er war überall der unfehlbar sichere Berechner, als den er sich schon in
der Wahl des Gruudthemas seines Systems zeigt, der Diplomat unter den
Philosophen, der würdige metaphysische Zeitgenosse Tallehrands und Metternichs,
Aber er gleicht ihnen auch darin, daß seine Wirkungen mit ihren Mitteln und,
da dieselben durchaus zeitliche siud, schließlich mit seiner Persönlichkeit aufhören,
daß sie nichts in sich selbst Beruhendes haben, nicht auf das Ewige gebaut
sind, ja diesem bewußt entgegentreten. Es giebt fundamentale und tendenziöse
Philosophie", Hegel ist Wohl der bedeutendste, zugleich der einflußreichste unter
den Vertretern der letzteren. Darum fiel aber auch sein System, wie jene
diplomatischen, mit der Zeit zusammen, die es getragen hatte, leicht wie ein
Kartenhaus. Hegel starb aber auch zur rechten Zeit, wie er zur rechten Zeit
gelebt hatte, ein Glück, das nicht immer solchen Naturen wird; fast wäre man
versucht, es mit den berührten Eigenschaften dieser besondern in Verbindung zu
bringen, wenn nicht -- trotz Goethe -- an dieser Grenze Berechnung und
Diplomatie aufhörten. So aber blieb immerhin die gewaltige Autorität seine?


Hegel in seinen Briefen.

nur komisch zu nehmen habe, in Verruf zu bringen. Allein Schelling wußte
sehr wohl, was es mit dem Wcichselzopfe auf sich hatte, und die freilich von
dieser Seite am leichtesten „anzugreifende" Lehre des Philosophen, den (nach
der bekannten Anekdote von seinein Sterbebette) „nur einer seiner Schüler ver¬
standen hat — und auch der nicht richtig," war seinem gerade in dieser Hinsicht
so genialen, durchdringenden Blicke wohl am wenigsten schwer zu deuten. Wie
er in jenem Absagebriefe an Hegel gleichsam im philosophischen Hausrock, in
dem man unter sich ist und die Dinge bei ihrem rechten Namen nennt, ihm
gleich so treffend das Wort, worauf es ankommt, an den Kopf schleudert, das
wohlgemerkt in jenem ersten Werke, der „Phänomenologie," äußerlich noch
durchaus nicht die spätere Rolle spielt und an dem doch schon damals die ganze
Hegelsche Philosophie hängt: nämlich das Wort „Begriff" — das ist in so
hervorragender Weise, man darf zugleich sagen so entzückend Schellingisch, daß
man ihm ob dieser letzten Offenbarung beider Seiten seiner eigentümlichen gött¬
lichen Deutlichkeit fast nachsehen möchte, wie ihm von nun an die eine, die
hauptsächliche, nämlich die wissenschaftliche, so ganz abhanden kommt und nur
die andre, die persönliche, sich immer gewaltiger entwickelt. Einen ganzen Band
philosophischer Geschichte enthält dieser Brief. Es scheint eigentlich viel zu wenig
beachtet, wie die ganze Weiterentwicklung der Schellingschcn Philosophie nun
auf Schritt und Tritt den Gegensatz gegen Hegel an der Stirn trägt. Es
kann dies auch nirgends so scharf hervortreten, als hier in dem für den letzten
Teil der Hegelschen Briefe so charakteristischen Kampfe um Cousin, um den für
die Wcltwirkuug einer Philosophie damals so wichtigen Franzosen. Die beiden
philosophischen Messiasse wußten sehr wohl, was sie an diesem Apostel besaßen,
und der Apostel wußte es vor allem selbst. Den aufsässigen Schelling läßt er
es damals recht deutlich fühlen, daß Paris die Welt sei. Hegel siegte auch
hier, er war überall der unfehlbar sichere Berechner, als den er sich schon in
der Wahl des Gruudthemas seines Systems zeigt, der Diplomat unter den
Philosophen, der würdige metaphysische Zeitgenosse Tallehrands und Metternichs,
Aber er gleicht ihnen auch darin, daß seine Wirkungen mit ihren Mitteln und,
da dieselben durchaus zeitliche siud, schließlich mit seiner Persönlichkeit aufhören,
daß sie nichts in sich selbst Beruhendes haben, nicht auf das Ewige gebaut
sind, ja diesem bewußt entgegentreten. Es giebt fundamentale und tendenziöse
Philosophie», Hegel ist Wohl der bedeutendste, zugleich der einflußreichste unter
den Vertretern der letzteren. Darum fiel aber auch sein System, wie jene
diplomatischen, mit der Zeit zusammen, die es getragen hatte, leicht wie ein
Kartenhaus. Hegel starb aber auch zur rechten Zeit, wie er zur rechten Zeit
gelebt hatte, ein Glück, das nicht immer solchen Naturen wird; fast wäre man
versucht, es mit den berührten Eigenschaften dieser besondern in Verbindung zu
bringen, wenn nicht — trotz Goethe — an dieser Grenze Berechnung und
Diplomatie aufhörten. So aber blieb immerhin die gewaltige Autorität seine?


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[0043] Hegel in seinen Briefen. nur komisch zu nehmen habe, in Verruf zu bringen. Allein Schelling wußte sehr wohl, was es mit dem Wcichselzopfe auf sich hatte, und die freilich von dieser Seite am leichtesten „anzugreifende" Lehre des Philosophen, den (nach der bekannten Anekdote von seinein Sterbebette) „nur einer seiner Schüler ver¬ standen hat — und auch der nicht richtig," war seinem gerade in dieser Hinsicht so genialen, durchdringenden Blicke wohl am wenigsten schwer zu deuten. Wie er in jenem Absagebriefe an Hegel gleichsam im philosophischen Hausrock, in dem man unter sich ist und die Dinge bei ihrem rechten Namen nennt, ihm gleich so treffend das Wort, worauf es ankommt, an den Kopf schleudert, das wohlgemerkt in jenem ersten Werke, der „Phänomenologie," äußerlich noch durchaus nicht die spätere Rolle spielt und an dem doch schon damals die ganze Hegelsche Philosophie hängt: nämlich das Wort „Begriff" — das ist in so hervorragender Weise, man darf zugleich sagen so entzückend Schellingisch, daß man ihm ob dieser letzten Offenbarung beider Seiten seiner eigentümlichen gött¬ lichen Deutlichkeit fast nachsehen möchte, wie ihm von nun an die eine, die hauptsächliche, nämlich die wissenschaftliche, so ganz abhanden kommt und nur die andre, die persönliche, sich immer gewaltiger entwickelt. Einen ganzen Band philosophischer Geschichte enthält dieser Brief. Es scheint eigentlich viel zu wenig beachtet, wie die ganze Weiterentwicklung der Schellingschcn Philosophie nun auf Schritt und Tritt den Gegensatz gegen Hegel an der Stirn trägt. Es kann dies auch nirgends so scharf hervortreten, als hier in dem für den letzten Teil der Hegelschen Briefe so charakteristischen Kampfe um Cousin, um den für die Wcltwirkuug einer Philosophie damals so wichtigen Franzosen. Die beiden philosophischen Messiasse wußten sehr wohl, was sie an diesem Apostel besaßen, und der Apostel wußte es vor allem selbst. Den aufsässigen Schelling läßt er es damals recht deutlich fühlen, daß Paris die Welt sei. Hegel siegte auch hier, er war überall der unfehlbar sichere Berechner, als den er sich schon in der Wahl des Gruudthemas seines Systems zeigt, der Diplomat unter den Philosophen, der würdige metaphysische Zeitgenosse Tallehrands und Metternichs, Aber er gleicht ihnen auch darin, daß seine Wirkungen mit ihren Mitteln und, da dieselben durchaus zeitliche siud, schließlich mit seiner Persönlichkeit aufhören, daß sie nichts in sich selbst Beruhendes haben, nicht auf das Ewige gebaut sind, ja diesem bewußt entgegentreten. Es giebt fundamentale und tendenziöse Philosophie», Hegel ist Wohl der bedeutendste, zugleich der einflußreichste unter den Vertretern der letzteren. Darum fiel aber auch sein System, wie jene diplomatischen, mit der Zeit zusammen, die es getragen hatte, leicht wie ein Kartenhaus. Hegel starb aber auch zur rechten Zeit, wie er zur rechten Zeit gelebt hatte, ein Glück, das nicht immer solchen Naturen wird; fast wäre man versucht, es mit den berührten Eigenschaften dieser besondern in Verbindung zu bringen, wenn nicht — trotz Goethe — an dieser Grenze Berechnung und Diplomatie aufhörten. So aber blieb immerhin die gewaltige Autorität seine?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/43>, abgerufen am 22.07.2024.