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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Das Wormser Volkstheater.

kostspieligen Anwerbungen berühmter Schauspieler, mit denen man sonst Theater¬
gründungen einleitet und schon lange vor der Eröffnung Reklame macht, sieht
man ab. Durch das Entgegenkommen des Großherzogs von Hessen, der sich
sür das Wormser Unternehmen lebhaft interessirt, wird es möglich sein, daß
die Schauspieler des Darmstädter Hoftheaters einmal wöchentlich in Worms
spielen. So drängt sich die Kunst wahrlich nicht auf. Sollte der regere künst¬
lerische Sinn der ganzen Bürgerschaft -- nicht auf Einzelne stützt sich das Unter¬
nehmen -- ein häufigeres Spiel verlangen, so wäre der organischen Entwicklung
die Richtung schon gegeben: die größere Einnahme würde dann gestatten, einen
gründlich gebildeten Direktor anzustellen "mit wenigen jugendlichen, gut ver¬
anlagten Künstlern, vielleicht im Verbände mit benachbarten Städten nach Art
der norddeutschen Bühnenverbände. Wormser Bürger könnten ihnen häufiger
zur Seite treten, wie Schüler gleichsam neben Lehrern." Schauspielerische
Berühmtheiten hält man also zur Erreichung des idealen Zieles nicht für not¬
wendig; man will vor allem einen einheitlichen Stil der Aufführung, und dem
sind Berühmtheiten eher hinderlich. Als Grabbe sich über die trefflichen Ge¬
samtleistungen des Jmmermannschen Theaters in Düsseldorf lobend aussprach,
schloß er mit der Anmerkung: "Und doch kein Name der Schauspieler, welcher
mir nicht unbekannt gewesen wäre." Es ist durchaus richtig, was N. Wagner
einst den auch an ihrem Theater krankenden Zürichern auseinandersetzte, daß
auch die geringsten Mittel fähig seien, eine künstlerische Absicht zu verwirklichen,
sobald diese den für die Darstellung vorhandenen Kräften entspräche. Das
Künstlerische einer Absicht bestehe nicht darin, daß sie durch besonders reiche
Mittel zu verwirklichen sei, sondern daß sie sich der einzig vorhandenen Mittel
zur Entwicklung der höchsten Fähigkeit derselben bemächtige. Das hätten sich
die Bühnen kleinerer Städte gesagt sein lassen sollen.

Die Mitwirkung von Dilettanten ist wieder etwas Eigenartiges am Wormser
Volkstheater. Bei den gewöhnlichen Vorstellungen sollen sie nur als Aushilfe
mit verwandt werden dürfen, bei einem jährlich aufzuführenden Volksstück aber
alle Rollen übernehmen. Auch hier geht Schön nicht von übertriebenen Er¬
wartungen, sondern von selbst gemachten Erfahrungen aus: das Herrigsche
Lutherfestspiel in Worms, das, abgesehen von der Heldenrolle, nur von Wormsern
gegeben wurde und allen, die es gesehen haben, in unauslöschlicher Erinnerung
geblieben ist, zeigte, was man von dem Volke, wenn es sich selbst spielt, bei
richtiger Anleitung erwarten darf. Man braucht nicht, wie es geschehen ist,
in der Beteiligung der Nichtschauspieler eine ästhetische Gefahr zu sehen. Denn
diese Beteiligung ist ja nur bei den jährlichen Volksspielen, wo sie uns aber
auch, gerade aus innern Gründen, notwendig erscheint, ausschlaggebend, und
die größere Öffentlichkeit und der Ernst des Gegenstandes wird keine Aufführung
bis zum Spiel des gewöhnlichen Liebhabertheaters herabsinken lassen. Man
höre nur, was Wyl von den Oberammergauern Passionsspielern erzählt: "Die


Das Wormser Volkstheater.

kostspieligen Anwerbungen berühmter Schauspieler, mit denen man sonst Theater¬
gründungen einleitet und schon lange vor der Eröffnung Reklame macht, sieht
man ab. Durch das Entgegenkommen des Großherzogs von Hessen, der sich
sür das Wormser Unternehmen lebhaft interessirt, wird es möglich sein, daß
die Schauspieler des Darmstädter Hoftheaters einmal wöchentlich in Worms
spielen. So drängt sich die Kunst wahrlich nicht auf. Sollte der regere künst¬
lerische Sinn der ganzen Bürgerschaft — nicht auf Einzelne stützt sich das Unter¬
nehmen — ein häufigeres Spiel verlangen, so wäre der organischen Entwicklung
die Richtung schon gegeben: die größere Einnahme würde dann gestatten, einen
gründlich gebildeten Direktor anzustellen „mit wenigen jugendlichen, gut ver¬
anlagten Künstlern, vielleicht im Verbände mit benachbarten Städten nach Art
der norddeutschen Bühnenverbände. Wormser Bürger könnten ihnen häufiger
zur Seite treten, wie Schüler gleichsam neben Lehrern." Schauspielerische
Berühmtheiten hält man also zur Erreichung des idealen Zieles nicht für not¬
wendig; man will vor allem einen einheitlichen Stil der Aufführung, und dem
sind Berühmtheiten eher hinderlich. Als Grabbe sich über die trefflichen Ge¬
samtleistungen des Jmmermannschen Theaters in Düsseldorf lobend aussprach,
schloß er mit der Anmerkung: „Und doch kein Name der Schauspieler, welcher
mir nicht unbekannt gewesen wäre." Es ist durchaus richtig, was N. Wagner
einst den auch an ihrem Theater krankenden Zürichern auseinandersetzte, daß
auch die geringsten Mittel fähig seien, eine künstlerische Absicht zu verwirklichen,
sobald diese den für die Darstellung vorhandenen Kräften entspräche. Das
Künstlerische einer Absicht bestehe nicht darin, daß sie durch besonders reiche
Mittel zu verwirklichen sei, sondern daß sie sich der einzig vorhandenen Mittel
zur Entwicklung der höchsten Fähigkeit derselben bemächtige. Das hätten sich
die Bühnen kleinerer Städte gesagt sein lassen sollen.

Die Mitwirkung von Dilettanten ist wieder etwas Eigenartiges am Wormser
Volkstheater. Bei den gewöhnlichen Vorstellungen sollen sie nur als Aushilfe
mit verwandt werden dürfen, bei einem jährlich aufzuführenden Volksstück aber
alle Rollen übernehmen. Auch hier geht Schön nicht von übertriebenen Er¬
wartungen, sondern von selbst gemachten Erfahrungen aus: das Herrigsche
Lutherfestspiel in Worms, das, abgesehen von der Heldenrolle, nur von Wormsern
gegeben wurde und allen, die es gesehen haben, in unauslöschlicher Erinnerung
geblieben ist, zeigte, was man von dem Volke, wenn es sich selbst spielt, bei
richtiger Anleitung erwarten darf. Man braucht nicht, wie es geschehen ist,
in der Beteiligung der Nichtschauspieler eine ästhetische Gefahr zu sehen. Denn
diese Beteiligung ist ja nur bei den jährlichen Volksspielen, wo sie uns aber
auch, gerade aus innern Gründen, notwendig erscheint, ausschlaggebend, und
die größere Öffentlichkeit und der Ernst des Gegenstandes wird keine Aufführung
bis zum Spiel des gewöhnlichen Liebhabertheaters herabsinken lassen. Man
höre nur, was Wyl von den Oberammergauern Passionsspielern erzählt: „Die


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[0392] Das Wormser Volkstheater. kostspieligen Anwerbungen berühmter Schauspieler, mit denen man sonst Theater¬ gründungen einleitet und schon lange vor der Eröffnung Reklame macht, sieht man ab. Durch das Entgegenkommen des Großherzogs von Hessen, der sich sür das Wormser Unternehmen lebhaft interessirt, wird es möglich sein, daß die Schauspieler des Darmstädter Hoftheaters einmal wöchentlich in Worms spielen. So drängt sich die Kunst wahrlich nicht auf. Sollte der regere künst¬ lerische Sinn der ganzen Bürgerschaft — nicht auf Einzelne stützt sich das Unter¬ nehmen — ein häufigeres Spiel verlangen, so wäre der organischen Entwicklung die Richtung schon gegeben: die größere Einnahme würde dann gestatten, einen gründlich gebildeten Direktor anzustellen „mit wenigen jugendlichen, gut ver¬ anlagten Künstlern, vielleicht im Verbände mit benachbarten Städten nach Art der norddeutschen Bühnenverbände. Wormser Bürger könnten ihnen häufiger zur Seite treten, wie Schüler gleichsam neben Lehrern." Schauspielerische Berühmtheiten hält man also zur Erreichung des idealen Zieles nicht für not¬ wendig; man will vor allem einen einheitlichen Stil der Aufführung, und dem sind Berühmtheiten eher hinderlich. Als Grabbe sich über die trefflichen Ge¬ samtleistungen des Jmmermannschen Theaters in Düsseldorf lobend aussprach, schloß er mit der Anmerkung: „Und doch kein Name der Schauspieler, welcher mir nicht unbekannt gewesen wäre." Es ist durchaus richtig, was N. Wagner einst den auch an ihrem Theater krankenden Zürichern auseinandersetzte, daß auch die geringsten Mittel fähig seien, eine künstlerische Absicht zu verwirklichen, sobald diese den für die Darstellung vorhandenen Kräften entspräche. Das Künstlerische einer Absicht bestehe nicht darin, daß sie durch besonders reiche Mittel zu verwirklichen sei, sondern daß sie sich der einzig vorhandenen Mittel zur Entwicklung der höchsten Fähigkeit derselben bemächtige. Das hätten sich die Bühnen kleinerer Städte gesagt sein lassen sollen. Die Mitwirkung von Dilettanten ist wieder etwas Eigenartiges am Wormser Volkstheater. Bei den gewöhnlichen Vorstellungen sollen sie nur als Aushilfe mit verwandt werden dürfen, bei einem jährlich aufzuführenden Volksstück aber alle Rollen übernehmen. Auch hier geht Schön nicht von übertriebenen Er¬ wartungen, sondern von selbst gemachten Erfahrungen aus: das Herrigsche Lutherfestspiel in Worms, das, abgesehen von der Heldenrolle, nur von Wormsern gegeben wurde und allen, die es gesehen haben, in unauslöschlicher Erinnerung geblieben ist, zeigte, was man von dem Volke, wenn es sich selbst spielt, bei richtiger Anleitung erwarten darf. Man braucht nicht, wie es geschehen ist, in der Beteiligung der Nichtschauspieler eine ästhetische Gefahr zu sehen. Denn diese Beteiligung ist ja nur bei den jährlichen Volksspielen, wo sie uns aber auch, gerade aus innern Gründen, notwendig erscheint, ausschlaggebend, und die größere Öffentlichkeit und der Ernst des Gegenstandes wird keine Aufführung bis zum Spiel des gewöhnlichen Liebhabertheaters herabsinken lassen. Man höre nur, was Wyl von den Oberammergauern Passionsspielern erzählt: „Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/392>, abgerufen am 22.07.2024.