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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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messen. Die Kosten der Aufführung werden geringer sein, und die Bühne mit
ihrer Dekorationspracht wird nicht eine teure Vergnügnngsanstalt für aus¬
erwählte Kreise bleiben. Alle aber werden einen reineren Genuß haben: Phan¬
tasie und Gemüt werden nicht durch unwesentliche Nebendinge gestört und zer¬
streut, sondern auf die dichterische Gestalt und Idee allein hingelenkt werden.
Das kräftigt die Phantasie, und wer erwägt, welche Bedeutung diese auch in
ethischer Hinsicht hat, kann sich über dieses Stahlbad nur freuen. Der Stil
wird sich dann schon einstellen; ist doch, nach Anselm Feuerbachs, des genialen
Malers, Wort, Stil nichts andres als richtiges Weglassen des Unwesentlichen.
Dem Schauspieler selbst muß es wie eine Befreiung sein, wenn er nicht mehr
mit dem Dekorateur um die Erzielung des größten "Effekts" in Wettbewerb
zu treten hat. Man darf hiergegen nicht die künstlerischen Erfolge der Meininger
ins Feld führen wollen. Die Meininger haben sich in der That ein Verdienst
erworben, so groß als nur möglich, wenn man von einschneidenden Reformen
absieht; besonders in Betreff des einheitlichen Gesamtspielcs. Aber um ein
Theater für das gesamte Volk zu schaffen, muß man eben andre Wege ein¬
schlagen.

Inwiefern diese äußerliche Bühnenverbesserung sonst noch auf die drama¬
tische Dichtung zurückwirken könnte, foll hier nicht untersucht werden. Jeden¬
falls wird aber auch der dramatische Dichter freier werden. Er braucht sich
mit Rücksicht auf die herkömmliche einteilige Bühne in seinen dichterischen An¬
schauungen und Absichten nicht Schranken zu setzen, auch nicht durch die Rück¬
sicht auf zu große Ausstattuugskosten. Dichtergenius und Bühnentechnik sind
oft in Streit geraten, und der erstere mußte sich fügen. Diese Schranken
werden fallen, soweit es künstlerisch angeht, und umgekehrt wird die platte
Mittelmäßigkeit nicht mehr so darauf aus sein können, durch geschickte Mache
großen, von wahrem Dichtergeiste durchwehten, aber infolge dessen weniger in
die herkömmlichen Bühnenschranken hineinpassenden Werken den Rang abzu¬
laufen. Es wäre schon etwas Großes, wenn so dem Genius sein Recht würde.
Mögen Schöns Hoffnungen in Betreff der Beeinflussung der dramatischen
Dichtung sich erfüllen! Es wäre ja erfreulich, wenn er mit der Absicht, die
Wormser Thcatersragc zu lösen, noch mehr bewirkte als das.

Wichtiger aber als die literarische Seite des Wormser Unternehmens ist,
wie gesagt, die sittliche und die soziale. Auch in dieser Richtung können schon
äußere Umstände heilsam wirken. Da jedes Geschäftsinteresse wegfällt, soll
nicht allabendlich gespielt werden. So wird vermieden, daß die Wirkungen des
Schauspiels sich abschwächen, wie die Eindrücke vieler schnell nach einander
gesehenen Bilder, und die Bühne wird keine bloße Unterhaltungsanstalt werden,
welche zu ihrem Bestehen auf die mit Geld und Zeit gesegneten besonders zu
rechnen und sich nach ihnen zu richten hat. Das ist schon ein großer Unter¬
schied zwischen dem Wormser und den andern geplanten Volkstheatern. Von


messen. Die Kosten der Aufführung werden geringer sein, und die Bühne mit
ihrer Dekorationspracht wird nicht eine teure Vergnügnngsanstalt für aus¬
erwählte Kreise bleiben. Alle aber werden einen reineren Genuß haben: Phan¬
tasie und Gemüt werden nicht durch unwesentliche Nebendinge gestört und zer¬
streut, sondern auf die dichterische Gestalt und Idee allein hingelenkt werden.
Das kräftigt die Phantasie, und wer erwägt, welche Bedeutung diese auch in
ethischer Hinsicht hat, kann sich über dieses Stahlbad nur freuen. Der Stil
wird sich dann schon einstellen; ist doch, nach Anselm Feuerbachs, des genialen
Malers, Wort, Stil nichts andres als richtiges Weglassen des Unwesentlichen.
Dem Schauspieler selbst muß es wie eine Befreiung sein, wenn er nicht mehr
mit dem Dekorateur um die Erzielung des größten „Effekts" in Wettbewerb
zu treten hat. Man darf hiergegen nicht die künstlerischen Erfolge der Meininger
ins Feld führen wollen. Die Meininger haben sich in der That ein Verdienst
erworben, so groß als nur möglich, wenn man von einschneidenden Reformen
absieht; besonders in Betreff des einheitlichen Gesamtspielcs. Aber um ein
Theater für das gesamte Volk zu schaffen, muß man eben andre Wege ein¬
schlagen.

Inwiefern diese äußerliche Bühnenverbesserung sonst noch auf die drama¬
tische Dichtung zurückwirken könnte, foll hier nicht untersucht werden. Jeden¬
falls wird aber auch der dramatische Dichter freier werden. Er braucht sich
mit Rücksicht auf die herkömmliche einteilige Bühne in seinen dichterischen An¬
schauungen und Absichten nicht Schranken zu setzen, auch nicht durch die Rück¬
sicht auf zu große Ausstattuugskosten. Dichtergenius und Bühnentechnik sind
oft in Streit geraten, und der erstere mußte sich fügen. Diese Schranken
werden fallen, soweit es künstlerisch angeht, und umgekehrt wird die platte
Mittelmäßigkeit nicht mehr so darauf aus sein können, durch geschickte Mache
großen, von wahrem Dichtergeiste durchwehten, aber infolge dessen weniger in
die herkömmlichen Bühnenschranken hineinpassenden Werken den Rang abzu¬
laufen. Es wäre schon etwas Großes, wenn so dem Genius sein Recht würde.
Mögen Schöns Hoffnungen in Betreff der Beeinflussung der dramatischen
Dichtung sich erfüllen! Es wäre ja erfreulich, wenn er mit der Absicht, die
Wormser Thcatersragc zu lösen, noch mehr bewirkte als das.

Wichtiger aber als die literarische Seite des Wormser Unternehmens ist,
wie gesagt, die sittliche und die soziale. Auch in dieser Richtung können schon
äußere Umstände heilsam wirken. Da jedes Geschäftsinteresse wegfällt, soll
nicht allabendlich gespielt werden. So wird vermieden, daß die Wirkungen des
Schauspiels sich abschwächen, wie die Eindrücke vieler schnell nach einander
gesehenen Bilder, und die Bühne wird keine bloße Unterhaltungsanstalt werden,
welche zu ihrem Bestehen auf die mit Geld und Zeit gesegneten besonders zu
rechnen und sich nach ihnen zu richten hat. Das ist schon ein großer Unter¬
schied zwischen dem Wormser und den andern geplanten Volkstheatern. Von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/391>, abgerufen am 22.07.2024.