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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Standpunkt derer stellen, welche die rein praktische Seite, das praktisch Durch¬
führbare und Mögliche, ins Auge haben fassen müssen. Die Erfahrungen, die
vielen Klagen, die über die Umgestaltung Roms lant geworden sind, haben ge¬
lehrt, wie verzweifelt schwer es ist, hier keine historische Taktlosigkeit zu begehen.
Die großen Wiesen vor dem Vatikan hatten keine historischen oder kunst¬
geschichtlich wichtigen Denkmale auszuweisen; ihr Ertrag, ihr Wert für die Be¬
sitzer war äußerst gering. Ihr Wert mußte sich aber steigern, ihr Besitz mußte
kostbar werden, sobald es galt, für die mit einer ungeheuern Schnelligkeit an¬
wachsende Bevölkerung Wohnungen zu schaffen, sobald der Preis für den Grund
und Boden in der unmittelbaren Umgebung der Stadt von Jahr zu Jahr
stieg und dem entsprechend die Grundsteuer höher wurde. Daß man also die
Wiesen als Bauareal zu verkaufen suchte und verkauft hat, ist erklärlich. Wie
wäre dem vorzubeugen gewesen? Hätte die Stadtverwaltung ein Machtwort
sprechen sollen und der historischen Erinnerung und des historischen Taktgefühls
willen die Veräußerung jener Flächen verbieten, sie also wieder entwerten sollen?
Das wird man billigerweise nicht verlangen können. Hütte die Stadt, um dem
Vatikan seine bisherige Umgebung, dem Papste die Aussicht auf die Campagna
und die Berge zu erhalten, jenes Areal für so und so viel Millionen erwerben
sollen, um es als Wiesenfläche liegen zu lassen? Auch diese Anforderung wird
man nicht stellen können. Hätten sie vom Papste oder, da dieser voraussichtlich
uicht in der Lage gewesen wäre, Wohl auch keine Neigung gehabt hätte, von
der Seite, der an der Erhaltung des ursprünglichen Zustandes viel gelegen war,
angekauft und für die Kirche zu irgend welchem Zwecke verwendet werden können?
Diese Frage vermögen wir nicht zu entscheiden. Amerikanische Jesuiten haben
sich jetzt auf denselben prall, deren Bebauung so großen Unwillen erregt hat,
ein großes Konvcntsgebciude errichtet, das vollständig zu der übrigen Umgebung
paßt. Das neue Stadtviertel ist zu einer selbständigen Parochie erhoben worden,
und Leo XIII. ist so fürsorgend, dort aus Mitteln der Kirche ein neues Gottes¬
haus erbauen zu lassen.

Es wird auswärts viel von Rücksichten gesprochen, welche die Italiener
auf den Papst und die katholische Kirche -- mehr als es jetzt der Fall ist --
nehmen müßten. Der Staat verlangt nach Einverleibung Roms und des
Kirchenstaates Anerkennung der bestehenden Verhältnisse. Diese kann der Papst
als Grundlage einer Aussöhnung nicht zugestehen. Der Staat verlangt weiter
Aufrechterhaltung der Ordnung und Gehorsam gegen die Gesetze. Diesen Ge¬
horsam verlangt er auch von dem katholischen Klerus. Vor einiger Zeit wurden
-- gegen die Bestimmungen des Gesetzes -- in Neapel in den Sakristeien der
Kirchen politische Wahlversammlungen zum Zwecke der Agitation gegen den
Staat abgehalten, und vor kurzem ist in Genua eine höhere Schule geschlossen
worden, deren Direktor nur dem Namen nach Leiter war; in Wirklichkeit war
es ein Jesuitenpater. In diese Schule schickten die höhern Beamten und Offiziere


Standpunkt derer stellen, welche die rein praktische Seite, das praktisch Durch¬
führbare und Mögliche, ins Auge haben fassen müssen. Die Erfahrungen, die
vielen Klagen, die über die Umgestaltung Roms lant geworden sind, haben ge¬
lehrt, wie verzweifelt schwer es ist, hier keine historische Taktlosigkeit zu begehen.
Die großen Wiesen vor dem Vatikan hatten keine historischen oder kunst¬
geschichtlich wichtigen Denkmale auszuweisen; ihr Ertrag, ihr Wert für die Be¬
sitzer war äußerst gering. Ihr Wert mußte sich aber steigern, ihr Besitz mußte
kostbar werden, sobald es galt, für die mit einer ungeheuern Schnelligkeit an¬
wachsende Bevölkerung Wohnungen zu schaffen, sobald der Preis für den Grund
und Boden in der unmittelbaren Umgebung der Stadt von Jahr zu Jahr
stieg und dem entsprechend die Grundsteuer höher wurde. Daß man also die
Wiesen als Bauareal zu verkaufen suchte und verkauft hat, ist erklärlich. Wie
wäre dem vorzubeugen gewesen? Hätte die Stadtverwaltung ein Machtwort
sprechen sollen und der historischen Erinnerung und des historischen Taktgefühls
willen die Veräußerung jener Flächen verbieten, sie also wieder entwerten sollen?
Das wird man billigerweise nicht verlangen können. Hütte die Stadt, um dem
Vatikan seine bisherige Umgebung, dem Papste die Aussicht auf die Campagna
und die Berge zu erhalten, jenes Areal für so und so viel Millionen erwerben
sollen, um es als Wiesenfläche liegen zu lassen? Auch diese Anforderung wird
man nicht stellen können. Hätten sie vom Papste oder, da dieser voraussichtlich
uicht in der Lage gewesen wäre, Wohl auch keine Neigung gehabt hätte, von
der Seite, der an der Erhaltung des ursprünglichen Zustandes viel gelegen war,
angekauft und für die Kirche zu irgend welchem Zwecke verwendet werden können?
Diese Frage vermögen wir nicht zu entscheiden. Amerikanische Jesuiten haben
sich jetzt auf denselben prall, deren Bebauung so großen Unwillen erregt hat,
ein großes Konvcntsgebciude errichtet, das vollständig zu der übrigen Umgebung
paßt. Das neue Stadtviertel ist zu einer selbständigen Parochie erhoben worden,
und Leo XIII. ist so fürsorgend, dort aus Mitteln der Kirche ein neues Gottes¬
haus erbauen zu lassen.

Es wird auswärts viel von Rücksichten gesprochen, welche die Italiener
auf den Papst und die katholische Kirche — mehr als es jetzt der Fall ist —
nehmen müßten. Der Staat verlangt nach Einverleibung Roms und des
Kirchenstaates Anerkennung der bestehenden Verhältnisse. Diese kann der Papst
als Grundlage einer Aussöhnung nicht zugestehen. Der Staat verlangt weiter
Aufrechterhaltung der Ordnung und Gehorsam gegen die Gesetze. Diesen Ge¬
horsam verlangt er auch von dem katholischen Klerus. Vor einiger Zeit wurden
— gegen die Bestimmungen des Gesetzes — in Neapel in den Sakristeien der
Kirchen politische Wahlversammlungen zum Zwecke der Agitation gegen den
Staat abgehalten, und vor kurzem ist in Genua eine höhere Schule geschlossen
worden, deren Direktor nur dem Namen nach Leiter war; in Wirklichkeit war
es ein Jesuitenpater. In diese Schule schickten die höhern Beamten und Offiziere


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[0384] Standpunkt derer stellen, welche die rein praktische Seite, das praktisch Durch¬ führbare und Mögliche, ins Auge haben fassen müssen. Die Erfahrungen, die vielen Klagen, die über die Umgestaltung Roms lant geworden sind, haben ge¬ lehrt, wie verzweifelt schwer es ist, hier keine historische Taktlosigkeit zu begehen. Die großen Wiesen vor dem Vatikan hatten keine historischen oder kunst¬ geschichtlich wichtigen Denkmale auszuweisen; ihr Ertrag, ihr Wert für die Be¬ sitzer war äußerst gering. Ihr Wert mußte sich aber steigern, ihr Besitz mußte kostbar werden, sobald es galt, für die mit einer ungeheuern Schnelligkeit an¬ wachsende Bevölkerung Wohnungen zu schaffen, sobald der Preis für den Grund und Boden in der unmittelbaren Umgebung der Stadt von Jahr zu Jahr stieg und dem entsprechend die Grundsteuer höher wurde. Daß man also die Wiesen als Bauareal zu verkaufen suchte und verkauft hat, ist erklärlich. Wie wäre dem vorzubeugen gewesen? Hätte die Stadtverwaltung ein Machtwort sprechen sollen und der historischen Erinnerung und des historischen Taktgefühls willen die Veräußerung jener Flächen verbieten, sie also wieder entwerten sollen? Das wird man billigerweise nicht verlangen können. Hütte die Stadt, um dem Vatikan seine bisherige Umgebung, dem Papste die Aussicht auf die Campagna und die Berge zu erhalten, jenes Areal für so und so viel Millionen erwerben sollen, um es als Wiesenfläche liegen zu lassen? Auch diese Anforderung wird man nicht stellen können. Hätten sie vom Papste oder, da dieser voraussichtlich uicht in der Lage gewesen wäre, Wohl auch keine Neigung gehabt hätte, von der Seite, der an der Erhaltung des ursprünglichen Zustandes viel gelegen war, angekauft und für die Kirche zu irgend welchem Zwecke verwendet werden können? Diese Frage vermögen wir nicht zu entscheiden. Amerikanische Jesuiten haben sich jetzt auf denselben prall, deren Bebauung so großen Unwillen erregt hat, ein großes Konvcntsgebciude errichtet, das vollständig zu der übrigen Umgebung paßt. Das neue Stadtviertel ist zu einer selbständigen Parochie erhoben worden, und Leo XIII. ist so fürsorgend, dort aus Mitteln der Kirche ein neues Gottes¬ haus erbauen zu lassen. Es wird auswärts viel von Rücksichten gesprochen, welche die Italiener auf den Papst und die katholische Kirche — mehr als es jetzt der Fall ist — nehmen müßten. Der Staat verlangt nach Einverleibung Roms und des Kirchenstaates Anerkennung der bestehenden Verhältnisse. Diese kann der Papst als Grundlage einer Aussöhnung nicht zugestehen. Der Staat verlangt weiter Aufrechterhaltung der Ordnung und Gehorsam gegen die Gesetze. Diesen Ge¬ horsam verlangt er auch von dem katholischen Klerus. Vor einiger Zeit wurden — gegen die Bestimmungen des Gesetzes — in Neapel in den Sakristeien der Kirchen politische Wahlversammlungen zum Zwecke der Agitation gegen den Staat abgehalten, und vor kurzem ist in Genua eine höhere Schule geschlossen worden, deren Direktor nur dem Namen nach Leiter war; in Wirklichkeit war es ein Jesuitenpater. In diese Schule schickten die höhern Beamten und Offiziere

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/384>, abgerufen am 22.07.2024.